Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 216a+
Von August Prinz von Sachsen-Gotha und Altenburg

8. August 1786, Gotha

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    Schon vor einigen Tagen, bester Göthe, war ich im Begriffe Ihnen
wegen Ihres lieben Briefes herzlich zu danken, den Sie mir vor Ihrer
Abreise nach Carlsbad geschrieben hatten. Allein es sind einige Dinge,
und unter andern der harte Anstoß den die Gesundheit meiner Schwäge-
rinn erlitten, welcher aber glücklich vorüber ist, dazwischen gekommen.
Mein Brief an unsern Herder war angefangen, der Ihrige hatte ein paar
Zeilen weniger, und da ich nicht Zeit hatte beyde zu schließen, so ward
nur der vollendet, mit dem ich schon am weitesten gekommen war.


Sie werden wissen, daß ich mit Ihrem geliebten Herzoge zwey Tage in
Eisenach beym Herzoge Ludwig von Braunschweig gewesen bin. Einer
meiner Leute, der mit mir dort gewesen, erzählte mir einige Tage
darauf, eine Unterredung die ein Doctor in Eisenach, dessen Nah-
men er mir aber nicht zu nennen wußte, mit Hrn. Lavater gehabt
haben sollte. Da ich aber muthmaaßte, daß sie vielleicht durch die Er-
zählung einige Veränderungen möchte erlitten haben; so gab ich
meinem Zuckerbäcker, Kurtz, dessen Vater viele Jahre Gouverneur
der Wartburg und der Vorgänger des berühmten Hrn. Fockel, genannt
Léger, in diesem wichtigen Amte gewesen ist, den Auftrag, sich
bey seinen Hrn. Gevattern und Frauen Gevatterinnen, in Eisenach
schriftlich nach dieser Sache und dem Nahmen des Hrn. Doctors zu
erkundigen. Meine Anfrage, bey welcher ich aber eigentlich nicht hatte
wollen genannt seyn, muß zu den Ohren des Hrn. Doctors selbst | 2 |
erschollen seyn, weil er sich, ungeachtet ich ihn nicht persönlich kenne,
die Mühe gegeben, sie eigenhändig zu beantworten; und ich bin so frey
Ihnen eine Abschrift der Zeilen zu schicken, die ich gestern durch den
bereits erwähnten Weg erhalten habe. Ich wünschte längst einen Beweis
des Daseyns guter Geister zu bekommen, weil mir meine Amme
so viel von dem Socratischen vorgesungen hatte, und ich hoffe, daß Ihnen
jetzt, so wie mir, kein Zweifel mehr übrig bleiben werde, daß es
welche gebe. Ich kann nicht läugnen, daß ich mir auch einen wünschte,
der mich an den Ellenbogen stieße, oder bey dem Ermel zupfte,
so oft ich im Begriffe wäre, einen albernen Streich zu begehen.
Heben Sie diesen Beweis sorgfältig auf, bester Göthe, um die Un-
gläubigen zu bekehren, denn ich weiß, daß Sie außerordentliche
Gaben hierzu besitzen, wovon Ihr Doctor Faust schon
hinlängliche Proben abgelegt hat. Der Prinz Eugen von Würten-
berg hat die Fr. von der Recke, in der letzten Berlinischen Monaths-
schrift, nur durch einen heimlichen Wink darauf verwiesen; und
welchen unsterblichen Ruhm er sich durch seinen Aufsatz erwerben
werde, ist ausser allen Zweifel gestellt. Ein Geistlicher, ein Wunder-
thäter, wenigstens ein Desorganisator, besiegelt keinen bloßen Scherz
mit einem Kusse, mit Wegschenkung seines Herzens, an einen Doctor
der Arzeneykunst, den er noch nie mit Augen gesehen hat. Ihre psy-
chologischen Kenntnisse werden Sie hieran nicht zweifeln lassen, | 3 |
und sind mir Bürgen dafür; ich werde den Schluß also nicht hinzufügen.


Alles nichts ohn' Eins, der Wahlspruch dieses Zürchischen Propheten
den er hier bey der Mutter der Mütter und bey einigen Andern
an den Fensterladen angeschrieben hat, heißt also nichts anders
als dieses: Alles nichts ohne einen guten Genius. Ich fühle
auch daß an mir Alles nichts ist, weil er mir gebricht, und
er mich wenigstens ohne Bewußtseyn seiner auf mich einwir-
kenden Gegenwart läßt; wenn ich einen habe, so habe ich ihn
nur, wie mein Trubatsch auch einen haben kann, wann er gleich seine
Schnautze beym Spazierenlaufen in alle Mistpfützen taucht,
und mir nachdem damit in das Gesicht fährt, wenn mich der
meinige nicht zur rechten Zeit davor warnet. Dieses unedle Bild ist
gleichwohl eine treue Schilderung meiner Lage, und ich hoffe daher
gütige Nachsicht; dennoch möchte ich sie nicht gegen die des Archide-
mides ab Aquila fulva umtauschen, der freylich nicht so aufrich-
tig seine schwachen Seiten gestehen mag, als ich die meinen. Behalten
Sie mich dieser Mängel ungeachtet immer ein wenig lieb, bester
Göthe, empfehlen Sie mich Ihrem geliebten Herzoge zu Gnaden,
und sagen unserem Herder, seiner kleinen Frau und seinem kleinem
Gaukler alles Liebe und Gute was Ihnen Ihr guter Genius einge-
ben wird, mit der festen Versicherung, daß meine Gesinnungen unver-
änderlich bleiben werden./.


Aℓ


S:  LATh - StA Rudolstadt  D:  -  B : 1786 Juli vor 25 (vgl. im Text von RA 1, Nr. 216a+)  A : - 

Dank für G.s vor dessen Abreise nach Karlsbad (am 25. Juli) geschriebenen Brief, auf den S. schon vor einigen Tagen habe antworten wollen. Die kurzzeitige Erkrankung seiner Schwägerin (Herzogin Charlotte von Sachsen-Gotha) habe dies jedoch verzögert; auch habe S. zunächst einen Brief an Herder fertiggestellt. Wie G. wisse, sei S. mit Herzog Karl August von Sachsen-Weimar für zwei Tage in Eisenach bei Herzog Ludwig Ernst zu Braunschweig gewesen. Einer seiner Begleiter habe ihm einige Tage darauf von einer Unterredung berichtet, die ein ihm unbekannter Doctor in Eisenach (? A. C. Kühn) mit J. K. Lavater geführt haben solle. S. habe daraufhin seinem Zuckerbäcker (? J. G.) Kurtz, dessen Vater viele Jahre Gouverneur der Wartburg und dort Vorgänger von J. A. Focke gewesen sei, beauftragt, sich schriftlich in Eisenach nach dem Inhalt der Unterredung und nach dem Namen des Doktors zu erkundigen. Letzterer habe nun eigenhändig geantwortet, wovon S. eine Abschrift übersende. S., dem seine Amme (D. M. Hofmann) viel von dem Socratischen vorgesungen habe, habe nun einen Beweis des Daseyns guter Geister. G. möge ihn sorgfältig aufbewahren, um die Ungläubigen zu bekehren, denn S. wisse, daß G. ausserordentliche Gaben hierzu besitze, wovon Ihr Doctor Faust schon hinlängliche Proben abgelegt habe. Mit einem heimlichen Wink habe Prinz Eugen von Württemberg kürzlich E. von der Recke in der "Berlinischen Monatsschrift" (1786, 7. Stück "Über Elisens Aufsatz") darauf verwiesen; es sei außer Zweifel, daß er sich durch seinen Aufsatz unsterblichen Ruhm erwerben werde. Alles nichts ohn' Eins, der Wahlspruch des Zürchischen Propheten (Lavater), bedeute nichts anderes als: Alles nichts ohne einen guten Genius. Wie sein (Hund) Trubatsch habe auch S. einen solchen; dies sei seine derzeitige Lage, die er nicht gegen die des Archidemides ab Aquila Fulva (Anspielung auf J. A. Starcks Beinamen Archimedes ab Aquila Fulva und das Bekanntwerden seines heimlichen Übertritts zum Katholizismus) tauschen wolle. Ungeachtet dieser Mängel möge G. ihn immer ein wenig lieb behalten. Empfehlung an Herzog Karl August und an Herder, dessen Frau und dessen kleinen Gaukler (? Emil).

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   Schon vor einigen Tagen, bester Göthe, war ich im Begriffe Ihnen wegen Ihres lieben Briefes herzlich zu danken, den Sie mir vor Ihrer Abreise nach Carlsbad geschrieben hatten. Allein es sind einige Dinge, und unter andern der harte Anstoß den die Gesundheit meiner Schwägerinn erlitten, welcher aber glücklich vorüber ist, dazwischen gekommen. Mein Brief an unsern Herder war angefangen, der Ihrige hatte ein paar Zeilen weniger, und da ich nicht Zeit hatte beyde zu schließen, so ward nur der vollendet, mit dem ich schon am weitesten gekommen war.

 Sie werden wissen, daß ich mit Ihrem geliebten Herzoge zwey Tage in Eisenach beym Herzoge Ludwig von Braunschweig gewesen bin. Einer meiner Leute, der mit mir dort gewesen, erzählte mir einige Tage darauf, eine Unterredung die ein Doctor in Eisenach, dessen Nahmen er mir aber nicht zu nennen wußte, mit Hrn. Lavater gehabt haben sollte. Da ich aber muthmaaßte, daß sie vielleicht durch die Erzählung einige Veränderungen möchte erlitten haben; so gab ich meinem Zuckerbäcker, Kurtz, dessen Vater viele Jahre Gouverneur der Wartburg und der Vorgänger des berühmten Hrn. Fockel, genannt Léger, in diesem wichtigen Amte gewesen ist, den Auftrag, sich bey seinen Hrn. Gevattern und Frauen Gevatterinnen, in Eisenach schriftlich nach dieser Sache und dem Nahmen des Hrn. Doctors zu erkundigen. Meine Anfrage, bey welcher ich aber eigentlich nicht hatte wollen genannt seyn, muß zu den Ohren des Hrn. Doctors selbst| 2 | erschollen seyn, weil er sich, ungeachtet ich ihn nicht persönlich kenne, die Mühe gegeben, sie eigenhändig zu beantworten; und ich bin so frey Ihnen eine Abschrift der Zeilen zu schicken, die ich gestern durch den bereits erwähnten Weg erhalten habe. Ich wünschte längst einen Beweis des Daseyns guter Geister zu bekommen, weil mir meine Amme so viel von dem Socratischen vorgesungen hatte, und ich hoffe, daß Ihnen jetzt, so wie mir, kein Zweifel mehr übrig bleiben werde, daß es welche gebe. Ich kann nicht läugnen, daß ich mir auch einen wünschte, der mich an den Ellenbogen stieße, oder bey dem Ermel zupfte, so oft ich im Begriffe wäre, einen albernen Streich zu begehen. Heben Sie diesen Beweis sorgfältig auf, bester Göthe, um die Ungläubigen zu bekehren, denn ich weiß, daß Sie außerordentliche Gaben hierzu besitzen, wovon Ihr Doctor Faust schon hinlängliche Proben abgelegt hat. Der Prinz Eugen von Würtenberg hat die Fr. von der Recke, in der letzten Berlinischen Monathsschrift, nur durch einen heimlichen Wink darauf verwiesen; und welchen unsterblichen Ruhm er sich durch seinen Aufsatz erwerben werde, ist ausser allen Zweifel gestellt. Ein Geistlicher, ein Wunderthäter, wenigstens ein Desorganisator, besiegelt keinen bloßen Scherz mit einem Kusse, mit Wegschenkung seines Herzens, an einen Doctor der Arzeneykunst, den er noch nie mit Augen gesehen hat. Ihre psychologischen Kenntnisse werden Sie hieran nicht zweifeln lassen,| 3 | und sind mir Bürgen dafür; ich werde den Schluß also nicht hinzufügen.

 Alles nichts ohn' Eins, der Wahlspruch dieses Zürchischen Propheten den er hier bey der Mutter der Mütter und bey einigen Andern an den Fensterladen angeschrieben hat, heißt also nichts anders als dieses: Alles nichts ohne einen guten Genius. Ich fühle auch daß an mir Alles nichts ist, weil er mir gebricht, und er mich wenigstens ohne Bewußtseyn seiner auf mich einwirkenden Gegenwart läßt; wenn ich einen habe, so habe ich ihn nur, wie mein Trubatsch auch einen haben kann, wann er gleich seine Schnautze beym Spazierenlaufen in alle Mistpfützen taucht, und mir nachdem damit in das Gesicht fährt, wenn mich der meinige nicht zur rechten Zeit davor warnet. Dieses unedle Bild ist gleichwohl eine treue Schilderung meiner Lage, und ich hoffe daher gütige Nachsicht; dennoch möchte ich sie nicht gegen die des Archide- mides ab Aquila fulva umtauschen, der freylich nicht so aufrichtig seine schwachen Seiten gestehen mag, als ich die meinen. Behalten Sie mich dieser Mängel ungeachtet immer ein wenig lieb, bester Göthe, empfehlen Sie mich Ihrem geliebten Herzoge zu Gnaden, und sagen unserem Herder, seiner kleinen Frau und seinem kleinem Gaukler alles Liebe und Gute was Ihnen Ihr guter Genius eingeben wird, mit der festen Versicherung, daß meine Gesinnungen unveränderlich bleiben werden./.

Aℓ

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 216a+, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0216_12604.

Druck des Regests in: RA 8.2, 292.

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