BuG: BuG I, A 60
Leipzig vor 12. 8. 1766

J. A. Horn an F. M. Moors 12. 8. 1766 (Pallmann S. 20)

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Leipzig vor 12. 8. 1766

Von unserm Goethe zu reden! – der ist immer noch der stolze Phantast der er war als ich herkam. Wenn du ihn nur sähst, du würdest entweder vor Zorn rasend werden, oder vor Lachen bersten müssen. Ich kann gar nicht einsehen wie sich ein Mensch so geschwind verändern kann. Alle seine Sitten und sein ganzes jeziges Betragen sind Himmel weit von seiner vorigen Aufführung unterschieden. Er ist bey seinem Stoltze auch ein Stutzer und alle seine Kleider, so schön sie auch sind, sind von so einem närrischen Gout der ihn auf der gantzen Academie auszeichnet. Doch dieses ist ihm alles einerley, man mag ihm seine Thorheit vorhalten so viel man will.

  Man mag Amphion seyn und Feld und Wald bezwingen,   Nur keinen Goethe nicht kann man zur Klugheit bringen.

Sein ganzes Dichten und Trachten ist nur, seiner gnädigen Fräulein und sich selbst zu gefallen. Er macht sich in allen Gesellschaften mehr lächerlich als angenehm. Er hat sich, /: bloß weil es die Fräulein gern sieht:/ solche portemains und Gebehrden angewöhnt bey welchen man unmöglich das Lachen enthalten kan. Einen Gang hat er angenommen der gantz unerträglich ist. Wenn du es nur sähest!

  il marche à pas comtés,   Comme un Recteur suivi des quatres Facultés.

Sein Umgang wird mir alle Tage unerträglicher; und Er sucht auch denselbigen wo er kann zu vermeiden. Ich bin ihm zu schlecht daß er mit mir über die Straße gehen sollte. Was würde der König von Holland sagen, wenn er ihn in dieser Positur sähe? Schreibe doch bald wieder einmal an ihn und sage ihm die Meinung. Er bleibt sonst samt seiner gnädigen Fräulein närrisch. Wenn mich nur der Himmel so lange ich hier bin vor einem Mädgen bewahrt, denn das hiesige Weibsvolk ist ganz des Teufels. Göthe ist nicht der erste der seiner Dulcinea zu gefallen ein Narr ist. Ich wünschte nur daß du Sie ein einzigmal sähest, sie ist die abgeschmackste Creatur von der Welt. Eine mine coquette avec un air hautaine ist alles womit sie Goethen bezaubert hat. Lieber Freund ich wäre hier noch einmal so vergnügt wenn nur Goethe noch so wäre wie in Frankfurth. So gute Freunde wir auch sonst waren, so vertragen wir uns jetzo kaum [keine?] ¼ Stunde. Doch mit der Zeit hoffe ich ihn noch zu belehren. Ob es schon schwer ist einen Narren klug zu machen, doch ich will alles mögliche dran wagen.

  Ach fruchtete diß mein bemühen!   Ach könnt ich meinen Zweck erreichen!   Ich wollt nicht Luther, nicht Calvin,   Noch einem der Bekehrer weichen. –

Du kannst ihm nur alles wieder schreiben was ich dir hier erzählt habe. Es ist mir recht lieb wenn du es thust. Es ist mir weder an seinem noch an der gnädigen Fräulein Zorne etwas gelegen. Denn Er wird doch nicht so leicht bös auf mich; wann wir uns auch gezankt haben, so läßt er mich doch den andern Tag wieder zu sich rufen ...

Goethe empfielt sich dir. Er schriebe gern an dich, wenn er nur nicht befürchtete, er möchte morhgends mit dinten beklecktten Händen zur gnädigen Fräulein kommen. wie närrisch sind wir doch wenn wir verliebt sind! –

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0060 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0060.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 80 ff. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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