BuG: BuG I, A 171
Straßburger Zeit 1770/71

Dichtung und Wahrheit XI (WA I 28, 48)

Straßburg 1770/71

Seine [Schöpflins] Schüler und Studienverwandten, Koch und Oberlin, fanden zu mir schon ein näheres Verhältniß. Meine Liebhaberei zu alterthümlichen Resten war leidenschaftlich. Sie ließen mich das Museum wiederholt betrachten, welches die Belege zu seinem großen Werke über Elsaß vielfach enthielt. Eben dieses Werk hatte ich erst nach jener Reise, wo ich noch Alterthümer an Ort und Stelle gefunden, näher kennen gelernt, und nunmehr vollkommen gefördert, konnte ich mir, bei größern und kleinern Excursionen, das Rheinthal als römische Besitzung vergegenwärtigen und gar manchen Traum der Vorzeit mir wachend ausmahlen.

Kaum hatte ich mir hierin einigermaßen aufgeholfen, als mich Oberlin zu den Denkmalen der Mittelzeit hinwies und mit den daher noch übrigen Ruinen und Resten, Siegeln und Documenten bekannt machte, ja eine Neigung zu den sogenannten Minnesingern und Heldendichtern einzuflößen suchte. Diesem wackern Manne, so wie Herrn Koch, bin ich viel schuldig geworden; und wenn es ihrem Willen und Wunsche nach gegangen wäre, so hätte ich ihnen das Glück meines Lebens verdanken müssen. Damit verhielt es sich aber folgendergestalt ...

Obgenannte beide Männer, Freunde von Salzmann, hatten auf eine liebreiche Weise von mir Kenntniß genommen. Das leidenschaftliche Ergreifen äußerer Gegenstände, die Darstellungsart, womit ich die Vorzüge derselben herauszuheben und ihnen ein besonderes Interesse zu verleihen wußte, schätzten sie höher als ich selbst. Meine geringe, ich kann wohl sagen, nothdürftige Beschäftigung mit dem Civilrechte war ihnen nicht unbemerkt geblieben; sie kannten mich genug, um zu wissen, wie leicht ich bestimmbar sei; aus meiner Lust zum akademischen Leben hatte ich auch kein Geheimniß gemacht, und sie dachten mich daher für Geschichte, Staatsrecht, Redekunst, erst nur im Vorübergehn, dann aber entschiedener, zu erwerben. Straßburg selbst bot Vortheile genug. Eine Aussicht auf die deutsche Canzlei in Versailles, der Vorgang von Schöpflin, dessen Verdienst mir freilich unerreichbar schien, sollte zwar nicht zur Nachahmung, doch zur Nacheiferung reizen und vielleicht dadurch ein ähnliches Talent zur Ausbildung gelangen, welches sowohl dem, der sich dessen rühmen dürfte, ersprießlich, als andern, die es für sich zu gebrauchen dächten, nützlich sein könnte. Diese meine Gönner, und Salzmann mit ihnen, legten auf mein Gedächtniß und auf meine Fähigkeit, den Sinn der Sprachen zu fassen, einen großen Werth, und suchten hauptsächlich dadurch ihre Absichten und Vorschläge zu motiviren.

Chr. M. Engelhardt an Goethe 26. 12. 1825 (WA IV 40, 457)

Straßburg 1770/71

Mit Salzmann besuchten Ewr Excellenz auch das damalige Engelhardtsche Haus auf dem Paradeplatz; und meine Mutter bewahrt in unvertilglicher Erinnerung, wie ihr, der 18jährigen, für reizend geltenden Frau, da sie eben ihren Erstgebornen, (meinen um weniges ältern Bruder) säugend auf den Armen hielt, diese treue Erfüllung schöner Mutterpflicht, eine mit Enthusiasmus dargebrachte, ehrenvolle Huldigung des bald nachher so berühmten Göthe erworben.

J. Meyer v. Lindau an J. D. Salzmann 26. 10. 1771 (Stöber1 S. 79)

B2 27a

Straßburg 1770/71

O Corydon! Corydon! quae te dementia cepit! Nach der Kette, nach welcher unsere Ideen zusammenhangen sollen, fällt mir bei Corydon und dementia der närrische Göthe ein. Er ist doch wohl wieder in Frankfurth? ich habe schon vor ohngefähr einem Monath einen Brief dahin addressirt.

G. K. Pfeffel an F. D. Ring 12. 2. 1773 (GJb 2, 427)

B2 27

Straßburg 1770/71

Un des principaux auteurs de cette Gazette [Frankfurter Gelehrte Anzeigen] est un nommé Getté, homme de génie à ce qu’on dit, mais d’une suffisance insupportable. J’ai une fois soupé en sa compagnie et même reçu sa visite mais je ne le connois pas à beaucoup près assez pour en juger d’après mes propres observations.

H. F. v. Storch, Skizzen S. 5

Straßburg 1770/71

Das merkwürdigste in dieser Sammlung [der Kupferstichsammlung des Aktuars Salzmann], wenigstens für mich, war ein artiges Landschaftsstück, welches Göthe selbst gezeichnet und radirt hatte. Als ich es eine Weile mit Aufmerksamkeit betrachtete, sagte Herr Salzmann: Göthe kann aus sich machen, was er will; wenn er gewollt hätte, so würde er gewiß eben so sehr Chodowiecky seyn, als er izt Göthe ist.

Bald darauf geriethen wir in ein sehr interessantes Gespräch, dessen Inhalt mir die heilige Freundschaft zu schweigen gebeut. Salzmann hatte Göthe, Jung, Lenz und Ramond gekannt, und ihre persönliche Freundschaft genossen. Diese vier trefliche Menschen lebten zu gleicher Zeit in Strasburg.

C. Beyer, Tagebuch 28. 9. 1788 (GJb 5, 355)

Straßburg 1770/71

Abends auf dem Keller, wo ich mich mit R. Loos unterhielt ... Loos kennt ihn [Goethe] von Straassburg aus, wo er einst studierte, auch Herdern, der mit den Prinzen von Holstein dort sich aufhielt.

A. v. Goethe an Goethe 12. 5. 1819 (GJb 28, 30)

Straßburg 1770/71

Heute früh gingen wir in Begleitung des St. R. Nicolovius in die Porzellainfabrik ... Der Director Staatsrath Rosenstiel, welcher mit Ihnen in Straßburg studirt hat, empfiehlt sich Ihnen bestens.

An J. G. Roederer 21. 9. 1771 (WA IV 2, 24)

Straßburg 1770/71

Es war uns nicht gegeben, näher bekandt zu werden, und durch den Umgang uns wechselsweise zu nutzen, und doch sind wir vielleicht besser verbunden als manche Jugendgesellen, hier gilt kein Verjährungsrecht, ein einziger Aufblick läßt uns ein wechselseitiges Interesse erkennen; ein einziger Tapp im Dunckeln ist offt mehr wehrt als ein Spaziergang am schönsten Sonnentag.

A. Stöber an L. Uhland 17. 11. 1829 (Weltstimmen 6, 176)

Straßburg 1770/71

Von Goethe erzählt man sich hier [Straßburg] folgende, ihn gewiß charakterisierende Anekdote:

Er war bekanntlich ein großer Bewunderer unsres herrlichen Münstergebäudes ... und stellte sich oftmals auf der Seite des großen Portals, wo es sich am vollkommensten ausnimmt, staunend hin. Einstmals soll er also mit übereinandergeschlagenen Armen, ganz in Bewunderung und Träumen, dagestanden haben. Da fährt ein Karrenzieher hart an ihm vorüber, sein Liedchen pfeifend.

Goethe dreht sich zürnend herum und gibt dem verblüfften Manne eine derbe Ohrfeige mit den Worten: ‚Willst du staunen, Flegel?‘ – und weist ihn mit der Hand auf das Münster.

J. H. Jung-Stilling an F. Lersé 6. 3. 1780 (Pfälzische Geschichtsblätter 1909 Nr. 4, 30)

Straßburg 1770/71

Ein Kleeblatt vom Lauth’ischen, ehemals merkwürdigen Tisch ist noch übrig; Goethe, Du und ich. Die andern alle sind entweder – Werkeltagsmenschen oder ihr Feuer ist schon verraucht. Salzmann gehört nicht in diese Reihe, er war ruhiger Beobachter und Freund, in dessen Schoß wir spielten. Mayer [von Lindau] lebt in Wien, ungeliebt, unbekannt, still und gewiß nicht vergnügt. Sein kochender Geist ist versprudelt ... Gerhardi hab’ ich verloren, ich – weiß gar nicht, wo er ist. Vielleicht ist seine kleine Kraft in Wetzlar – im Wust alter Acten in Gährung gekommen und vollends gar sauer geworden. Goethe – nun das weiß alle Welt! Der hat mir oft bange gemacht, aber denk’ Bruder! Die Anmerkung ist mir oft über ihn eingefallen. Wenn ein Mensch auch nichts anders als Genie ist, gar keine Stätigkeit, keine Schwerkraft hat, die ihn nach dem Mittelpunkt zieht – so treibt ihn der Wind durch alle Lüfte um, er flackert, lodert, niemand kann sich an seinem Feuer erwärmen, noch durch sein Licht geleitet werden. Doch glaub’ ich noch immer, er wird noch ein brauchbarer Mann werden. Er war’s noch nicht. Weiter hat er noch nichts gethan, als daß er wie ein wilder ungeheurer Mastochse auf der Wiese herumgeeilt und vorne und hinten in die Höhe sprang, da krochen dann hundert Frösche neben einander an’s Ufer hin, mochten gerne alle so Ochsen seyn, pausten und dehnten sich, daß es zum Erbarmen war. Darüber haben wir andere Geschöpfe nun zwar herzlich gelacht. Aber, Bruder Lersé, das ist gar ein kleines Verdienst, auf fetter Weide umherzugaukeln und die Leute lachen machen. Wird er aber einmal zahm, so daß sein Herzog mit ihm pflügen kann; nun dann gieb’ Achte, was aus Goethe wird.

J. H. Jung-Stilling an F. Fouqué 12. 11. 1810 (Fouqué2 S. 178)

Straßburg 1770/71

Was Göthe betrifft, so kann ich Ihnen nichts weiter von ihm sagen, als was alle Welt weiß; ich hab’ ihn 1775 im Herbst zuletzt gesehen, und auch seitdem keinen Umgang mehr mit ihm gehabt. Seine Wahlverwandtschaften hab’ ich gelesen und bin dadurch in der Vermuthung bestärkt worden, die ich schon damals hatte, als wir zusammen studirten: Der Fatalismus ist sein Glaubenssystem, seine natürliche Gaben, Anlagen und Triebe, verbunden mit den äußern Umständen, sind seine unbezwingbaren Führer; diese reißen ihn unaufhaltbar mit sich fort.

K. Riesbeck 2, 56

Straßburg 1770/71

Als das Gefühl seines Genies in ihm erwachte, gieng er mit abgekremptem Hut und unfrisiert, trug eine ganz eigene und auffallende Kleidung, durchirrte Wälder, Hecken, Berg und Tal auf seinem ganz eigenen Wege; Blick, Gang, Sprache, Stock, alles kündigte einen ausserordentlichen Mann an.

H. Ayrer an G. F. Ayrer 11. 3. 1775 (Bode2 1, 116)

Straßburg 1770/71

Das Buch ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ hat hier unendlichen Beifall gefunden ... Wir kennen den Verfasser davon persönlich, und mir wenigstens kam er schon auf Universitäten als ein überspannter Kopf vor.

F. Laun nach H. Kruse (Morgenblatt 1840, Nr. 214, S. 854)

Straßburg 1770/71

Sophie [Brion] erzählte ... Goethe habe immer bläßlich ausgesehen, aber lebhafte Augen habe er gehabt ... er kannte und konnte viele Handwerker, wie er denn bei dem lahmen Philipp in Sesenheim Körbe flechten gelernt.

H. Kruse (WA I 52, 218)

Straßburg 1770/71

Sophie B[rion] erzählte mir, wie Vater und die übrigen sich nicht genug über die Leichtigkeit hätten verwundern können, womit dem jungen Goethe alles, auch das Allergewöhnlichste, im Gespräch über Tisch in Verse überfloss.

B. R. Abeken an J. D. Gries 7./16. 10. 1825 (JbGG 5, 253)

Straßburg 1770/71

So vernahm ich [von Frau Fuchs, einer Elsässerin] ... Folgendes: „Da sitz’ ich einmal an Tisch mit der Frau Pfarr von Sesenheim, die Friederike besorgt die Kinder, die zu Gast sind; die Älteren und andre Fremde sind in der Stube neben an. Nun seh’ ich, wie die Friederike aus einer Schüssel Hühnerfricassée die besten Bissen aussucht, die Leberchen, die Bruststückchen u. s. w. Ich sprech’: Frau Base, was ist mit der Friederike? Die ist sonst so demüthig, und nun nimmt sie das Beste vom Essen. – Ach, spricht sie, laßt sie nur. Das ist nicht für sie; schaun Sie in die andre Stube, da sitzt ein junger Herr; zu dem werden die Leberchen schon den Weg finden. – Ich schaue hin, und sehe da einen jungen schmucken Student sitzen. Der kriegt’ auch Alles.“ – Das war Göthe. Und nun erzählte die Alte weiter, wie Friederike an diesem gehangen, wie sie nach seinem Abschied habe mehrere Parthien thun können; wie sie nie gewollt, und bis an ihren Tod Göthes Porträt in ihrer Schlafstube gehabt habe ... Auf Göthe war die Erzählerin übrigens nicht böse. „Man weiß ja, wie’s mit den Herrn Studenten geht; und er konnte damals nicht heirathen.“

B. R. Abeken (Abeken2 S. 160)

Straßburg 1770/71

Gegen Abend (25. Juli [1825]) besuchte ich mit Voß eine Mamsell F., eine Elsasserin, die für die Töchter der Honoratioren Kreuznachs eine Schule hielt. Bei ihr fanden wir ihre Mutter, eine Frau weit über siebzig und fast taub, deren Gesichtsbildung aber mich interessirte. Sie nahm Theil am Gespräch, wobei die Tochter, gewöhnt sich der Harthörigen verständlich zu machen, Dolmetscherin war. Ich erkundigte mich nach Straßburg, nach der Gegend, in welcher die Frauen zu Hause waren; und so kam ich auf das durch Goethes Schilderung so bekannt gewordene Sesenheim. Da war die Mutter heimisch gewesen und hatte die Pfarrersfamilie oft besucht. Ich fragte, ob die Liebenswürdigkeit Friederikens zur Wahrheit oder zur Dichtung gehöre? Da brach der Strom los. Die Alte hatte das junge Mädchen genau gekannt und wußte nun nicht genug von dessen Anmuth und Güte zu rühmen. Sie hörte nicht auf zu erzählen, und die Tochter half ein. „Da bin ich einmal“ – so die Mutter – „zu Tisch in der Pfarr in Gesellschaft. Die Friederike versorgt die Kinder, die mit zu Gast sind, in der Nebenstube, wo auch andre junge Leute sind; die Eltern und andre Fremde speisen im größeren Zimmer. Nun seh’ ich, wie die Friederike aus einer Schüssel Hühner-Fricassée die besten Bissen aussucht, die Leberchen und Bruststücken u.s.w. Ich sprach: Frau Base, was ist mit der Friederike? Die ist sonst so demüthig, und nun nimmt sie das Beste vom Essen? Ach, spricht sie, laßt sie nur; das ist nicht für sie. Schauen Sie in die andre Stube, da sitzt ein junger Herr, zu dem werden die guten Bissen schon den Weg finden. Ich schau’ hin, und sehe da einen schmucken jungen Student sitzen; der kriegt’ auch Alles. Das war Goethe.“ Und nun erzählte die gute Alte weiter, wie Friederike an diesem gehangen, wie sie nach seinem Abschiede mehrere gute Partieen habe thun können, wie sie diese abgelehnt und bis an ihren Tod Goethes Porträt in ihrer Schlafstube aufgehängt bewahrt habe ... Auf Goethe war die Erzählerin übrigens nicht böse. „Man weiß ja, wie es mit den Herren Studenten geht“, sagte sie, „und er konnte damals an Heirathen nicht denken.“

H. Kurz (Weimarer Beiträge 1957, 115)

Straßburg 1770/71

Noch [Sommer 1845] ist ein Mann im Orte [Sesenheim], der alte blinde Wächter, der als Knabe dem Dichter u[nd] seiner Geliebten das Frühstück nach Friederikenruhe trug. Das Plätzchen ist jetzt ein Kartoffelacker; der Führer behauptete, der Rhein, jetzt wohl eine halbe Stunde entfernt, sei früher ganz nahe vorbeigeflossen. Er erinnerte sich deutlich des jungen Göthe, wie er auf Anrufen mit seinem schnellen „Was is?“ herumgefahren sei; die Mädchen haben elsäßisch gesprochen. Das alte Pfarrhaus hat vor etlichen Jahren einem neuen Platz machen müssen; aber der Garten ist zwar im Einzelnen verändert, doch im Ganzen derselbe geblieben, und die Laube steht noch am alten Orte. Für Reliquienfreunde [ist] schließlich zu bemerken, daß, obgleich an die Gartenmauer versetzt, noch der echte alte Jasmin von der Laube blüht, unter welchem Göthe sein Märchen erzählte.

A. Stöber an G. Schwab 12. 8. 1831 (Walter S. 33)

Straßburg 1770/71

Auch der ehrliche Georg [Klein] mit dem stattlichen Kasten, welcher Goethe so oft nach dem geliebten Pfarrhause führte, lebt noch und erinnert sich mit Freuden an den jungen mutwilligen Herrn und spricht von demselben mit der größten Achtung.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0171 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0171.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 184 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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