BuG: BuG I, A 520
Stedten 1./2. 1. 1776

An Herder 2. 1. 1776 (WA IV 3, 13)

Stedten 1./2. 1. 1776

Ich bin mit Wielanden hier [Stedten] bey liebenden Menschen.

Wieland an Sophie v. La Roche 11. 1. 1776 (Wenig S. 81)

Stedten 1./2. 1. 1776

Drei wonnigliche Tage, die ersten in diesem Jahre, haben wir zu Stedten bei der Mutter der Frau von Bechtolsheim zu Eisenach und meiner Julie gelebt. Goethe war so gut, so lieb, so unsäglich lieb, daß wir alle wie die Närrchen in ihn verliebt wurden. So geht’s nun unserm guten jungen Herzog auch; Goethe ist sein Alles, und folglich werdet ihr sein Angesicht so bald nicht wieder zu sehen bekommen.

Julie v. Bechtolsheim an D. Chr. v. Keller Febr. 1776 (Biereye S. 65)

Stedten 1./2. 1. 1776

Cette année a commencé pour moi le plus agreablement du monde, par un petit sejour avec le plus chéri des epoux, chès la meilleure des Meres, ou nous passames 3. jours delicieux avec Wieland et Göthe à qui nous avions donné la un rendés-vous; Göthe est depuis le mois d’Octobre a Weimar, ou il est favori très decidé du jeune Duc; j’ai trop peu de temps, pour vous parler aujourd’hui au long de cet homme extraordinaire, qui est peutêtre un des plus grands genies qui ayent jamais paru; sa phisionomie est charmante tantot ou y voit le feu du genie, l’enthousiasme du beau du grand, tantot l’expression energique et persuasive du sentiment, tantot le mepris d’indignation des vicieux qui peut aller jusqu’au fureur, zu gleicher Zeit Tyger und Lamm, so hat ihn sein Freund Lavater geschildert. – Il est avec cela si simple, si naturel, si franc qu’on ne peut s’empecher de lui vouloir du bien. – Maman et mon Mari en ont été aussi enchanté, que moi et il est à son tour notre Ami de cœur et d’ame. Wieland et lui s’aiment comme David et Jonathan, c’est un plaisir que de les voir ensemble. Wieland fut délicieux a Stedten, et il a eternisé ce sejour par un petit poëme a Psiche, qui est la plus jolie chose du monde, et dont Maman a voulu vous envoyer une copie.

Wieland, An Psyche (Der Teutsche Merkur 1776, Jan. S. 15)

Stedten 1./2. 1. 1776

  Und als wir nun so um und um   Eins in dem andern glücklich waren   Wie Geister im Elysium:   Auf einmal stand in unsrer Mitten   Ein Zaubrer! – Aber, denke nicht,   Er kam mit unglückschwangerm Gesicht   Auf einem Drachen angeritten!   Ein schöner Hexenmeister es war,   Mit einem schwarzen Augen-Paar,   Zaubernden Augen voll Götterblicken,   Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.   So trat er unter uns, herrlich und heer,   Ein ächter Geisterkönig, daher!   Und niemand fragte, wer ist denn der?   Wir fühlten beym ersten Blick, ’s war Er!   Wir fühlten’s mit allen unsern Sinnen,   Durch alle unsre Adern rinnen.   So hat sich nie in Gotteswelt   Ein Menschensohn uns dargestellt,   Der alle Güte und alle Gewalt   Der Menschheit so in sich vereinigt!   So feines Gold, ganz innrer Gehalt,   Von fremden Schlacken so ganz gereinigt!   Der, unzerdrückt von ihrer Last   So mächtig alle Natur umfaßt,   So tief in iedes Wesen sich gräbt,   Und doch so innig im Ganzen lebt!
  Das laß mir einen Zaubrer seyn!   Wie wurden mit ihm die Tage zu Stunden!   Die Stunden, wie augenblicks verschwunden!   Und wieder Augenblicke, so reich!   An innerm Werthe Tagen gleich!   Was macht er nicht aus unsern Seelen?   Wer schmekt wie er die Lust im Schmerz?   Wer kann so lieblich ängsten und quälen?   In süßern Thränen zerschmelzen das Herz?   Wer aus der Seelen innersten Tiefen   Mit solch entzückendem Ungestüm   Gefühle erwecken, die ohne ihm   Uns selbst verborgen im Dunkeln schliefen?
  O welche Gesichte, welche Scenen   Hieß er vor unsern Augen entstehn?   Wir wähnten nicht zu hören, zu sehn,   Wir sahn! Wer mahlt wie er? So schön,   Und immer ohne zu verschönen!   So wunderbarlich wahr! So neu,   Und dennoch Zug vor Zug so treu?   Doch wie, was sag ich mahlen? Er schaft,   Mit wahrer mächtiger Schöpferskraft   Erschaft er Menschen ; sie athmen, sie streben!   In ihren innersten Fasern ist Leben!   Und jedes so ganz Es Selbst , so rein!   Könnte nie etwas anders seyn!   Ist immer ächter Mensch der Natur ,   Nie Hirngespenst, nie Caricatur,   Nie kahles Gerippe von Schulmoral,   Nie überspanntes Ideal!
  Noch einmal, Psyche, wie flogen die Stunden   Durch meines Zaubrers Kunst vorbey!   Und wenn wir dachten, wir hättens gefunden,   Und was er sey nun ganz empfunden,   Wie wurd’ er so schnell uns wieder neu!   Entschlüpfte plötzlich dem satten Blick   Und kam in andrer Gestalt zurück;   Ließ neue Reize sich uns entfalten,   Und jede der tausendfachen Gestalten   So ungezwungen, so völlig sein,   Man mußte sie für die wahre halten!   Nahm unsre Herzen in jeder ein,   Schien immer nichts davon zu sehen,   Und, wenn er immer glänzend und groß   Rings umher Wärme und Licht ergoß,   Sich nur um seine Axe zu drehen.
  O Psyche, warum ist unser Glück   Hienieden nur immer ein Augenblick?   In seeligem Taumel genoß ich ihn kaum,   Weg war der zauberische Traum!   Und ich – wie weit von dir verschlagen!   In einem alten Rumpelwagen,   Nicht mehr durch lüftiger Wolken Höh   Leichtschwebend von Amors Tauben getragen,   Gezogen durch ungebahnten Schnee,   Vom Nebel gebeizt, vom Frost gezwickt,   Und immer weiter – dir entrückt!
  Zwar saß in diesen Fährlichkeiten   Mir unser Zaubrer noch zur Seiten;   Doch wenig half izt ihm und mir   Sein Nostradamus ! Er konnt’, ums Leben,   Nur nicht den Pferden Flügel geben!   Da saßen wir große Geister, wir!   In Pelze vermummt als wie die Bären,   Und (unsern Genieen-Stand in Ehren!)   An Leib und Seele sehr contract,   Und gähnten einander an im Takt.   Und stell dir vor, (dies ist kein Scherz!)   Daß ich, trotz meiner dicken Kruste   Von Frost und Dummheit um Kopf und Herz,   Dem Zaubrer – Mährchen erzählen mußte!

*Böttiger, Lit. Zustände 1, 202

Stedten 1./2. 1. 1776

[Wieland 19. 1. 1797] Er kann, was er will, alles, sein Zauber hat mich in der ersten Zeit seines Hierseyns dahin gebracht, daß ich ganz in ihn verliebt war und ihn wirklich anbetete. Wir fuhren im Jahre 76 im Winter nach Stetten zu der Mutter der Frau v. Bechtolsheim in Eisenach (das Gut hat jetzt der Graf Keller ihr Sohn). Da freute ich mich recht innig, wenn er so auf alle Leute einen recht großen Eindruck machte, und besang ihn in einem Liede an die Frau v. Bechtolsheim, die damals erst an ihren jetzigen Mann versprochen war, das in dem T. Merkur in jener Periode steht ... In diesem Verhältnisse stand ich zu Göthe, dessen große Kunst von jeher darinn bestand, die Convenienzen mit Füssen zu treten, und doch dabei immer klug um sich zu sehn, wie weit ers grade überal wagen dürfe. In Stetten z. B. war er gegen die Alte [Frau v. Keller] weit respectvoller als hier gegen die alte Herzogin, in deren Gegenwart er sich oft auf dem Boden im Zimmer herum gewälzt und durch Verdrehung der Hände und Füße ihr Lachen erregt hat.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0520 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0520.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 399 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang