BuG: BuG I, A 74
Leipzig vor 13. 10. 1767

An Behrisch 20. 11. 1767 (WA IV 1, 145)

Leipzig vor 13. 10. 1767

Wir haben oft geredet, warum sie [Käthchen Schönkopf] mich lieben möchte? Wir haben viel Stolz in ihren Bewegursachen zu finden geglaubt.

Dichtung und Wahrheit VII (WA I 27, 142)

Leipzig vor 13. 10. 1767

Der Graf Lindenau war schon eine Zeit lang mit dem Hofmeister seines Sohns nicht ganz zufrieden. Denn obgleich der junge Mann keineswegs vernachlässigt wurde und Behrisch sich entweder in dem Zimmer des jungen Grafen oder wenigstens daneben hielt, wenn die Lehrmeister ihre täglichen Stunden gaben, die Collegia mit ihm sehr ordentlich frequentirte, bei Tage nicht ohne ihn ausging, auch denselben auf allen Spaziergängen begleitete, so waren wir andern doch auch immer in Apels Hause zu finden und zogen mit, wenn man lustwandelte; das machte schon einiges Aufsehen. Behrisch gewöhnte sich auch an uns, gab zuletzt meistentheils Abends gegen neun Uhr seinen Zögling in die Hände des Kammerdieners und suchte uns im Weinhause auf, wohin er jedoch niemals anders als in Schuhen und Strümpfen, den Degen an der Seite und gewöhnlich den Hut unter’m Arm zu kommen pflegte. Die Späße und Thorheiten, die er insgemein angab, gingen in’s Unendliche. So hatte z. B. einer unserer Freunde die Gewohnheit punct Zehne wegzugehen, weil er mit einem hübschen Kinde in Verbindung stand, mit welchem er sich nur um diese Zeit unterhalten konnte. Wir vermißten ihn ungern, und Behrisch nahm sich eines Abends, wo wir sehr vergnügt zusammen waren, im Stillen vor, ihn dießmal nicht wegzulassen. Mit dem Schlage zehn stand jener auf und empfahl sich. Behrisch rief ihn an und bat, einen Augenblick zu warten, weil er gleich mitgehen wolle. Nun begann er auf die anmuthigste Weise erst nach seinem Degen zu suchen, der doch ganz vor den Augen stand, und gebärdete sich bei’m Anschnallen desselben so ungeschickt, daß er damit niemals zu Stande kommen konnte. Er machte es auch anfangs so natürlich, daß niemand ein Arges dabei hatte. Als er aber, um das Thema zu variiren, zuletzt weiter ging, daß der Degen bald auf die rechte Seite, bald zwischen die Beine kam, so entstand ein allgemeines Gelächter, in das der Forteilende, welcher gleichfalls ein lustiger Geselle war, mit einstimmte, und Behrisch so lange gewähren ließ, bis die Schäferstunde vorüber war, da denn nun erst eine gemeinsame Lust und vergnügliche Unterhaltung bis tief in die Nacht erfolgte.

Unglücklicher Weise hatte Behrisch, und wir durch ihn, noch einen gewissen anderen Hang zu einigen Mädchen, welche besser waren als ihr Ruf; wodurch denn aber unser Ruf nicht gefördert werden konnte. Man hatte uns manchmal in ihrem Garten gesehen, und wir lenkten auch wohl unsern Spaziergang dahin, wenn der junge Graf dabei war. Dieses alles mochte zusammen aufgespart und dem Vater zuletzt berichtet worden sein: genug er suchte auf eine glimpfliche Weise den Hofmeister los zu werden.

Dichtung und Wahrheit VII (WA I 27, 145)

Leipzig vor 13. 10. 1767

Der Verlust eines Freundes, wie Behrisch, war für mich von der größten Bedeutung. Er hatte mich verzogen, indem er mich bildete, und seine Gegenwart war nöthig, wenn das einigermaßen für die Societät Frucht bringen sollte, was er an mich zu wenden für gut gefunden hatte. Er wußte mich zu allerlei Artigem und Schicklichem zu bewegen, was gerade am Platz war, und meine geselligen Talente herauszusetzen. Weil ich aber in solchen Dingen keine Selbstständigkeit erworben hatte, so fiel ich gleich, da ich wieder allein war, in mein wirriges störrisches Wesen zurück, welches immer zunahm je unzufriedner ich über meine Umgebung war, indem ich mir einbildete, daß sie nicht mit mir zufrieden sei. Mit der willkürlichsten Laune nahm ich übel auf, was ich mir hätte zum Vortheil rechnen können, entfernte manchen dadurch, mit dem ich bisher in leidlichem Verhältniß gestanden hatte, und mußte bei mancherlei Widerwärtigkeiten, die ich mir und andern, es sei nun im Thun oder Unterlassen, im Zuviel oder Zuwenig zugezogen hatte, von Wohlwollenden die Bemerkung hören, daß es mir an Erfahrung fehle. Das Gleiche sagte mir wohl irgend ein Gutdenkender, der meine Productionen sah, besonders wenn sie sich auf die Außenwelt bezogen ... Auch meinem Freunde Behrisch hatte ich manchmal zugesetzt, er solle mir deutlich machen, was Erfahrung sei? Weil er aber voller Thorheiten steckte, so vertröstete er mich von einem Tage zum andern und eröffnete mir zuletzt, nach großen Vorbereitungen: die wahre Erfahrung sei ganz eigentlich, wenn man erfahre, wie ein Erfahrner die Erfahrung erfahrend erfahren müsse. Wenn wir ihn nun hierüber äußerst ausschalten und zur Rede setzten, so versicherte er, hinter diesen Worten stecke ein großes Geheimniß, das wir alsdann erst begreifen würden, wenn wir erfahren hätten, – und immer so weiter: denn es kostete ihm nichts, Viertelstunden lang so fortzusprechen; da denn das Erfahren immer erfahrner und zuletzt zur wahrhaften Erfahrung werden würde. Wollten wir über solche Possen verzweifeln, so betheuerte er, daß er diese Art sich deutlich und eindrücklich zu machen, von den neusten und größten Schriftstellern gelernt, welche uns aufmerksam gemacht, wie man eine ruhige Ruhe ruhen und wie die Stille im Stillen immer stiller werden könnte.

Eckermann, Gespräche 24. 1. 1830 (Houben1 S. 309)

B2 2760

Leipzig vor 13. 10. 1767

Wenn wir [Goethe und Behrisch] zusammen im Fenster lagen, und Behrisch in der Straße den Briefträger kommen sah, wie er von einem Hause ins andere ging, nahm er gewöhnlich einen Groschen aus der Tasche und legte ihn bey sich ins Fenster. Siehst Du den Briefträger? sagte er dann zu mir gewendet, er kommt immer näher und wird gleich hier oben seyn, das sehe ich ihm an. Er hat einen Brief an Dich, und was für einen Brief, keinen gewöhnlichen Brief, er hat einen Brief mit einem Wechsel, – mit einem Wechsel! ich will nicht sagen wie stark. – Siehst Du, jetzt kommt er herein. Nein! – Aber er wird gleich kommen. Da ist er wieder. Jetzt! – Hier! hier herein mein Freund! hier herein! – Er geht vorbey? Wie dumm! o wie dumm! Wie kann einer nur so dumm seyn und so unverantwortlich handeln! So unverantwortlich in doppelter Hinsicht! Unverantwortlich gegen Dich, indem er Dir den Wechsel nicht bringt, den er für Dich in Händen hat, und ganz unverantwortlich gegen sich selbst, indem er sich um einen Groschen bringt, den ich schon für ihn zurecht gelegt hatte und den ich nun wieder einstecke. So steckte er denn den Groschen mit höchstem Anstande wieder in die Tasche und wir hatten etwas zu lachen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0074 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0074.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 89 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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