BuG: BuG I, A 65
Leipzig vor 18. 10. 1766

An Cornelia Goethe 18. 10. 1766 (WA IV 1, 80)

Leipzig vor 18. 10. 1766

Ich habe dieße Meße mit dem jungen Hocker gesprochen, er versicherte mir, daß er vor einem halben Jahr, einigemal gekommen mich zu besuchen, mich aber niemals zu Hause angetroffen.

Fritze Hofmann war mir die Meße eine unerwartete Erscheinung. Wir gingen an Langens Gewölwe vorbey, als auf einmahl eine fette und ziemlich kernhaffte Figur die aber zugleich etwas düttig aussah auf uns zu kam. Sie wendete sich zu Hornen, ich besah sie mit Verwunderung, erkannte endlich einige Züge, und rief überlaut aus: Fritze! bist du’s. – Er hielt sich nicht lange hier auf, und wir konnten also die einem Landsmanne gebürende Ehrenbezeigungen nicht beobachten, ob wir ihn gleich einmal Abends mit zu Tische nahmen, wo er aber, niemanden ansah, nichts redete, und also von einigen aus der Gesellschafft, für einen Philosophen, von andern, für einen Schöps gehalten wurde ...

Ich fange an mit den Leipzigern, und mit Leipzig, ziemlich unzufrieden zu werden. Ich binn aus der Gnade derjenigen denen ich sonst meine Aufwartung machen durfte gefallen, und das deßwegen weil ich meines Vaters Raht gefolgt habe und nicht spielen will. Man hält mich daher, für einen in der Gesellschafft überflüssigen Menschen, mit dem nichts anzufangen ist. Ich hätte mich sogar neulich, in einem Haar über, die nähmliche Materie den Unwillen der Frau Hofr. Böhme zuzieen können. Ich binn dieses gantze halbe Jahr über, von keinem als Böhmens und Langens zu Gaste gebeten worden.

Noch eine andere Ursache warum man mich in der grosen Welt nicht leiden kann. Ich habe etwas mehr Geschmack und Kenntniß vom Schönen, als unsere galanten Leute und ich konnte nicht umhin ihnen offt in großer Gesellschafft, das armseelige von ihren Urteilen zu zeigen.

Nichtsdestoweniger lebe ich so vergnügt und ruhig als möglich, ich habe einen Freund an dem Hofmeister des Grafen von Lindenau [Behrisch], der aus eben den Ursachen wie ich, aus der grosen Welt entfernt worden ist. Wir trösten uns mit einander, indem wir in unserm Auerbachs Hofe, dem Besitztume des Grafen, wie in einer Burg, von allen Menschen abgesondert sitzen, und ohne Misantropische Philosophen zu seyn, über die Leipziger lachen, und wehe ihnen, wenn wir einmahl unversehns aus unserem Schloß, auf sie, mit mächtiger Hand, einen Ausfall tuhn.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0065 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0065.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 83 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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