Goethes Briefe: GB 2, Nr. 100
An Johann Caspar Lavater

〈Frankfurt a. M. , zwischen 9. Februar und Anfang März? 1774〉 → 〈Zürich〉

〈Abschrift〉


〈…〉 das ​Eine Wort, darinn wir verschieden sind 〈…〉 Wir haben einen Meßias 〈…〉 Es ist ein Meßias. 〈…〉

Lavaters Brief, aus dem die Goethe-Zitate stammen, ist in Goethe-Lavater​2 (6, Beilage 131, Nr 14) auf 1774 datiert. Eine genauere Datierung ergibt sich daraus, dass sich der zitierte Goethe-Brief auf Lavaters Brief vom 5. Februar 1774 bezieht (vgl. Goethe-Lavater​3, 19–21). Darin hatte Lavater wie schon am 19. November 1773 (vgl. die Erläuterungen zu Nr 67 ) um das (gezeichnete oder schriftliche?) Porträt Christi für seine „Physiognomischen Fragmente“ gebeten: „Goethe – zeichne mir erhabnes Ideal, oder was du willst – Christus 〈…〉.“ (Goethe-Lavater​3, 20.) Wie damals scheint Goethe Zweifel geäußert zu haben (vgl. Nr 71 ) – hier an der historischen Person Jesus von Nazareth –, auf die Lavater in seinem Antwortbrief eingeht (abgedruckt im Anschluss an die folgenden Erläuterungen). Ein weiterer Anhaltspunkt für die Datierung dieses Briefes ist die Erwähnung von Goethes „Prolog zu den neusten Offenbarungen Gottes“ (Gießen 1774; vgl. den folgenden Abdruck des Antwortbriefes, Zeile 18), von welchem Goethe erste Exemplare Mitte Februar 1774 erhalten hatte (vgl. QuZ 4, 741, Anm. 1). Wenn Lavater ein Exemplar von Goethe bekommen hatte, könnte dies in der zweiten Februarhälfte geschehen sein und Lavaters ungenau datierter Brief mit den vorliegenden Goethe-Zitaten etwa von Ende Februar 1774 stammen. Wenn hingegen Lavater den „Prolog“ aus dem Buchhandel bezogen hatte, wäre sein Brief in eben dieser Zeit geschrieben worden. Im Buchhandel war die Schrift wohl erst in der ersten Hälfte des März zu bekommen. (In einem Brief Ludwig Julius Friedrich Höpfners an Friedrich Nicolai mit Empfangsvermerk vom 14. März 1774 wird der „Prolog“ als literarische Neuigkeit hervorgehoben [vgl. A. Cohn u. a.: Dreizehn Briefe nebst einem Fragment Goethes. In: GJb VIII (1887), 126].) Unter diesen Voraussetzungen könnte der von Lavater zitierte Goethe-Brief – bei einem Postweg zwischen Frankfurt und Zürich von etwa vier Tagen (vgl. Datierung zu Nr 67 und 84 ) – frühestens am 9. Februar geschrieben worden sein (als direkte Antwort auf Lavaters Brief vom 5. Februar) oder später im Zeitraum bis etwa Anfang März 1774 (möglicherweise als Begleitbrief zur Übersendung des „Prologs“).

H: Verbleib unbekannt.

h: Zentralbibliothek Zürich. – Zitat in einer von Lavater veranlassten Abschrift seines Briefes an Goethe von Ende Februar/erste Hälfte März? 1774 (vgl. Goethe-Lavater​2, 6, Beilage 131, Nr 14), dessen Original Goethe vermutlich verbrannt hat; vgl. dessen Tagebücher unter dem 2. und 9. Juli 1797 (GT II 1, 119 und 120) sowie die „Tag- und Jahres-Hefte“ für 1797 (WA I 35, 73]).

E: Goethe-Lavater​2 (1898), 6, Beilage 131, Nr 14 (nach h).

D: Goethe-Lavater​3 (1901), 21, Nr 14 (nach h).

WA: Nicht gedruckt.

Textgrundlage: h.

Der Brief beantwortet (unmittelbar oder mittelbar) Lavaters Brief vom 5. Februar 1774 (vgl. Datierung; RA 1, 55, Nr 23 ; Goethe-Lavater​3, 19–21, Nr 13). – Lavater antwortete mit einem Brief von Ende Februar/erste Hälfte März? 1774 (vgl. Datierung; RA 1, 55, Nr 24 ; Goethe-Lavater​3, 21 f., Nr 14).

Über den möglichen Inhalt des vorliegenden Briefes vgl. Datierung.


Lavaters Antwortbrief von Ende Februar/erste Hälfte März? 1774 (nach h):


Und welches ist denn das ​Eine Wort, darinn wir verschieden sind?

Du sagst: Wir haben einen Meßias; oder, Es ist ein Meßias.

Ich sage, Jesus von Nazareth ist's.

Laß mich ​fragen – u: antworte mir.

Wie kannst ​Eine Gottheit glauben, wenn du nicht an Christum glaubst?

Denselben Augenblick bin ich ein Atheist, wenn ich kein Christ mehr bin.

Glaub' ich – o wer faßt dieß, als Pf× ×̣ × u: G×.× ? Glaub' ich einen Gott, so bin ich in Gott ….

Glaub' ich an Christus – so glaub' ich eigentlich nur einen Gott. Wenn Jesus Christus nicht mein Gott ist – so hab' ich keinen Gott mehr – u: G. u: P. u: L. sind Traümer, nicht Brüder, nicht Kinder ​eines ​Vaters – nicht unsterblich. – So ist Freündschaft nichts, – alles Zauberspiel, keine Existenz p. p.

Ich mag Wahrheit ertragen, Bruder, lade sie mir auf. – vor dem unvollkommnen Schattenriß steh' ich, staun' ich – horche, harre – von ​dem will ich lernen – aber – Bruder, gieb mir feste Wahrheit, – nicht wie sie die Welt giebt – nicht wie sie Apostel Satans – die sich Christus Diener nennen, geben. Ich will sie auffaßen; Sie soll mein Ich werden – verhalte sie nicht.

O du Verfaßer des PastorBriefs – u: des Prologs – du einiger Schmeker u: Seher des ​Bibelgeistes ​wie kannst ​du zweifeln, daß Jesus Blut Leben der Welt sey.

Noch einmal deinen Schatten, u: was du willt. –

Z. 1774.


7 Pf× ×̣ × ] Johann Conrad Pfenninger, Freund und Adjunkt Lavaters (vgl. einleitende Erläuterung zu Nr 107 ). 7 G×.× ] Goethe. 10 G. u: P. u: L.] Goethe und Pfenninger und Lavater. 13 mag] Im 18. Jahrhundert noch in der Bedeutung ‚vermag‘. 13–14 unvollkommnen Schattenriß] Dieses Profil Goethes hatte Lavater Ende Januar/Anfang Februar mit einem „Stoß Silhouettes“ bekommen (Brief an Goethe, 5. Februar 1774; Goethe-Lavater​3, 19); vermutlich handelt es sich um den Schattenriss, welchen Lavater in seinen „Physiognomischen Fragmenten“ (1, 223) veröffentlichte und den Herder „nur etwas känntlich“ fand (Brief an Hamann, 25. August 1775; HB 3, 205). Lavater kommentiert die Abbildung: „Die 〈…〉 Silhouette ist nicht vollkommen, aber dennoch bis auf den etwas verschnittenen Mund, der getreue Umriß von einem der größten und reichsten Genies, die ich in meinem Leben gesehen.“ (Physiognomische Fragmente 1, 223.) 17 verhalte] Verhalten: „Zurück halten“ (Adelung 4, 1055). 18 PastorBriefs] Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***. 18 Prologs] Vgl. Datierung. 18 einiger] Einziger (vgl. Adelung 1, 1711). 19–20 Jesus Blut Leben der Welt] Nach christlicher Auffassung hat Jesus durch den Tod am Kreuz die Menschen von der Sünde und vom Zorn Gottes erlöst; vgl. die Apostelbriefe (Paulus an die Epheser, 1,7; 1 Petrus 1,18 f.; 1 Johannes 1,7). 22 Z.] Zürich.


 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 100 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR100_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 78, Nr 100 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 217–219, Nr 100 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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