BuG: BuG I, A 71
Leipzig Sommer 1767

Dichtung und Wahrheit VII (WA I 27, 139)

Leipzig Sommer 1767

Man übertrug ihm [Chr. A. Clodius] gewöhnlich die Gedichte, welche sich bei feierlichen Gelegenheiten nothwendig machten. Er folgte in der sogenannten Ode der Art, deren sich Ramler bediente, den sie aber auch ganz allein kleidete. Clodius aber hatte sich als Nachahmer besonders die fremden Worte gemerkt, wodurch jene Ramler’schen Gedichte mit einem majestätischen Pompe auftreten, der, weil er der Größe seines Gegenstandes und der übrigen poetischen Behandlung gemäß ist, auf Ohr, Gemüth und Einbildungskraft eine sehr gute Wirkung thut. Bei Clodius hingegen erschienen diese Ausdrücke fremdartig, indem seine Poesie übrigens nicht geeignet war, den Geist auf irgend eine Weise zu erheben.

Solche Gedichte mußten wir nun oft schön gedruckt und höchlich gelobt vor uns sehen, und wir fanden es höchst anstößig, daß er, der uns die heidnischen Götter verkümmert hatte, sich nun eine andere Leiter auf den Parnaß aus griechischen und römischen Wortsprossen zusammenzimmern wollte. Diese oft wiederkehrenden Ausdrücke prägten sich fest in unser Gedächtniß, und zu lustiger Stunde, da wir in den Kohlgärten den trefflichsten Kuchen verzehrten, fiel mir auf einmal ein, jene Kraft- und Machtworte in ein Gedicht an den Kuchenbäcker Hendel zu versammeln. Gedacht, gethan! ...

Dieses Gedicht stand lange Zeit unter so vielen anderen, welche die Wände jener Zimmer verunzierten, ohne bemerkt zu werden, und wir, die wir uns genugsam daran ergötzt hatten, vergaßen es ganz und gar über anderen Dingen. Geraume Zeit hernach trat Clodius mit seinem Medon hervor, dessen Weisheit, Großmuth und Tugend wir unendlich lächerlich fanden, so sehr auch die erste Vorstellung [am 24. 8.? 1767] des Stücks beklatscht wurde. Ich machte gleich Abends, als wir zusammen in unser Weinhaus kamen, einen Prolog in Knittelversen, wo Arlekin mit zwei großen Säcken auftritt, sie an beide Seiten des Prosceniums stellt und nach verschiedenen vorläufigen Späßen den Zuschauern vertraut, daß in den beiden Säcken moralisch-ästhetischer Sand befindlich sei, den ihnen die Schauspieler sehr häufig in die Augen werfen würden. Der eine sei nämlich mit Wohlthaten gefüllt, die nichts kosteten, und der andere mit prächtig ausgedrückten Gesinnungen, die nichts hinter sich hätten. Er entfernte sich ungern und kam einigemal wieder, ermahnte die Zuschauer ernstlich, sich an seine Warnung zu kehren und die Augen zuzumachen, erinnerte sie, wie er immer ihr Freund gewesen und es gut mit ihnen gemeint, und was dergleichen Dinge mehr waren. Dieser Prolog wurde auf der Stelle von Freund Horn im Zimmer gespielt, doch blieb der Spaß ganz unter uns, es ward nicht einmal eine Abschrift genommen und das Papier verlor sich bald. Horn jedoch, der den Arlekin ganz artig vorgestellt hatte, ließ sich’s einfallen, mein Gedicht an Hendel um mehrere Verse zu erweitern und es zunächst auf den Medon zu beziehen. Er las es uns vor, und wir konnten keine Freude daran haben, weil wir die Zusätze nicht eben geistreich fanden, und das erste, in einem ganz anderen Sinn geschriebene Gedicht uns entstellt vorkam. Der Freund, unzufrieden über unsere Gleichgültigkeit, ja unseren Tadel, mochte es andern vorgezeigt haben, die es neu und lustig fanden. Nun machte man Abschriften davon, denen der Ruf des Clodius’schen Medons sogleich eine schnelle Publicität verschaffte. Allgemeine Mißbilligung erfolgte hierauf, und die Urheber (man hatte bald erfahren, daß es aus unserer Clique hervorgegangen war) wurden höchlich getadelt: denn seit Cronegks und Rosts Angriffen auf Gottsched war dergleichen nicht wieder vorgekommen.

K. W. Daßdorf an Goethe 8. 4. 1804 (JG2 6, 53)

Leipzig Sommer 1767

Noch immer erinnre ich mich aus den Hofr. Böhmischen historischen Vorlesungen meines schon damals so emporstrebenden Zeitgenoßen und Ihrer so geistreichen Parodirung der Clodiusschen prachtvollen und Sturmlaufenden [Phrasen] in dem so launigten u. witzigen Päan auf Hendeln, den ich noch izt ganz auswendig weiß.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0071 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0071.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 87 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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