BuG: BuG I, A 248
Frankfurt Febr. 1773

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 344)

Frankfurt Febr. (?) 1773

Auch jener wunderliche Redner [J. B. Crespel], den wir schon aus dem sechsten Buche kennen, war nach mancherlei Schicksalen gescheidter und verkehrter zu uns zurückgewandert, und spielte abermals den Gesetzgeber des kleinen Staats. Er hatte sich in Gefolg von jenen frühern Scherzen etwas Ähnliches ausgedacht: es sollte nämlich alle acht Tage geloos’t werden, nicht um, wie vormals, liebende Paare, sondern wahrhafte Ehegatten zu bestimmen. Wie man sich gegen Geliebte betrage, das sei uns bekannt genug; aber wie sich Gatte und Gattin in Gesellschaft zu nehmen hätten, das sei uns unbewußt und müsse nun, bei zunehmenden Jahren, vor allen Dingen gelernt werden. Er gab die Regeln an im Allgemeinen, welche bekanntlich darin bestehen, daß man thun müsse, als wenn man einander nicht angehöre; man dürfe nicht neben einander sitzen, nicht viel mit einander sprechen, vielweniger sich Liebkosungen erlauben: dabei aber habe man nicht allein alles zu vermeiden, was wechselseitig Verdacht und Unannehmlichkeit erregen könnte, ja man würde im Gegentheil das größte Lob verdienen, wenn man seine Gattin auf eine ungezwungene Weise zu verbinden wisse.

Das Loos wurde hierauf zur Entscheidung herbeigeholt, über einige barocke Paarungen, die es beliebt, gelacht und gescherzt, und die allgemeine Ehestands-Komödie mit gutem Humor begonnen und jedesmal am achten Tage wiederum erneuert.

Hier traf es sich nun wunderbar genug, daß mir das Loos gleich von Anfang eben dasselbe Frauenzimmer [Susanne Magdalene Münch] zweimal bestimmte, ein sehr gutes Wesen, gerade von der Art, die man sich als Frau gerne denken mag. Ihre Gestalt war schön und regelmäßig, ihr Gesicht angenehm, und in ihrem Betragen waltete eine Ruhe, die von der Gesundheit ihres Körpers und ihres Geistes zeugte. Sie war sich zu allen Tagen und Stunden völlig gleich. Ihre häusliche Thätigkeit wurde höchlich gerühmt. Ohne daß sie gesprächig gewesen wäre, konnte man an ihren Äußerungen einen geraden Verstand und eine natürliche Bildung erkennen. Nun war es leicht einer solchen Person mit Freundlichkeit und Achtung zu begegnen; schon vorher war ich gewohnt es aus allgemeinem Gefühl zu thun, jetzt wirkte bei mir ein herkömmliches Wohlwollen als gesellige Pflicht. Wie uns nun aber das Loos zum dritten Male zusammenbrachte, so erklärte der neckische Gesetzgeber feierlichst: der Himmel habe gesprochen, und wir könnten nunmehr nicht geschieden werden. Wir ließen es uns beiderseits gefallen, und fügten uns wechselsweise so hübsch in die offenbaren Ehestandspflichten, daß wir wirklich für ein Muster gelten konnten. Da nun, nach der allgemeinen Verfassung, die sämmtlichen für den Abend vereinten Paare sich auf die wenigen Stunden mit Du anreden mußten, so waren wir dieser traulichen Anrede durch eine Reihe von Wochen so gewohnt, daß auch in der Zwischenzeit, wenn wir uns begegneten, das Du gemüthlich hervorsprang. Die Gewohnheit ist aber ein wunderliches Ding: wir beide fanden nach und nach nichts natürlicher als dieses Verhältniß; sie ward mir immer werther, und ihre Art mit mir zu sein zeugte von einem schönen ruhigen Vertrauen, so daß wir uns wohl gelegentlich, wenn ein Priester zugegen gewesen wäre, ohne vieles Bedenken auf der Stelle hätten zusammengeben lassen.

An J. Chr. Kestner 11. 2. 1773 (WA IV 2, 64)

Frankfurt Febr. (?) 1773

Das Mädgen [Susanne Magdalene Münch] grüsst Lotten, im Charackter hat sie viel von Lengen sieht ihr auch gleich sagt meine Schwester nach der Silhouette ... ich heisse sie in dessen mein liebes Weibgen, den neulich als sie in Gesellschaft um uns Junggesellen würfelten fiel ich ihr zu. Sie sollte 17 abwerfen, hatte schon den Muth aufgeben und warf glücklich alle 6.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0248 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0248.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 232 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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