Goethes Briefe: GB 2, Nr. 198
An Johanna Fahlmer

〈Frankfurt a. M. , zwischen 10. Februar und Mitte Februar? 1775〉 〈Frankfurt a. M.〉


Ich bin ein Esel iust gestern nicht etwas später gekommen zu seyn. hier das beygehende gesiegelte ist für Rosten. es enthält fünf Bogen Operette. Spediren Sies doch unverzüglich, wenn nicht mit andern Sachen – gleich allein – mit der ​reitenden ​ 1 . Hier sind auch einige Bogen Abschrifft 2 . Wenn Sie ia kopiren wollen, kopiren Sie nicht mehr als die erste Scene für Georgen, etwa die zweite noch. Grüsen Sie ​ 3 ihn. Grüsen Sie Friz. Morgen kommt Jung! Franckfurt ist das neue Jerusalem wo alle Völcker aus und eingehn und die Gerechten wohnen.

  1. fahrenden ​reitenden ​ ↑
  2. a ​Abschrifft​ ↑
  3. × ​Sie​ ↑

Der Brief wurde am Tag vor der Ankunft Johann Heinrich Jungs geschrieben (vgl. 166,7 ). Unklar ist, ob dessen Ankunft in Frankfurt oder in Goethes Haus gemeint ist. Unsicher ist auch, wann genau Jung eintraf. Allgemein wird, allerdings ohne Angabe einer Quelle, der 11. Februar genannt (vgl. u. a. BG 1, 320; DjG​3 5, 410). Im 4. Teil seiner Autobiographie „Stillings häusliches Leben“ (Berlin und Leipzig 1789) berichtet Jung, er sei „in der ersten Woche des Januars 〈1775〉“ nach Frankfurt aufgebrochen (S. 69). Das „Journal. In Frankfurt am Mayn“ meldete dagegen am 7. Januar 1775, Jung werde „zu ​Ende des Februar hier ankommen“ (zitiert nach: Goethe's Werke. Nach den vorzüglichsten Quellen revidirte Ausgabe. T. 23 〈…〉 von G〈ustav〉 von Loeper. Berlin 〈1876〉, S. 148). Wenn Goethes Ankündigung im vorliegenden Brief, Jung komme morgen, korrekt ist, muss der Besuch jedoch im zweiten Viertel des Februar erfolgt sein. Dafür sprechen folgende Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Goethes „Erwin und Elmire“: Goethe bittet Johanna Fahlmer im vorliegenden Brief, das Manuskript zum Druck an Heinse weiterzuschicken (vgl. zu 166,2–3 ). Das Singspiel erschien im März-Heft der „Iris“. Am 28. Januar schreibt Friedrich Heinrich Jacobi an seinen Bruder: „Binnen 8 Tagen soll's Fix u fertig seyn.“ (JB 1 I, 277.) Am 7. Februar bittet Goethe Johanna Fahlmer um den ​zweiten Bogen ( 163,3 ) des Manuskripts, um ihn abschreiben zu lassen (vgl. Nr 194 ). Bei Heinse eingetroffen ist das Manuskript etliche Tage vor dem 21. Februar. Das geht aus Heinses Brief an Johann Georg Jacobi von diesem Datum hervor (vgl. Heinse: Sämtliche Werke. Leipzig 1902. Bd 9. S. 235–238); in dem Brief teilt Heinse mit, er habe mit dem Setzer der „Iris“ Berechnungen über den Umfang des Singspiels angestellt (vgl. S. 236). Der vorliegende Brief stammt also aus der Zeit zwischen dem 7. Februar und einem Datum einige Tage vor dem 21. Februar. Da diese Überlegungen mit der Angabe, Jung sei am 11. Februar eingetroffen, zusammenpassen, wird angenommen, der vorliegende Brief sei entweder am 10. Februar geschrieben worden oder, wenn es sich um einen Besuch Jungs bei Goethe handelte, an einem der folgenden Tage.

H: Privatbesitz, Deutschland. – 1 Bl. 16,8 × 10,7 cm, Bordüre aus gereihten Krönchen (vgl. Mick, Nr 1–3), 1 S. beschr., egh., Tinte.

E: Goethe-Fahlmer (1875), 63 f., Nr 16.

WA IV 2 (1887), 232, Nr 289 (nach E).

2 Manuskripte von „Erwin und Elmire“ (vgl. zu 166,2–3 ).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

gestern nicht etwas später gekommen zu seyn] Möglicherweise hatte Goethe Johanna Fahlmer verpasst; Genaueres konnte nicht ermittelt werden.

Rosten] Rost: Pseudonym für Wilhelm Heinse (vgl. die dritte Erläuterung zu 111,28 ).

fünf Bogen Operette] Nicht überliefert (vgl. DjG​3 5, 426). – Gemeint ist Manuskript des Singspiels „Erwin und Elmire“, das in Johann Georg Jacobis Zeitschrift „Iris“ erschien, die von Heinse redigiert wurde (vgl. Datierung).

Spediren] Versenden (ital. spedire: abfertigen, versenden).

mit der ​reitenden] Gemeint ist die reitende Post, d. h. der Postbote zu Pferde, der schneller war als die fahrende Post, die Postkutsche (vgl. weiter zu 57,20 ).

Abschrifft] Kopie des Manuskripts von „Erwin und Elmire“.

kopiren Sie nicht mehr als die erste Scene für Georgen] In Johann Georg Jacobis Nachlass findet sich Johanna Fahlmers Abschrift von Titel und Personenverzeichnis sowie von der 1. Szene (UB Freiburg i. B., Sign.: NL 7/VI A 2).

Friz] Friedrich Heinrich Jacobi, der sich in Mannheim aufhielt.

Morgen kommt Jung!] Der Augenarzt Johann Heinrich Jung wurde im „Journal. In Frankfurt am Mayn“ (Nr 5 vom 9. Januar 1775) angekündigt: „Herr Dr. Jung, von Elberfeld hat sich endlich nach vielem Ersuchen entschlossen, einen hiesigen Herrn am grauen Staare zu operiren, auf dessen Kosten er zu ​Ende des Februar hier ankommen wird. 〈…〉 Dieser menschenfreundliche und geschickte Herr Dr. Jung, der sonst nie so weit verreist, wird aber von vielen Patienten zurückerwartet; daher er ​nach dem 11. März Niemand mehr zu operiren vornehmen kann.“ (Zitiert nach: Goethe's Werke. Nach den vorzüglichsten Quellen revidirte Ausgabe. 23. T. Dichtung und Wahrheit. Mit Einleitung und Anmerkungen von G〈ustav〉 von Loeper. 4. T. Berlin 〈1876〉, S. 148.) Jung kam auf Wunsch des Bürgermeisters Friedrich Maximilian von Lersner nach Frankfurt, um diesen zu behandeln. Die Operation schlug fehl (vgl. zu 207,15 ).

das neue Jerusalem] Vgl. Jesaja 2,2–3 und 60,11 sowie die Offenbarung des Johannes 21,2 und 25–26.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 198 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR198_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 166, Nr 198 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 417–419, Nr 198 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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