BuG: BuG I, A 138
Frankfurter Zeit II 1768/70

Dichtung und Wahrheit IX (WA I 27, 227)

Frankfurt 1768/70

Mit dem Vater selbst konnte sich kein angenehmes Verhältniß anknüpfen; ich konnte ihm nicht ganz verzeihen, daß er, bei den Recidiven meiner Krankheit und bei dem langsamen Genesen, mehr Ungeduld als billig sehen lassen, ja daß er, anstatt durch Nachsicht mich zu trösten, sich oft auf eine grausame Weise über das was in keines Menschen Hand lag, geäußert, als wenn es nur vom Willen abhinge. Aber auch er ward auf mancherlei Weise durch mich verletzt und beleidigt.

Denn junge Leute bringen von Akademien allgemeine Begriffe zurück, welches zwar ganz recht und gut ist; allein weil sie sich darin sehr weise dünken, so legen sie solche als Maßstab an die vorkommenden Gegenstände, welche denn meistens dabei verlieren müssen. So hatte ich von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Häuser eine allgemeine Vorstellung gewonnen, und wendete diese nun unvorsichtig im Gespräch auf unser eigenes Haus an. Mein Vater hatte die ganze Einrichtung desselben ersonnen und den Bau mit großer Standhaftigkeit durchgeführt, und es ließ sich auch, insofern es eine Wohnung für ihn und seine Familie ausschließlich sein sollte, nichts dagegen einwenden; auch waren in diesem Sinne sehr viele Häuser von Frankfurt gebaut. Die Treppe ging frei hinauf und berührte große Vorsäle, die selbst recht gut hätten Zimmer sein können; wie wir denn auch die gute Jahreszeit immer daselbst zubrachten. Allein dieses anmuthige heitere Dasein einer einzelnen Familie, diese Communication von oben bis unten ward zur größten Unbequemlichkeit, sobald mehrere Partien das Haus bewohnten, wie wir bei Gelegenheit der französischen Einquartierung nur zu sehr erfahren hatten. Denn jene ängstliche Scene mit dem Königslieutenant wäre nicht vorgefallen, ja mein Vater hätte weniger von allen Unannehmlichkeiten empfunden, wenn unsere Treppe, nach der Leipziger Art, an die Seite gedrängt, und jedem Stockwerk eine abgeschlossene Thüre zugetheilt gewesen wäre. Diese Bauart rühmte ich einst höchlich und setzte ihre Vortheile heraus, zeigte dem Vater die Möglichkeit, auch seine Treppe zu verlegen, worüber er in einen unglaublichen Zorn gerieth, der um so heftiger war, als ich kurz vorher einige schnörkelhafte Spiegelrahmen getadelt und gewisse chinesische Tapeten verworfen hatte. Es gab eine Scene, welche, zwar wieder getuscht und ausgeglichen, doch meine Reise nach dem schönen Elsaß beschleunigte.

F. Sauer an Goethe 25. 2. 1828 (GSA, Eing. Br. 1828, 124)

Frankfurt 1768/70

Ew. Excellenz wage ich es, beifolgend die genaue Nachzeichnung Hochlhres vor 58 Jahren hieselbst [Frankfurt] genommenen Schattenrisses zu übersenden, die ich der Güte des würdigen Greises, des hiesigen Bürgers und Goldarbeiters Herrn Johannes Wirsing verdanke.

Seinem damaligen Lehrherrn Johann Abraham Schoell, dem (auf der Zeile wohnenden) Hausgenossen Heinrich Sebastian Huisgen’s, den Ew. Excellenz zu jener Zeit öfter besuchten, hatten Hochdieselben eines Abends, auf dessen Bitte, dazu zu sitzen die Güte gehabt, worauf der schon damals kunstfertige Wirsing den dem Meister gelungenen Schattenriß für sich selbst zu verkleinern, und das von diesem gebilligte Abbild sorglich aufzubewahren nicht verfehlte. Als er es (mit der Aufschrift J. W. Goethe 1770) in diesen Tagen – zufällig in meiner Gegenwart – aus einer Mappe seiner Jugendzeichnungen hervorgesucht, schienen die Umrisse des Bildes Mehreren, die so glücklich waren, Ew. Excellenz vor kürzerer oder längerer Zeit selbst zu sehen, so ganz das Gepräge der Wahrheit an sich zu tragen.

H. J. Keßler, Gedenkblätter an Goethe

Frankfurt 1768/70

Das Jahr, in welchem obige Silhouette [von Goethe] entstanden, wissen wir nicht anzugeben. Doch ist sie sicher nach ihm selbst gefertigt. Goethe besuchte öfter den Goldarbeiter Schoell, welcher im Besitz von Silhouettirtafel und Strochschnabel war; wie er (Goethe) sich für jede Kunst schon frühe interessirte, so gab auch dies Anlaß, sein Portrait zu silhouettiren und einen Abschnitt dieser Silhouette hat sich Herr Wirsing, Vater, der bei Schoell in der Lehre stand, bewahrt.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0138 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0138.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 126 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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