Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 1104
16. September 1786, Samstag, Verona

d. 16. Sept.

Nach und nach find ich mich. Ich lasse alles ganz sachte werden und bald werd ich mich von dem Sprung über die Gebirge erhohlt haben. Ich gehe nach meiner Gewohnheit nur so herum, sehe alles still an, und empfange und behalte einen schönen Eindruck.

Nun eins nach dem andern.


Das Amphiteater.

Das erste Monument der alten Zeit, das ich sehe und das sich so gut erhalten hat, so gut erhalten worden ist. Ein Buch das nachkommt, enthält gute Vorstellungen davon. 1

Wenn man hineintritt, oder oben auf dem Rande steht ist es ein sonderbarer Eindruck, etwas Groses und doch eigentlich nichts zu sehn. Auch will es leer nicht gesehn seyn, sondern ganz voll Menschen, wie es der Kayser und der Papst gesehen haben.

Doch nur damals that es seine Würckung da das Volck noch mehr Volck war als es ietzt ist. Denn eigentlich ist so ein Amphitheater recht gemacht dem Volck mit sich selbst zu imponiren, das Volck mit sich selbst zum Besten zu haben.

Wenn irgend etwas auf flacher Erde vorgeht und alles zuläuft, suchen die hintersten auf alle mögliche Weise sich über die vordersten zu erheben, man rollt Fässer herbey, fährt mit Wagen heran, legt Bretter herüber und hinüber, stellt wieder Bäncke hinauf, man besetzt einen 2 be 3 benachbarten 4 Hügel und es bildet sich in der Geschwindigkeit ein Crater. Kommt das Schauspiel, es sey ein Kampf pp offt an derselben stelle vor, baut man leichte Gerüste an einer Seite für die, so bezahlen können und das Volck behilft sich wie es mag.

Dieses allgemeine Bedürfniß hat der Architeckt zum Gegenstand, er bereitet einen solchen Crater durch die Kunst, so einfach als nur möglich und dessen Zierrath 5 das Volck selbst ist. Wie ich oben sagte, wenn es sich so beysammengesehen hat, muß es über sich selbst erstaunt seyn. Da es sonst nur gewohnt ist sich durch einander laufen zu sehn, sich in einem Gewühl ohne Ordnung 6 und ohne sonderliche Zucht zu sehn, sieht das vielköpfige, vielsinnige, schwanckende, schwebende Thier sich zu Einem 7 Ganzen vereinicht, zu Einer 8 Einheit gestimmt, in Eine 9 Masse verbunden, und befestigt 10 und zu einer Form gleichsam von Einem Geiste belebt. Die Simplicität des Ovals ist iedem Auge auf die angenehmste Weise fühlbar und ieder Kopf dient zum Maase wie gros das Ganze ist. Jetzt wenn man es leer sieht, hat man keinen Maasstab, man weis nicht ob es gros oder klein ist.

Da es von einem mit der Zeit verwitternden Marmor gebaut ist, wird es gut unter halten.

Uber folgende Punckte mündlich.

Stück der äussern Mauer.

Ob sie ganz umhergegangen?

Gewölbe rings umher an Handwercker vermiethet das Gewölb jährlich um 20–30 f. 11


Ballon

Als ich von der Arena |: so nennen sie das Amphiteater :| wegging, kam ich einige Tausend Schritte davon, auch zu einem öffentlichen Schauspiele. Vier edle Veroneser schlugen Ball gegen vier Fremde. Sie thun es das ganze Jahr unter sich, etwa 2 Stunden vor Nacht. Diesmal weil Fremde die Gegner waren, lief das Volck unglaublich zu es können immer 4–5000 Männer, |: Frauen sah ich von keinem Stande :| Zuschauer gewesen seyn. Oben, als ich vom Bedürfniß der Zuschauer sprach, wenn ein Schauspiel auf flacher Erde vorgeht, 12 hab ich das natürliche und zufällige Amphitheater 13 schon beschrieben, auf dem ich hier das Volck übereinander gebaut sah. Ein lebhafftes Händeklatschen lies sich schon von weiten hören, jeder bedeutende Schlag ward davon begleitet. Das übrige mündlich.


Porta Stupa oder del Palio. 14

Das schönste, immer geschlossne Thor; Wenn man auf etliche hundert Schritte davonkommt, erkennt man es erst für ein schönes Gebäude. Als thor aber und für die grose Entfernung in der es zu sehn ist, ist es nicht gut gedacht.

Sie geben allerley Ursachen an warum es geschlossen ist, ich habe eine Muthmasung. Die Absicht des Künstlers war offenbar durch dieses Thor eine neue Anlage des Corso zu verursachen, denn auf die ietzige Strase steht es ganz falsch; die lincke Seite hat lauter Barracken aber die winckelrechte Linie der Mitte geht auf ein Nonnenkloster zu, das nothwendig hatte müssen niedergelegt werden, man sah das wohl ein, auch hatten die Nobili nicht Lust sich dorthin anzubauen, der Künstler starb vielleicht und so schloß man das Thor damit der Sache auf einmal ein Ende war.


═══


Nun ein Wort was auf die Wercke der Alten überhaupt gelten mag.

Der Künstler hatte einen grosen Gedancken auszuführen, ein groses Bedürfniß zu befriedigen, oder auch nur einen wahren Gedancken auszuführen und er konnte gros und wahr in der Ausführung seyn wenn er der rechte Künstler war. Aber wenn das Bedürfniß klein, wenn der Grundgedancke unwahr ist, was will der grose Künstler dabey und was will er daraus machen? 15 er zerarbeitet sich den kleinen Gegenstand gros zu behandeln, und es wird was, aber ein Ungeheuer, dem man seine Abkunft immer anmerckt.

NB Diese Anmerckung steht zufällig hier, und hat mit dem vorstehenden keinen Zusammenhang. 16


Theater und Museum 17 .

Das Portal des Theater Gebäudes von 6 Jonischen Säulen ist gros und schön. Uber der Thüre, zwischen den zwey mittelsten Säulen durch, erblickt man das marmorne Brustbild des Maffei, vor einer gemahlten Nische, die von zwey gemahlten Corinthischen Säulen getragen wird. Daß Maffei die Büste 18 bey seinem Leben wieder wegnehmen lies, schreibe ich lieber seinem guten Geschmack als seiner Bescheidenheit zu, denn die Büste gehört nicht dahin und es gehört keines Menschen Büste dahin, und noch dazu nicht in der Mauer sondern angekleckt, und mit einer grosen Perrücke. Hätte er sich nur einen guten Platz in den Sälen wo die Philharmoniker gemahlt hängen ausgesucht und seine Freunde veranlaßt daß sie nach seinem Tod das Bild dahin gestellt; so wäre für den guten Geschmack gesorgt gewesen und es sähe auch republikanischer aus.

Hätte man es aber ja thun wollen; so hatte man der Thüre nicht eine gemahlte Säulen Verzierung sondern eine solide Einfassung geben, die Nische in die Mauer einbrechen, die Perrücke weglassen und die Büste Colossalisch machen müssen, und mit allem dem zweifl’ ich daß man diese Partie zu einer Ubereinstimmung mit den grosen Säulen würde gezwungen haben. Doch diese Harmonie scheint die Herrn Philarmoniker nicht sehr zu rühren.

So ist auch die Gallerie die den Vorhof einfaßt kleinlich und nehmen sich die kannelirten Dorischen Zwerge neben den glatten Jonischen Riesen armselig aus. Doch wollen wir das verzeihen in Betrachtung des schönen Instituts das diese Galerien deken, und indem wir bedencken daß es mit der Architecktur eine gar sonderbare Sache ist, wenn nicht ungeheure Kosten zu wenigem Gebrauch verwendet werden; so kann sie gar nichts machen. Davon in der Folge mehr.

Jetzt wieder zu den Antiquitäten die unter den Galerien aufbewahrt sind.

Es sind meist Basreliefs, die auch meist in der Gegend von Verona gefunden worden |: ia sie sagen sogar in der Arena :| das ich doch nicht begreife. Es sind Etrurische, Griechische, Römische von den niedern 19 Zeiten und neuere.

Die Basreliefs in die Mauer eingemauert und mit den Numern versehn welche sie in dem Wercke des Maffei haben, der sie beschrieb. Altäre, Stücke von Säulen p stehn in den Interkolumnien.

Es sind sehr gute treffliche Sachen drunter und auch das weniger gute zeugt von einem herrlichen Zeitalter. Der Wind, der von den Gräbern der Alten herweht, kommt mit Wohlgerüchen wie über einen Rosenhügel.

Ein ganz trefflicher Altar Dreyfuß 20 von weißem Marmor steht da, worauf Genii sind, die Raphael in den Zwickeln 21 der Geschichte der Psyche nachgeahmt und verklärt hat. Ich erkannte sie gleich. Und die Grabmähler sind herzlich und rührend. Da ist ein Mann der neben seiner Frauen aus einer Nische wie zu einem Fenster heraus, da steht Vater und Mutter den Sohn in der Mitte und sehn einander mit unaussprechlicher Natürlichkeit an, da reichen ein Paar einander die Hände. Da scheint ein Vater von seiner Familie auf dem Sterbebette liegend ruhigen Abschied zu nehmen. Wir wollen die Kupfer zusammen durchgehn.

Mir war die Gegenwart der Steine höchstrührend daß ich mich der Trähnen nicht enthalten konnte. Hier ist kein geharnischter Mann auf den Knien, der einer fröhligen Auferstehung wartet, hier hat der Künstler mit mehr oder weniger Geschick immer nur die einfache Gegenwart der Menschen hingestellt, ihre Existenz dadurch fortgesetzt und bleibend gemacht. Sie falten 22 nicht die Hände zusammen, schauen nicht gen Himmel; sondern sie sind was sie waren, sie stehn beysammen, sie nehmen Anteil an einander, sie lieben sich, und das ist in den Steinen offt mit einer gewissen Handwercksunfähigkeit allerliebst ausgedrückt.

Die Kupfer nehmen das offt weg, sie verschönern, aber der Geist verfliegt. Der bekannte Diomed mit dem Palladio, ist 23 in Bronze sehr schön hier.

Bey den Grabmälern hab ich viel an Herdern gedacht. Uberhaupt mögt ich ihn bey mir haben.

Auch steht ein verzierter Pfeiler von weisem Marmor da, sehr reich und von gutem Geschmack.

An alle diese Dinge gewöhnt mein Aug sich erst, ich schreibe nur hin wie mir jedes auffällt.

Morgen seh ichs noch einmal und sage dir noch einige Worte.


Dom 24

Der Titian ist sehr verschwärzt und soll das Gemählde von seiner geringsten Zeit seyn.

Der Gedanke gefällt mir daß er die Himmelfahrende Maria nicht hinaufwärts sondern nach ihren Freunden niederwärts blicken läßt.


St. Giorgio. 25

Eine Gallerie von guten Gemählden. Alle Altarblätter wo nicht gleich doch alle merckwürdig.

Aber die unglückseeligen Künstler was mußten sie mahlen? 26 und für wen.

Ein Mannaregen 30 Fus vielleicht lang und 20 hoch, das Wunder der 5 Brodte zum Pendant. Was war Daran 27 zu mahlen. Hungrige 28 Menschen die über kleine Körner herfallen, unzähliche andre denen Brod präsentirt wird. Die Künstler haben sich die Folter gegeben um 29 solche Armseeligkeiten nur einiger massen Bedeutend zu machen.

Einer der die Hl. Ursula mit den 11/m Jungfr auf ein Altarblat zu mahlen hatte, hat sich mit grosem Verstand aus der Sache gezogen. Die Gestalt der Hl. Ursula hat was sonderbar iungfräuliches ohne Reitz.

Ich endigte nicht drum laß uns weiter gehn. 30


Menschen 31 .

Man sieht das Volck sich durch aus hier rühren und in einigen Strasen wo Kaufmannsläden und Handwercks Boutiqun an einander sind, sieht es recht lustig aus. Denn da ist nicht etwa eine Thüre in den Laden oder das Arbeitszimmer, nein die ganze Breite des Hauses ist offen, man sieht alles was drinne vorgeht, die Schneider nehen, die Schuster arbeiten alle halb auf der Gasse. Die Boutiquen machen einen Theil der Gasse. Abends 32 wenn Lichter 33 brennen siehts recht lebendig.

Auf den Plätzen 34 ists an Marcktägen sehr voll. Gemüs und Früchte unübersehlich. Knoblauch und Zwiebeln nach Herzenslust. Ubrigens schreyen singen und schäckern sie den ganzen Tag, balgen sich, werfen sich, jauchzen und lachen unaufhörlich.

Der milde Himmel, die bequeme Nahrung läßt sie leicht leben, alles was nur kann ist unter freyem Himmel. Nachts geht nun das singen und lärmen recht an. Den Malbourouh 35 hört man auf allen Strasen. Dann ein Hakbret, eine Violin, sie üben sich alle Vögel mit Pfeifen nachzumachen, man hört Töne von denen man keinen Begriff hat. Ein solches Vorgefühl seines Daseyns giebt ein mildes Clima auch der Armuth und macht den Schatten des Volcks selbst noch respecktabel.

Die Unreinlichkeit und wenige Bequemlichkeit der Häuser kommt daher. In 36 ihrer Sorglosigkeit dencken sie an nichts. Dem Volck ist alles gut, der Mittelman lebt auch vom Tag zum andern fort, der Reiche und Vornehme allein kann darauf halten. Doch weis ich nicht wie es im Innern ihrer Palazzi aussieht. Die Vorhöfe, Säulengänge p sind alle mit Unrath besudelt und das ist ganz natürlich, man muß nur wieder vom Volck herauf steigen. Das Volck fühlt sich immer vor. Der Reiche kann reich seyn, Palläste bauen, der Nobile darf regiren, aber wenn er einen Säulengang, einen Vorhof anlegt, so bedient sich das Volck dessen zu seinem Bedürfniß und das hat kein dringenderes als das so schnell als möglich loszuwerden was es so häuffig als möglich zu sich genommen hat.

Will einer das nicht haben; so muß er nicht den Grosen Herren spielen; das heist: er muß nicht thun als wenn ein Theil seiner Wohnung dem Publiko zugehöre, er muß seine Thüre zumachen und dann ists gut. An öffentlichen Gebäuden läßt sich das Volck sein Recht nicht nehmen. Und so gehts durch ganz Italien.

Noch eine Betrachtung die man nicht leicht macht –

Und indessen ist das Abendessen gekommen und ich fühle mich müd und ausgeschrieben, denn ich habe den ganzen Tag die Feder in der Hand. Ich muß nun die Iphigenie selbst abschreiben, und diese Blätter dir zubereiten. Diesmal gute Nacht meine Beste. Morgen oder wann der Geist will meine Betrachtung.

d 16. Sept 86. Abends 10 Uhr.

  1. Ein schlechtes Kupfer liegt bey, bessere werden sich auf der Bibliotheck finden. > Ein Buch bis davon.  ↑
  2. eine > einen  ↑
  3. be benachbarten durch Seitenwechsel bedingt  ↑
  4. benachbarten erg  ↑
  5. Zierde → Zierrath  ↑
  6. ohne Ordnung erg  ↑
  7. einem > Einem  ↑
  8. einer > Einer  ↑
  9. eine > Eine  ↑
  10. und befestigt erg  ↑
  11. danach Rest des Blattes, ca vier Zeilen, unbeschrieben  ↑
  12. nach vorgeht Komma erg  ↑
  13. Amphiteeater → Amphitheater  ↑
  14. oder del Palio. erg  ↑
  15. machen, > machen?  ↑
  16. erg  ↑
  17. doppelt unterstrichen  ↑
  18. sie > die Büste  ↑
  19. letzten > niedern  ↑
  20. Dreyfuß erg (vielleicht auch als Korrektur gemeint)  ↑
  21. zwickeln > Zwickeln  ↑
  22. legen > falten  ↑
  23. in h → in Bronze ist, Reihenfolge geändert mittels Bezifferung 1-3  ↑
  24. doppelt unterstrichen  ↑
  25. doppelt unterstrichen  ↑
  26. mahlen, > mahlen?  ↑
  27. daran > Daran  ↑
  28. Hungriche > Hungrige  ↑
  29. und → um  ↑
  30. danach Rest des Blattes, ca ein Drittel, unbeschrieben  ↑
  31. doppelt unterstrichen  ↑
  32. Abens > Abends  ↑
  33. lichter > Lichter  ↑
  34. Pläzen > Plätzen  ↑
  35. Malborrouh > Malbourouh  ↑
  36. daher in > daher. In  ↑

H: GSA 27/9


Das Tagebuch ist durchweg von Goethe eigenhändig geschrieben, mit unterschiedlich kräftiger schwarzer und blasserer, bräunlicher Tinte. Es besteht aus fünf »Stücken«, vergilbten Quartblättern von leicht differierender Größe: ca 142–170 × 207–215 mm.

Jedes »Stück« ist foliiert. Lose am Ende beiliegend zwei Blätter: der zum »Dritten Stück« gehörende Vergleichungs Kreis der italiänischen und teutschen Uhr (siehe S. 220) und ein Entwurf dazu.

Nicht enthalten sind bei den fünf »Stücken« die Zeichnungen, die Goethe auf Extrablättern anfertigte und teilweise im Tagebuch, anfangs mit Nummern versehen, angab; siehe den Abschnitt: Zum »Reise-Tagebuch 1786« gehörige separate Zeichnungen (S. 568–569).

Wie alle Freunde Goethes war zwar auch Charlotte von Stein über sein Reisevorhaben uninformiert geblieben, aber ihr allein wandte er sich im »Reise-Tagebuch« zu, das er ihr ausdrücklich widmete (siehe S. 175, 23) und am 18. September 1786 erstmals brieflich ankündigte (WA IV 8, 23): Ich habe ein treues Tagbuch geführt und das Vornehmste was ich gesehn was ich gedacht aufgeschrieben und nach meiner Rechnung kannst du es in der Mitte Oktbr. haben. 〈…〉 Sag aber niemanden etwas von dem was du erhältst. Es ist vorerst ganz allein für dich. Der geschätzte Empfangstermin deutet darauf hin, daß Goethe zunächst »Stück« 1 und 2 des Tagebuchs übersenden wollte. Dann scheint er sich anders besonnen und es erst aus Venedig, ergänzt um »Stück« 3 und 4, abgeschickt zu haben (siehe Tgb 13. Oktober; S. 286, 8–10). Am 14. Oktober 1786 beauftragte er seinen Diener Philipp Friedrich Seidel brieflich (WA IV 8, 36): Sage der Frau von Stein: das versprochene Tagebuch würde später kommen, weil es nicht mit der Post, sondern mit Fuhrleuten ginge. Diese Sendung aus Venedig stand jedoch am Jahresende versehentlich noch ungeöffnet in Goethes Haus (vgl seinen Brief an Philipp Friedrich Seidel vom 30. Dezember 1786), so daß seine Absicht, Frau von Stein schnellstmöglich eingehend zu informieren, verfehlt wurde, und er bereute (Brief vom 17.–20. Januar 1787; WA IV 8, 139): Warum schickt ich dir nicht das Tagebuch von jeder Station! Das fünfte und letzte »Stück« sandte Goethe am 12. Dezember aus Rom (siehe S. 318, 12–15), nachdem sich sein Vorhaben, das Tagebuch dort fortzuführen, nicht hatte verwirklichen lassen (an Charlotte von Stein, 7.–11. November 1786; WA IV 8, 47): 〈…〉 hier ⟨in Rom⟩ wollt ich es fortsetzen allein es ging nicht. Auf der Reise rafft man auf was man kann, jeder Tag bringt etwas und man eilt auch darüber zu dencken und zu urtheilen. Hier kommt man in eine gar große Schule, wo Ein Tag soviel sagt und man doch von dem Tage nichts zu sagen wagt. Und nochmals an Charlotte von Stein (17.–20. Januar 1787; WA IV 8, 139–140): In Rom konnt ich nicht mehr ⟨Tagebuch⟩ schreiben. Es dringt zu eine grose Masse Existenz auf einen zu, man muß eine Umwandlung sein selbst geschehen laßen, man kann an seinen vorigen Ideen nicht mehr kleben bleiben, und doch nicht einzeln sagen worinn die Aufklärung besteht.

Die Intention, die in Weimar verbliebene Empfängerin des Tagebuchs fortlaufend zu informieren, verband Goethe damit, sich selbst Aufzeichnungen für spätere Verwendungszwecke zu machen. Deshalb gab er Charlotte von Stein kund (14. Oktober 1786; WA IV 8, 30–31): Anfangs gedacht ich mein Tagebuch allgemein zu schreiben, dann es an dich zu richten und das Sie zu brauchen damit es kommunikabel wäre, es ging aber nicht es ist allein für dich. Nun will ich dir einen Vorschlag thun. / Wenn du es nach und nach abschriebst, in Quart, aber gebrochne Blätter, verwandeltest das Du in Sie und liesest was dich allein angeht, oder du sonst denckst weg; so fänd ich wenn ich wiederkomme gleich ein Exemplar in das ich hinein korrigiren und das Ganze in Ordnung bringen könnte. Umfassend redigiert wurde das »Reise-Tagebuch 1786« erst zwischen Ende 1813 und 1815 für den Abdruck innerhalb der Autobiographie »Aus meinem Leben. Zweyter Abtheilung Erster Theil: Italienische Reise. Auch ich in Arkadien« (Stuttgart, Tübingen 1816; der Titel »Italiänische Reise« erst in: Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Bd 27. Stuttgart und Tübingen 1829). Nach der Rückkehr von Italien benutzte Goethe es teilweise als Quelle für seine Artikelserie »Auszüge aus einem Reisejournal«, die 1788–1789 anonym in Wielands Zeitschrift »Der Teutsche Merkur« erschien.

Eine nach Goethes brieflichem Vorschlag angefertigte oder eine andersartige Abschrift muß zustande gekommen sein, denn er verweigerte sie Herder, der sie für seine Italienreise erbeten hatte: Die Abschrift meines Reise Journals gäbe ich höchst ungerne aus Händen, meine Absicht war sie ins Feuer zu werfen. (Ende Juli/Anfang August 1788; WA IV 9, 8) Diese Absicht wurde wohl später noch verwirklicht, denn vom »Reise-Tagebuch 1786« ist keine Abschrift überliefert. Caroline Herder konnte es »nach 1791« lesen (HB 6, 311); ob abschriftlich oder original, läßt sich nicht ausmachen. Auch wann und wie Goethe seine Handschrift von Charlotte von Stein zurückerhalten hat, ist nicht mehr zu rekonstruieren.

Die fünf »Stücke« des Tagebuchs sind bis zum Herbst 1996 (bis zur Verfilmung für den unter D genannten Faksimiledruck) eingebunden gewesen in einem ca 3 mm dicken braun-beige marmorierten Pappeinband. In Golddruck steht auf dem Rücken des nun lose beiliegend aufbewahrten Einbandes, zwischen horizontalen Zierleisten, auf schwarzem Untergrund: »Italiänische / Reise. / 1786.« Genaues Alter des Einbandes und des Aufdrucks sind unbestimmbar. Sie scheinen aus der zweiten Hälfte des 19. Jh herzurühren. Die Innenseiten des Einbandes bestehen aus leicht grauem, gröberem Papier. Auf dem Nebenblatt der vorderen Innenseite steht rechts oben mit Rötel der Vermerk: 24.


Erstes Stück:

33 Quartblätter, ca 170 × 210 mm, einschließlich des Titelblatts. Vergilbtes Schreibpapier, am rechten Rand meist etwas ungerade beschnitten. Vertikal auf Mitte gebrochen.

Die Zählung, mit Bleistift und jeweils Vs rechts oben, beginnt nach dem Titelblatt und überspringt das folgende, unbeschriebene Blatt. Außerdem sind unbeschrieben: Titelblatt Rs, Bl 23 Rs (letztes Blatt der Note a), Bl 27 (zwischen Note c und Note d), Bl 31 Rs (Schlußblatt).

Auf ganzer Breite beschrieben ist Bl 18 (d. 9 Sept. 86 Abends. bis G; siehe S. 175,20–176,6). Ansonsten wurde zunächst nur die rechte Hälfte der gebrochenen Blätter beschrieben und die linke dann für Ergänzungen genutzt. Die Ergänzung d 6. S. (S. 169,9) wurde erst mit Bleistift geschrieben und dann mit Tinte nachgezogen.

Innerhalb des Textes auf Bl 26 Rs Zeichnung: Fig 1 und 2, 80 × 50 mm, Feder mit schwarzer Tinte (S. 180; Corpus V B, Nr 50).


Zweytes Stück:

35 Quartblätter, einschließlich des Titelblatts. Papier, Format und Brechung wie im »ersten Stück«.

Die Zählung, mit Bleistift und jeweils Vs rechts oben, beginnt auf dem Titel und dann neu auf dem Blatt mit dem Eintrag Trent d. 10 Sept. (S. 187). Dieses Blatt, wie auch das folgende, trägt zweifache Paginierung: 1 und 5 bzw. 2 und 6. Unpaginiert sind das Schlußblatt und je ein unbeschriebenes Blatt vor Bl 21 (vor Note a; S. 200) und vor Bl 24 (vor Note d; S. 202). Letzteres ist zudem am oberen Rand unaufgeschnitten.

Ferner sind unbeschrieben: Titelblatt Rs, Bl 2 Rs (Vs: Übersicht der Stationen) und Bl 3–4 der ersten Zähleinheit.

Auf ganzer Breite beschrieben ist Bl 26, Verzeichniß der Gebirgsarten (S. 204). Ansonsten überwiegend nur rechtsseitig beschrieben, in der linken Hälfte gelegentliche Ergänzungen. Bl 15 Vs Ergänzung mit Bleistift: unter dem 45 Gr. 50 Min (S. 196,25).

Innerhalb des Textes, auf der linken Hälfte von Bl 3 Rs (der zweiten Zähleinheit) stark verblaßte Zeichnung mit Bleistift (ca 100 × 75 mm; Faksimile auf S. 189; Corpus VI A, Nr 273, dazu der Vermerk: »Nicht reproduzierbar.«; auch in WA III 1 nicht abgebildet), zur Veranschaulichung des Satzes (S. 188,14–16): Uber lange niedrige Lauben sind die Stöcke gezogen und die blauen Trauben hängen gar zierlich und reich von der Decke herunter.


Drittes Stück:

53 paginierte Kleinquartblätter und unpaginiertes Titelblatt; geripptes Papier, auf voller Breite beschrieben, nur schmaler linksseitiger Rand. Format bis Bl 29: ca 153 × 215 mm; ab Bl 30: ca 142 × 207 mm.

Die Paginierung, mit Bleistift und jeweils Vs rechts oben, springt von 15 auf 17. Das unpaginierte Bl 16 (150 × 217 mm) mit der inkorrekten, nicht eigenhändigen Bleistiftaufschrift »gehört zu pag 66 Rückseite« und mit dem Vergleichungs Kreis der italiänischen und teutschen Uhr (S. 220) »fand sich, nebst einem ⟨mittels Bleistift ausgeführten⟩ Entwurf auf grauem Packpapier ⟨ca 210 × 270 mm⟩, lose in einem kleinen dies Thema umfassenden Convolut vor« (WA III 1, 366). Der mit Zirkel und Tinte gezogene Vergleichungs Kreis hat einen Durchmesser von 49 mm, der handgezeichnete unregelmäßige Entwurfskreis von ca 85 mm. Die Stundenangaben im Kreis und die darüber bzw darunter stehenden Worte Mittag und Mitternacht sind mit Bleistift eingetragen. Der Entwurf ist stark vergilbt und liegt zusammen mit Bl 16 der Handschrift zum »Reise-Tagebuch 1786« am Ende gesondert bei.

Unbeschrieben sind Titelblatt Rs, Bl 15 Rs (nach: Ein Caligula pp. ⟨S. 219,15⟩), Bl 20 Rs (nach: und wird in der Zukunft dienen. ⟨S. 225,4–5⟩), Bl 21 Rs (nach Nr 35 im Verzeichniß der mitgenommen Steine. ⟨S. 225,19⟩) und am Ende Bll 47 Rs bis 53.

Auf Bl 17 Vs mit Bleistift die Ergänzung in der ietzigen Jahrszeit (S. 221,25).

Innerhalb des Textes auf Bl 33 Vs Zeichnung, 35 × 37 mm, Feder mit schwarzer Tinte (S. 233; Corpus VI A, Nr 118).


Viertes Stück:

61 Kleinquartblätter, ca 143 × 210 mm. Papier und Zeilenbreite wie »Drittes Stück«.

Die Zählung, mit Bleistift vorgenommen, beginnt nach dem Titelblatt und befindet sich bis Bl 54 rechts oben, dann links unten.

Leer sind Titelblatt Rs, ein unpaginiertes Blatt nach Bl 8 (nach: Schon die drey Tage die ich hier bin; S. 254,11) und Bll 55 Rs, 56 Rs und 57 Rs bis 59. Mit Bleistift ergänzt auf Bl 31 Vs (S. 271,3): (Erygnium maritimum.)

Zeichnungen innerhalb und am Ende des Textes:

Bl 6 Rs (S. 252): Säulen der Kolonnaden des Dogenpalastes in Venedig, 22 × 40 mm, Feder mit schwarzer Tinte; Corpus VI A, Nr 136.

Bl 23 Rs (S. 262): Gebälk vom Tempel des Antoninus und der Faustina in Rom, ca 165 × 143 mm, durchkopierte Umrißzeichnung nach Palladio (siehe Erläuterung 263,7–8) mit Bleistift, stark verblichen; Corpus VI A, Nr 132 (mit dem Vermerk: »Nicht reproduzierbar.«); auch in WA III 1 nicht abgebildet.

Bl 55 Vs (S. 287): Avocato Reccaini. Ca 210 × 143 mm, Bleistift und Feder mit Tusche und Bister; mit Tinte betitelt, mit Bleistift der Zusatz ad pag. 15. (= S. 258,20–24); Corpus VI A, Nr 119; in WA III 1 nicht abgebildet.

Bl 56 Vs (S. 288): Profil der Mauern bey Palestrina. 60 × 143 mm, gezeichnet und betitelt mit Feder und Bister; mit Bleistift der Zusatz ad pag. 43. (= S. 278,33–279,4); Corpus VI A, Nr 137; in WA III 1 nicht abgebildet.


Fünftes Stück:

36 Kleinquartblätter, einschließlich des Titelblatts, bis Bl 26 ca 146 × 214 mm, ab Bl 27 ca 143 × 210 mm. Papier und Zeilenbreite wie »Drittes Stück«. Paginierung mit Bleistift und jeweils Vs links unten.

Unbeschrieben sind Titelblatt Rs, Bl 2 (gleich auf das Titelblatt folgend), Bl 34 Rs (nach dem letzten Tgb-Eintrag), Bl 35 Rs (nach Gesteinsverzeichnis) und Bl 36.

Auf Bl 16 Vs mit Bleistift erg 8 und NB auch findet sich reiner Gypsspat 9 (S. 303,11). Außerdem im gesamten »Stück« zahlreiche Korrekturen mit Bleistift.


Notizen und Entwürfe zu H:

Auswahlweise mitgeteilt innerhalb der Paralipomena zu IR 1 in WA I 30, 297–300. Zu ihnen gehört auch der unter »Drittes Stück« angeführte Entwurf zum (S. 220 abgebildeten) Vergleichungs Kreis der italiänischen und teutschen Uhr.


D:

Friedrich Wilhelm Riemer: Mittheilungen über Goethe. Aus mündlichen und schriftlichen, gedruckten und ungedruckten Quellen. Bd 2. Berlin 1841. S. 208–213 und 219 (zitathafte Auszüge)

SchrGG, Bd 2: Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder. Mit Beilagen. Hrsg von Erich Schmidt. Weimar 1886. S. 9–214 (vollständiger Erstdruck, aber ohne die zum »Reise-Tagebuch 1786« gehörigen separaten Zeichnungen)

WA III 1, 143–331, udT: Tagebuch der Italiänischen Reise für Frau von Stein. (ohne die dazugehörigen Gesteinsverzeichnisse und separaten Zeichnungen)

Johann Wolfgang Goethe: Reise-Tagebuch 1786 (Italienische Reise). Bd 1–2. Hrsg von Konrad Scheurmann und Jochen Golz mit Transkription von Wolfgang Albrecht. Mainz 1997 (Faksimiledruck von H ohne die separaten Zeichnungen und ein Beiheft, lose beiliegend das Blatt mit dem Vergleichungs Kreis der italiänischen und teutschen Uhr und der Entwurf dazu)



Zum »Reise-Tagebuch 1786« gehörige separate Zeichnungen


Einen Teil der Zeichnungen, die auf der Reise nach Rom entstanden, numerierte Goethe und sandte sie zusammen mit dem »Reise-Tagebuch«, worin sie – meist mit Nummernangabe – erwähnt sind, an Charlotte von Stein. 1788, nach der Heimkehr, vereinigte er die Hauptmasse der in Italien angefertigten Zeichnungen zu einem gehefteten Sammelband (beschrieben von George von Graevenitz in: GJb 1911, S. 12–18), zu dessen erster Abteilung die nachfolgend aufgelisteten Zeichnungen gehört haben. Dieser Sammelband ist dann, zwischen den beiden Weltkriegen, im Zuge von Neuordnungen des Goethe-Nachlasses aufgelöst worden.

Der nachstehenden Abfolge entsprechend finden sich die Zeichnungen, als Abbildung 1–15, nach S. 321 des Textbandes.

Wenn nicht anders angegeben, sind die Beschriftungen eigenhändig mit Bleistift.


No 1 Posthaus Zwota

MSWK: InvNr 145. Corpus II, Nr 1.

174 × 305 mm, blaugraues Papier mit Stockflecken. Bleistift, Kohle. Beschriftung Rs.


No 2 Donau

MSWK: InvNr 146. Corpus II, Nr 5; dort betitelt: Donau bei Regensburg.

186 × 316 mm, weißes Papier. Bleistift (gelöscht), Feder mit Tusche.


No. 2b Donau

MSWK: InvNr 146 Rs. Corpus II, Nr 5; dort betitelt: Kalkfelsen bei Saal a. d. Donau.

Auf No. 2 Rs. Bleistift.


3. Cochl

MSWK: InvNr 147. Corpus II, Nr 7; dort betitelt: Kochelsee-Ufer.

186 × 307 mm, weißes Papier, stark vergilbt. Bleistift.


No 3b gegen den Cochl. See

MSWK: InvNr 147 Rs. Corpus II, Nr 7; dort betitelt: Kochelsee-Ufer von entfernterem Standpunkt.

Auf No 3 Rs. Bleistift.


No 4 Am Walch See

MSWK: InvNr 148. Corpus II, Nr 9; dort betitelt: Walchensee-Ufer.

174 × 308 mm, blaugraues Papier mit Stockflecken. Bleistift. Beschriftung Vs.


No. 5 Cirl

MSWK: InvNr 149. Corpus II, Nr 10; dort betitelt: Vom Gebirge umschlossenes Tal bei Zirl.

174 × 309 mm, blaugraues Papier mit Stockflecken. Bleistift. Beschriftung Vs.


Brenner

MSWK: InvNr 150. Corpus II, Nr 11; dort betitelt: Gegen den Brenner. (Es ist aber nur noch der Name zu erkennen.)

186 × 305 mm, braunes Papier. Bleistift, Kohle. Beschriftung Vs (Titel) und RS: 6.


Brenner

MSWK: InvNr 152 Rs. Corpus II, Nr 12; dort betitelt: Brennerpaß.

188 × 306 mm, stark vergilbtes, einst weißes Papier. Bleistift. Bei der Beschriftung noch eine unleserliche Zahlenangabe.


Roveredo

MSWK: InvNr 151. Corpus II, Nr 13; dort betitelt: Rovereto a. d. Etsch.

186 × 315 mm, weißes Papier. Bleistift, Feder mit Tusche, Tuschlavierung. Beschriftung Rs (Titel) und Vs: 7. (Rs findet sich ferner die kaum noch erkennbare Skizze einer mehrjochigen Brücke.)


Hafen von Torbole

MSWK: InvNr 156. Corpus II, Nr 15; dort betitelt: Hafen Torbole am Gardasee.

188 × 306 mm, vormals weißes und jetzt stark vergilbtes Papier. Bleistift. Beschriftung Rs (Titel) und Vs: 8.


Lago di Garda

MSWK: InvNr 153. Corpus II, Nr 14; dort betitelt: Gardasee, vom Hafen Torbole gesehen.

188 × 306 mm, vormals weißes und jetzt stark vergilbtes Papier. Bleistift. Beschriftung Rs (Titel) und Vs: 9.


L. d. G.

MSWK: InvNr 152. Corpus II, Nr 12; dort betitelt: Gardasee mit Riva, Monte Brione und Torbole.

188 × 306 mm, weißes Papier mit braunen Farbflecken. Bleistift. Beschriftung Vs: Titel und 10.


Castel di Malsesine al Lago di Garda

MSWK: InvNr 154. Corpus II, Nr 16; dort betitelt: Castell Malcesine am Gardasee.

186 × 309 mm, ursprünglich weißes, vergilbtes Papier. Bleistift. Beschriftung Vs: Titel und 11.


Venedig

MSWK: InvNr 155. Corpus II, Nr 22; mit gleichem Titel.

187 × 314 mm, graubraunes Papier mit Stockflecken. Bleistift, schwarze Kreide. Beschriftung Rs. Laut WA III 1, 364 muß früher noch die Bezifferung erkennbar gewesen sein: 12.

Monument der alten Zeit] Siehe zu 198,28.

gut erhalten worden] Volkmann vermerkt (Bd 3, S. 691): »Das Gebäude wird auf Kosten der Stadt unterhalten; die untersten Sitze waren sonst ganz im Schutt vergraben, man hat solchen aber vor ohngefähr zehn Jahren weggeschaft, und den Kampfplatz so geebnet, daß zuweilen Thierhetzen darinn gehalten werden können; man wendet das Ampitheater ⟨sic⟩ also noch zu eben dem Gebrauch an, wozu es bereits vor 1700 Jahren gedienet hat.« Magistratsverordnungen zum Schutz des Theaters gab es schon seit dem 13. Jh; Restaurationsarbeiten begannen im 16. Jh, wofür ab 1579 eine Steuer erhoben wurde.

Ein Buch das nachkommt] Wahrscheinlich entweder »Degli Anfiteatri« von Francesco Scipione Maffei (auch als Bd 4 seines Werkes »Verona illustrata«) oder »Dell’ anfiteatro di Verona« von Alessandro Carli. Beide befinden sich nicht in Goethes Bibliothek, so daß das Buch vermutlich gar nicht erworben und abgesandt wurde.

der Kayser und der Papst] Joseph II. (nicht dem Ersten, wie irrtümlich in IR 1, WA I 30, 288; siehe dort Lesart zu 59,9) und Pius VI. zu Ehren wurden 1771 bzw. 1782 Stiergefechte im Amphitheater veranstaltet. Goethe war darüber wohl durch die Gedenktafeln an der Theatermauer informiert, hinsichtlich des Ereignisses von 1771 vielleicht auch durch Archenholtz’ »England und Italien« (Bd 2, S. 60–61).

das vielköpfige bis Thier] Erweiterung einer durch Horaz (Episteln I 1, 76) sprichwörtlich gewordenen Charakteristik des römischen Volkes: »belua multorum es capitum.« (»Du bist ein Untier mit vielen Köpfen.«)

ganz umhergegangen] Bei Volkmann heißt es (Bd 3, S. 692): »Auswendig bemerkt man an diesem Gebäude wenig architektonische Verzierungen. An der einen Seite fängt zwar eine Mauer mit drey Säulenordnungen über einander an, welche ala dell’ Arena heißt, es scheint aber, daß solche nie weiter ausgeführt worden.« Sie stürzte 1183 und 1221 bei Erdbeben ein, soweit sie nicht bereits üblicherweise als Steinlieferant gedient hatte.

f.] Floren oder Florin: in Deutschland dem Gulden entsprechende Goldmünze, die ursprünglich und seit dem 13. Jh in Florenz gepägt wurde.

Ballon] Frz Form des ital Begriffs pallone, der das Spiel mit einem luftgefüllten Ball bezeichnet. Es ist in IR 1 (WA I 30, 66–67) genauer beschrieben.

Arena] Der Sandplatz (abgeleitet von lat harena: Sand), das heißt die Spiel- oder Kampfstätte innerhalb des Amphitheaters.

Vier edle Veroneser] Vielleicht mit untergründigem Bezug zum Titel der Komödie »The two gentlemen of Verona« von Shakespeare.

etwa 2 Stunden vor Nacht] Das heißt nach italienischem Zeitmaß für die zweite Septemberhälfte: 17 Uhr; siehe den Vergleichungs Kreis der italiänischen und teutschen Uhr, S. 219.

Porta Stupa oder del Palio] 1542–1551 nach Entwürfen Michele Sanmichelis erbautes Tor (lat/ital porta); das größte in Verona. Die erste Bezeichnung (ital stuppa: geschlossen) erfaßte die von Goethe gedeutete Eigentümlichkeit des Bauwerkes, das erst seit 1866 als Straßentor dient. Den zweiten Namen erklärt Volkmann (Bd 3, S. 688, Fußnote 1): »Von dem Pferderennen, welches dabey gehalten. Der darauf gesetzte Preis heißt im Italienischen Pallio.« Es ist dies ein Stück Gold- oder auch Silberstoff gewesen, dessen Name zurückgeht auf lat pallium: Gewand. Eine regionale Version derartiger Preiskämpfe, als Bestandteil des römischen Karnevals, beschreibt Goethe in »Zweiter Römischer Aufenthalt« (WA I 32, 255–261).

neue Anlage des Corso zu verursachen] Sie ist später, im Zusammenhang mit der Toröffnung (siehe vorige Erläuterung), erfolgt.

Nobili] Stadtadlige.

Nun ein Wort] Variiert Tgb 19. September 1786; S. 226,7–22.

Theater und Museum] Das 1718 errichtete Teatro Filarmonico und ein 1744–1749 ausgeführter Anbau nach Entwürfen von Alessandro Pompei (1705–1772), veranlaßt von Maffei für sein 1719 begründetes Museo Lapidario (Steinmuseum; auch Museum Maffeianum genannt), die erste öffentliche Antikensammlung; ihre Bestände verzeichnete er in dem reich illustrierten Katalog »Museum Veronense«. Zu Goethes Besichtigung des Museums vgl im einzelnen Rodenwaldt.

Maffei bis Bescheidenheit] Gegen Volkmanns Bericht (Bd 3, S. 693), man habe Maffei »während seiner Abwesenheit im Jahre 1727« ein Ehrenbildnis gesetzt, doch er »ließ es aus Bescheidenheit wieder wegnehmen, und es ward erst nach seinem Tode wieder hingestellt«. Maffei selbst verweist hierfür auf das Vorbild des Augustus, der seinem Tatsachenbericht »Res gestae« (»Die geschehenen Dinge«) zufolge das Capitol und das Theater erneuern ließ »sine ulla inscriptione nominis mei« (»ohne eine Inschrift meines Namens«; Maffei, S. II–III).

Philharmoniker] Mitglieder der Academia Filarmonica, einer Vereinigung nach Art der frühaufklärerischen Sozietäten.

kannelirten Dorischen Zwerge] Mit lotrechten Rillen (Kanneluren) versehene dorische Säulen. »Da die dorische Ordnung in der Architekturtheorie des Vitruv bei mehrgeschossigen Fassaden die monumentale Basis zu vertreten hat, auf der die elegantere ionische Ordnung aufbaut, sind ›dorische Zwerge‹, ordnungswidrig neben ›glatten Jonischen Riesen‹, Beispiele einer gestörten Harmonie.« (MA 3/1, S. 665)

Jonischen Riesen] Die Säulen vor dem Theater.

des schönen Instituts] Des Museums.

von den niedern Zeiten] Aus der Spätantike, der Zeit des Niedergangs antiker Kultur.

Wercke des Maffei] »Museum Veronense«.

Interkolumnien] Der Freiraum zwischen Säulen; hier wohl auch Mauernischen gemeint.

Dreyfuß] Maffei, S. XCIII, Abb 8 und 9; vgl Rodenwaldt, S. 24.

Zwickeln] Hier: Dreieckige Verbindungsstücke zwischen den Halbbögen eines Freskos.

Geschichte der Psyche] Deckenfresken in der Villa Farnesina zu Rom, nach Entwürfen Raffaels 1517 ausgeführt von Giovanni Francesco Penni (um 1488–1528) und Giulio Romano (1492–1546). Das Sujet entstammt dem Märchen Amor und Psyche aus dem Roman »Der goldene Esel« von Apulejus. Goethe kannte den Freskenzyklus durch Abbildungen aus eigenem Besitz, zehn handkolorierte Stiche (1693) von Nicolas Dorigny (1658–1746), und sah die Originale am 18. November 1786; vgl IR 1 (WA I 30, 217) und an Charlotte von Stein, 15.–18. November 1786.

die Grabmähler] Einige ihrer Inschriften bemerkte beziehungsweise notierte Goethe erst beim zweiten Besuch des Veroneser Museums, 1790, in einem Notizbuch (WA III 2, 9). Und erst in IR 1 (WA I 30, 63) formulierte er die Erkenntnis über die ausgestellten Grabsteine: Von späterer Kunst sind sie 〈…〉. Es handelt sich überwiegend um spätantike griechische Originale.

Mann der neben seiner Frauen] Maffei, S. CXXI, Abb 3. Laut Inschrift Bruder und Schwester; vgl Rodenwaldt, S. 25.

zu einem Fenster heraus] Ergänzbar nach IR 1 (WA I 30, 63): heraussieht.

Vater und Mutter den Sohn] Maffei, S. XLVII, Abb 1; vgl Rodenwaldt, S. 26.

ein Paar] Laut Rodenwaldt (S. 25–26) Maffei, S. LI, Abb 1 oder S. XLVII, Abb 4. Nicht identisch mit dem Paar, auf das sich die Notiz bezieht über einen Grabstein worauf sich zwey Ehleute die Hand reichen (Ende März 1790 bei der Wiederbesichtigung des Museums; WA III 2,9).

ein Vater bis Abschied] Laut Rodenwaldt (S. 25) Maffei, S. XLIX, Abb 1 oder S. CXXXIX, Abb 6.

die Kupfer] Bei Maffei.

kein geharnischter Mann bis Auferstehung wartet] Wohl Erinnerung an die im Kloster Schönthal an der Jagst befindliche Grabplastik des Ritters Gottfried von Berlichingen (1480–1562), die als Frontispiz der Goethe bekannten »Lebens-Beschreibung Herrn Gözens von Berlichingen 〈…〉 zum Druck befördert, von Verono Franck von Steigerwald 〈…〉« (Nürnberg 1731) wiedergegeben ist, mit dem Text: »Und er wardet alhier eine frelige Aufferstehung.«

Diomed mit dem Palladio] Maffei, S. LXXV, Abb 4. Die Bronzeplastik entstand nach griechischen mythologischen Überlieferungen, denenzufolge Diomedes und Odysseus aus dem belagerten Troja ein schutzbietendes geheiligtes Standbild (Palladion) der Pallas Athene raubten, wodurch die Stadt ihre Unbesiegbarkeit verlor.

viel an Herdern gedacht] Wegen seiner Abhandlung »Wie die Alten den Tod gebildet?« (1774), die zur Ostermesse 1786 in erweiterter Neufassung innerhalb der »Zerstreuten Blätter. Zweite Sammlung« (Ruppert, Nr 957) erschienen war. Herder bezog sich auf Lessings Untersuchung »Wie die Alten den Tod gebildet« (1769), für die Maffeis »Museum Veronense« Anregungen und Anschauungsmaterial geliefert hatte. Lessing war vom 17. bis 19. Mai 1775 in Verona gewesen (vgl: Eine Reise der Aufklärung. Lessing in Italien 1775. Hrsg von Lea Ritter Santini. Bd 2. Berlin 1993, S. 527–528). Herder sah die Veroneser Antikensammlung am 4. September 1788, vgl den Brief an seine Frau vom Folgetag (HB 9, 425; Johann Gottfried Herder: Italienische Reise. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen 1788–1789. Hrsg, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Albert Meier und Heide Hollmer. München 1988, S. 96).

ein verzierter Pfeiler] Maffei, S. CXXXI; vgl Rodenwaldt, S. 14, Abb 5 und S. 24.

Dom] Duomo oder Santa Maria Matricolare; romanischen Ursprungs (8. Jh), mit späteren Umbauten, besonders aus dem 12. und 15. Jh.

Der Titian] »Mariae Himmelfahrt«; das erste Gemälde Tizians, das Goethe im Original sah.

von seiner geringsten Zeit] Vielmehr aus einer reiferen Periode, den Jahren um 1540.

nicht hinaufwärts] Diese Beobachtung Goethes war lange umstritten, hat sich aber durch eine Restaurierung des Gemäldes bestätigt. Den traditionellen himmelwärts gerichteten Blick hat Maria auf einer späteren, berühmteren Version Tizians von diesem Motiv (in der Kirche Santa Maria dei Frari, Venedig), die Goethe aber im »Reise-Tagebuch« nicht erwähnt.

St. Giorgio] San Giorgio in Braida; 780 gegründet, im 15. und 16. Jh umgebaut.

Gallerie von guten Gemählden] Insbesondere repräsentativ für die oberitalienische Tafelmalerei des 16. Jh; zwei Altarbilder stammen von Paolo Veronese.

Ein Mannaregen] Von Felice Brusasorci gegen 1600 begonnen, nach 1600 beendet von Pasquale Ottino und Alessandro Turchi.

Fus] Siehe zu 171,27.

das Wunder der 5 Brodte] Von Paolo Farinato; nach Matthäus 14, 16–21 und Markus 6, 37–44 sowie Johannes 6, 5–13.

Einer] Giovanni Francesco Caroto. Bei Volkmann nicht erwähnt; vielleicht deshalb die Lücke im Text. Der Name ist auch in IR 1 nicht angegeben.

die Hl. Ursula mit den 11/m Jungfr] Eine christliche Legende aus dem 12. Jh, derzufolge sich die britannische Königstochter Ursula der Ehe mit einem Heidenprinzen entzog und von zehn Freundinnen sowie jeweils 1000 Jungfrauen Gefolge begleitet nach Rom pilgerte. Auf dem Rückweg seien alle 11000 Jungfrauen bei Köln von einem Hunnenheer erschlagen worden.

m] Mille: Tausend.

Den Malbourouh] Das europäische Volkslied »Malbrough s’en va-t-en guerre« (»Malbrough zieht in den Krieg«), das um 1710 zum Spottlied auf den militärisch zwar erfolgreichen,

doch an persönlichen Machtbestrebungen gescheiterten Herzog von Marlborough umgedeutet worden war. Im 1789 erschienenen Abschnitt 9 (»Volksgesang«) der »Auszüge aus einem Reise-Journal« (späterer Titel: »Über Italien. Fragmente eines Reisejournals«) teilte Goethe mit (WA I 32, 350): Im Jahre 1786 hörte man noch überall den Marlborough, der halb Italiänisch, halb Französisch, ungefähr auf seine bekannte Melodie, auf allen Straßen gesungen ward. Eine deutsche Übersetzung hatte 1784 das »Tiefurter Journal« gebracht (Stück 43; SchrGG 7, 317–319). Vgl des Näheren Max Friedlaender: Das Lied vom Marlborough. In: Deutsche Rundschau. Bd 50. Berlin 1924. Heft 7, S. 46–65.

Hakbret] Ein der Zither ähnliches Saiteninstrument, das jedoch im Unterschied zu dieser nicht gezupft, sondern mit zwei Hämmerchen angeschlagen wird.

Mittelman] Mensch aus dem mittleren, dem bürgerlichen Stand.

Iphigenie selbst abschreiben] Weil die von Schreiberhand gefertigte Kopie der Prosafassung, die Goethe mit nach Italien genommen hatte, durch zahlreiche Korrekturen und Veränderungen völlig unübersichtlich geworden war. Von der eigenhändigen, wiederum durchkorrigierten Abschrift gibt es einen Fasimiledruck, herausgegeben von Hans Wahl (Leipzig 1938).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, 16.9.1786 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_1104.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 209–216 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. – (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

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