BuG: BuG I, A 61
Leipzig vor 3. 10. 1766

J. A. Horn an F. M. Moors 3. 10. 1766 (Pallmann S. 25)

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Leipzig vor 3. 10. 1766

Aber lieber Moors! welche Freude wird dir es seyn, wenn ich dir berichte daß wir an unserm Goethe keinen Freund verlohren haben, wie wir es fälschlich geglaubt. Er hatte sich verstellt, daß er nicht allein mich sondern noch mehrere Leute betrog, und mir niemals den eigentlichen Grund der Sache entdeckt haben würde wenn deine Briefe ihm nicht den nahen verlust eines Freundes vorher verkündigt hätten. Ich muß dir die ganze Sache, wie er mir sie selbst erzählt hat, erzählen. Denn er hat mir es aufgetragen, um ihm die Mühe die es ihm machen würde zu erspahren. – Er liebt, es ist wahr, er hat es mir bekannt und wird es auch dir bekennen; allein seine Liebe, ob sie gleich immer traurig ist, ist dennoch nicht strafbar, wie ich es sonst geglaubt. Er liebt. Allein nicht jene Fräulein, mit der ich ihn im verdacht hatte. Er liebt ein Mädgen das unter seinem Stand ist, aber ein Mädgen das – ich glaube nicht zuviel zu sagen – das du selbst lieben würdest, wenn du es sähest: Ich bin kein Liebhaber und also werde ich ganz ohne Leidenschaft schreiben. Denke dir ein Frauenzimmer, wohlgewachsen, obgleich nicht sehr groß, ein rundes freundliches, obgleich nicht außerordentlich schönes Gesicht, eine offne sanfte einnehmende Mine, viele Freimüthigkeit ohne Coquetterie, einen sehr artigen Verstand ohne die größte Erziehung gehabt zu haben. Er liebt sie sehr zärtlich, mit den vollkommen redlichen Absichten eines tugendhaften Menschen, ob er gleich weiß daß sie nie seine Frau werden kann. Ob sie ihn wieder liebt weiß ich nicht. Du weißt lieber Moors! das ist seine Sache nach der sich nicht gut fragen läßt, so viel aber kann ich Dir sagen, daß sie für einander gebohren zu seyn scheinen. Merke nun seine List! Damit niemand ihn wegen einer solchen Liebe im verdacht haben mögte, nimmt er vor, die Welt grad das Gegentheil zu bereden, welches ihm bisher außerordentlich geglückt ist. Er macht Staat und scheint einer gewißen Fräulein von der ich dir erzählt habe die Cur zu machen. Er kann zu gewißen Zeiten seine Geliebte sehen und sprechen ohne daß jemand deswegen den geringsten Argwohn schöpft, und ich begleite Ihn manchmal zu ihr, Wenn Goethe nicht mein Freund wäre ich verliebte mich selbst in Sie. Mitlerweile hält man ihn nun in die Fräulein [Name gestrichen], doch was brauchst du ihren Namen zu wißen, verliebt, und man vexirt ihn wohl gar in Gesellschaft deswegen. Vielleicht glaubt sie selbst daß er sie liebt, aber die gute Fräulein betrügt sich. Er hat mich seit der Zeit einer näheren vertraulichkeit gewürdigt, mir seine Oeconomie entdeckt und gezeigt daß der Aufwand den er macht nicht so groß ist wie man glauben sollte. Er ist mehr Philosoph und mehr Moralist als jemals, und so unschuldig seine Liebe ist, so mißbilligt er sie dennoch, wir streiten sehr oft darüber, aber er mag eine Parthey nehmen welche er will, so gewinnt er; denn du weißt was er auch nur scheinbaren Gründen für ein Gewicht geben kann. Ich bedaure ihn und sein Gutes Herz, das würklich in einem sehr mißlichen Zustande sich befinden muß da er das Tugendhafteste und vollkommenste Mädgen ohne Hoffnung liebt. Und wenn wir annehmen daß Sie ihn wieder liebt, wie elend muß er erst da seyn? Ich brauche dir das nicht zu erklären, da du das menschliche Herz so gut kennest. Genug von dieser Sache. Er wird noch eines und das andre davon selbst an dich schreiben, wie er mir gesagt hat. Ich hab nicht nöthig dir das Stillschweigen hierbei zu empfelen, da du selbst siehst wie nöthig es ist.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0061 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0061.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 82 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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