Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 22
Von Johann Kaspar Lavater

25. Januar 1774, Zürich

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Meine Frau, liebster Goethe, ist ein gu-
tes, Herzgutes, sanftes, Daubenähnli-
ches, lang u: zart u: reinlich gebildetes,
geduldiges, unschuldiges HerzensLämm-
chen – ein edles, stilles, friedsames,
in meinen Armen unaussprechlich
anmuthvolles – mich unaussprechlich
beglükendes Weibchen; ungelehrt,
ungestuzt, ohne Coketerie u: Präten-
sion. – Nie schöner, himmlischer, einziger,
als wenn wir allein sind; Sie allein ist,
Sie Niemanden, Niemand Sie sieht. –
Das allerliebste Kinder Mütterchen –
das liebste Töchterchen u: Schwesterchen.
– Nichts weniger als schön - aber voll
Anmuth, u: edler Jungfräulickeit –
Amen! Halleluja – –


Für die Silhouetten – Dank zum voraus. | 2 |
Erst für Pfenninger, der izt krank ist, im
Bethe, u: mich, der ich ihm unter der Men-
ge Briefe, deine │:heüt erhielt' ich zween
mit einander:│ immer am lezten zeige.
Die la Roche mögt' ich auch einmal
incognito, oder gar unsichtbar sehn.
Ich habe schon so vieles von ihr gehört. – –
Überhaupt dürst' ich in meinen Phan-
tasiestunden nach nichts so kindisch, wie
nach unsichtbarer Beschauung u: Über-
schattigung meiner Freünde. Ich mögte
mir sie ganz vorstellen, wie Sie liegen,
aufstehen, sich anziehen, schreiben, schmau-
chen, eßen, faulenzen, phantasiren,
lieben, geliebt werden, auf den Schlitt-
schuhen schweben – Meine Briefe lesen,
lachen, schweigen, zürnen, stampfen,
sich frisiren, sich frisiren laßen u.s.w. | 3 |
Wißen mögt' ich ihr Cabinetchen, ihre
Sophas, SchlafMütze – was ich Thor alles
wißen mögte – was ich für ein Kind
bin.


Lebe wohl – im Leben der Liebe – du
allen alles – u: trage den schwachen
Alles allen seyn wollenden   Ge-
danken – Müdling



    L.
   



S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  Briefe HA Nr. 17  B : 1774 Januar vor 25 (vgl. RA 1, Nr. 22)  A : -  V:  Abschrift 

L. charakterisiert seine Frau unter anderem als Herzgutes, [...] unschuldiges Herzens Lämmchen, ihn unaussprechlich beglükendes Weibchen. - Für die Silhouetten danke er zum voraus. - Dem erkrankten J. K. Pfenninger zeige L. immer zuletzt G.s Briefe; (heut erhielt' ich zween miteinander). - Über L.s Wunsch nach unsichtbarer Beschauung u. Überschattigung seiner Freunde, auch M. S. von La Roches.

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 Meine Frau, liebster Goethe, ist ein gutes, Herzgutes, sanftes, Daubenähnliches, lang u: zart u: reinlich gebildetes, geduldiges, unschuldiges HerzensLämmchen – ein edles, stilles, friedsames, in meinen Armen unaussprechlich anmuthvolles – mich unaussprechlich beglükendes Weibchen; ungelehrt, ungestuzt, ohne Coketerie u: Prätension. – Nie schöner, himmlischer, einziger, als wenn wir allein sind; Sie allein ist, Sie Niemanden, Niemand Sie sieht. – Das allerliebste Kinder Mütterchen – das liebste Töchterchen u: Schwesterchen. – Nichts weniger als schön - aber voll Anmuth, u: edler Jungfräulickeit – Amen! Halleluja – –

 Für die Silhouetten – Dank zum voraus.| 2 | Erst für Pfenninger, der izt krank ist, im Bethe, u: mich, der ich ihm unter der Menge Briefe, deine │:heüt erhielt' ich zween mit einander:│ immer am lezten zeige. Die la Roche mögt' ich auch einmal incognito, oder gar unsichtbar sehn. Ich habe schon so vieles von ihr gehört. – – Überhaupt dürst' ich in meinen Phantasiestunden nach nichts so kindisch, wie nach unsichtbarer Beschauung u: Überschattigung meiner Freünde. Ich mögte mir sie ganz vorstellen, wie Sie liegen, aufstehen, sich anziehen, schreiben, schmauchen, eßen, faulenzen, phantasiren, lieben, geliebt werden, auf den Schlittschuhen schweben – Meine Briefe lesen, lachen, schweigen, zürnen, stampfen, sich frisiren, sich frisiren laßen u.s.w.| 3 | Wißen mögt' ich ihr Cabinetchen, ihre Sophas, SchlafMütze – was ich Thor alles wißen mögte – was ich für ein Kind bin.

 Lebe wohl – im Leben der Liebe – du allen alles – u: trage den schwachen Alles allen seyn wollenden Gedanken – Müdling


  L.  

 

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 22, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0022_00024.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 22.

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