Goethes Briefe: GB 2, Nr. 4
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 17.? Januar 1773. Sonntag?〉 → 〈Wetzlar〉


Eh ich mich zu Bette lege ist mirs noch so euch eine gute Nacht zu sagen, und der süsen Lotte, der zwar heut schon viel guten Tag und guten Abend gesagt worden ist. Vielleicht sitzt ​ 1 ihr eben besammen, es ist nicht viel über 10. vielleicht tanzt ihr. Wo ihr auch seyd glücklich, und geliebt auch von mir mehr als von irgend einem andern hierunten. Und auch ich binn glücklich, ist in mir selbst wohl, denn von aussen fehlt mir nie was. Adieu ihr lieben. Schreibt mir doch offt Kestner, ich binn sehr Künstler jetzt, und Künstler wisst ihr schreiben nicht gern. Ihr sollt auch dann wieder was gezeichnetes sehn

  1. si ch ​tzt ​ ↑

Wie aus dem Anfang des Briefes hervorgeht, wurde er abends geschrieben (vgl. 4,7–8 ), konnte daher erst am folgenden Morgen befördert werden. Nach Kestners Empfangsvermerk vom 19. Januar 1773 käme als Datierung der 17. Januar in Frage, da die Post von Frankfurt nach Wetzlar in der Regel einen Tag unterwegs war (vgl. GB 1 II, Datum und Überlieferung zu Nr 124 ). – Nicht ganz auszuschließen ist aber der Datierungsvorschlag der WA, die den Brief nach dem Inhalt auf den 11. Januar, den Geburtstag Charlotte Buffs, datiert (vgl. zu 4,8–9 ).

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 4–5. – Doppelblatt 11,5(–11,7) × 19,2 cm, 1 S. beschr., egh., Tinte; oben rechts Empfangsvermerk, Tinte: „Acc. Wetzl. d. 19. Jenner 73.“; oben am linken Rand quer von fremder Hd, Bleistift: „11. Jan. ihr Geburtstag“.

E: Goethe und Werther​1 (1854), 128, Nr 46.

WA IV 2 (1887), 56, Nr 120.

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

der süsen Lotte 〈…〉 worden ist] Möglicherweise hatte Goethe an diesem Tage im Kreis seiner Familie und Freunde schon mehrfach Charlotte Buffs gedacht. Für diese Vermutung spricht auch Cornelia Goethes Brief an Kestner vom 18. Januar 1773, der gemeinsam mit dem vorliegenden abgesandt worden sein könnte. – Der Brief ist mit ‚Sophie‘ unterschrieben, diesen Namen hatte Cornelia Goethe offenbar selbst gewählt. Sie gebrauchte ihn damals mehrfach in Briefen an Kestner (vgl. Witkowski, Cornelia, 60). Auch Caroline Flachsland nennt sie einmal in einem Brief an Herder vom 7. Dezember 1772 „Sophie Göthe“ (Herder-Flachsland 2, 294).


Montag den 18. Jen. 73

Gestern Abend wie ich das Liedchen spielte fiel mir ein dass es vielleicht Lottchen so gut gefallen könnte als mir, und da sezte ich mich gleich hin und schrieb's ———————————

Wir leben hier ganz einfach und recht vergnügt, wenn wir des Abends zusammen am Ofen sizen und schwazen, oder wenn uns mein Bruder etwas vorliesst, da wünschen wir offt dass Sie bey uns seyn und unser Vergnügen theilen könnten. ——— Leben Sie wohl lieber Freund, grüsen Sie das ganze Puffische Haus sowohl von mir als von meinen Freundinnen ————

Sophie


(H: GSA 29/264,I,6.)

Nicht ganz auszuschließen ist aber auch, dass es sich um eine Anspielung auf Charlotte Buffs Geburtstag am 11. Januar handelt (vgl. Datierung).

Wo ihr auch seyd glücklich] Verkürzt für ‚Wo ihr auch seid, seid glücklich‘; Haplologien und Auslassungen einzelner Wörter finden sich häufig in den Briefen Goethes an Kestner in dieser Zeit (vgl. 4,12 ; 4,16 ; 7,17–18 ).

ist in mir selbst wohl] Verkürzt für ‚mir ist in mir selbst wohl‘.

ich binn sehr Künstler jetzt] Gemeint ist Goethes Leidenschaft für das Zeichnen (vgl. zu 3,13 ).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 4 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR004_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 4, Nr 4 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 6–8, Nr 4 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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