Goethes Briefe: GB 2, Nr. 107
An Johann Caspar Lavater und Johann Conrad Pfenninger

〈Frankfurt a. M. 〉, 26. April 1774. Dienstag → 〈Zürich〉


Bruder was neckst du mich wegen meines Amusements. Ich wollt ich hätt eine höhere Idee von mir und meiner Bestimmung, so wollt ich weder meine Handlungen Amusements nennen, noch mich statt zu handeln amusiren. Doch du hast deinen Zweck erreicht.

An Pfenninger.

Dancke dir lieber Bruder für deine Wärme um deines Bruders ​Seeligkei t. Glaube mir es wird die Zeit kommen da wir uns verstehen werden. Lieber du redest mit mir als einem Unglaubigen der begreifen ​ 1 will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat. Und von all dem ist grade das Gegenteil in meinem Herzen. ​ 2 du wirst viel Erläuterung finden in dem Mspt das ich euch bald schicke

Binn ich nicht resignirter im Begreifen und Beweisen ​ 3 als ihr? Hab ich nicht eben das erfahren als ihr? – Ich bin vielleicht ein Tohr dass ich euch nicht den Gefallen thue mich mit euern Worten auszudrücken, / und dass ich nicht einmal durch eine reine Experimental Psychologie meines ​ 4 Innersten, euch darlege dass ich ein Mensch binn, und daher nichts anders sentirn kann als andre Menschen, dass das alles was unter uns Widerspruch scheint nur Wortstreit ist der daraus entsteht weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentire und drum ihre Relativität ausdrückend, sie anders benennen muss

Welches aller Controversien Quelle ewig war und bleiben wird.

Und dass du mich immer mit Zeugnissen packen willst! Wozu die? Brauch ich Zeugniss dass ich binn?, Zeugniss dass ich fühle? – Nur so ​ 5 schätz, lieb, bet ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie tausende oder einer vor mir eben das gefühlt haben, das mich kräftiget und stärcket. /

Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes es mögens Pfaffen oder Huren gesammelt und zum Canon gerollt oder als Fragmente ​ 6 hingestreut haben. Und mit inniger Seele Fall ich dem Bruder um den Hals Moses! Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza oder Machiavell. darf aber auch zu iedem sagen ​ 7 , lieber Freund geht dir s doch wie mir! Im einzelnen sentirst du kräfftig und herrlich, das Ganze ging in euern Kopf so wenig als in meinen.

An Lavatern.

Dein Schwager bringt dir nichts. Doch will ich verschaffen dass ein Mspt dir zugeschickt werde. denn biss zum druck währts eine Weile. du wirst grosen Teil nehmen an den Leiden des lieben Jungen den ich darstelle. Wir gingen neben einander, ​ 8 An die sechs Jahre ohne uns zu nähern. Und nun hab / ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen und so machts, ein wunderbaares Ganze.

da schick ich dir ein Profil. der Kerl |:sagt man:| war Steuermann, hat in der Sklaverey zu Tunis viel ausgestanden und zieht nun in der Welt herum Mitleiden zu erregen. Ich hab ihn nach dem Leben gezeichnet. das ist nur in dess flüchtige Copie davon, das Original drückt besser den Eigensinn im Leiden, und das niedergedrückte einer starcken Menschheit ​ 9 aus. du sollsts auch haben.

die Stirn Höhe ist übertrieben. Oder vielmehr sas er zu Zeiten mehr als Profil da wölbte es sich so starck. Adieu Bruder ich binn nicht lass, solang ich auf der Erde binn erobr ich ​ 10 wenigstens gewiss meinen Schritt lands täglich ​ 11 ! Steiner hat gefunden dass mein Portrait das du hast nicht ich sey. Es ist ein gar lieber Mann. Am 26 Apr. 1774.

  1. ×ich begreifen​ ↑
  2. ↓du wirst 〈…〉 bald schicke↓​ ↑
  3. b ​Beweisen​ ↑
  4. meins ​es​ ↑
  5. s× ​o ​ ↑
  6. Fragmet ​nte​ ↑
  7. S ​sagen​ ↑
  8. einander. ​, ​ ↑
  9. Mensche ​heit​ ↑
  10. erobr∫ich​ ↑
  11. × ​täglich​ ↑

H: UB Leipzig, Slg Hirzel, Sign.: B 26. – Doppelblatt 11,4(–11,6) × 19,2 cm, 4 S. beschr., egh., Tinte. – Teilfaksimile: Das Deutsche Volkstum. 〈…〉 hrsg. von Hans Meyer. Zweite, neubearbeitete und vermehrte Aufl. Leipzig und Wien 1903, zwischen S. 248 und 249 ( 84,30–85,13 An Lavatern 〈…〉 1774.).

E: Goethe-Lavater​1 (1833), 3–8, Nr 1 und 2 (als separate Briefe).

WA IV 2 (1887), 154–157, Nr 216 (Textkorrekturen in den „Berichtigungen“, WA IV 50 [1912], 209).

Zeichnung eines Matrosen von Goethes Hand (vgl. zu 85,3 ).

Der Brief beantwortet nicht überlieferte Briefe Lavaters und Pfenningers oder einen gemeinsamen Brief beider, worin es offenbar um religiöse Fragen, Goethes poetische Produktion und Lavaters „Physiognomische Fragmente“ ging. – Lavater antwortete am 1. Mai 1774 (vgl. RA 1, 55, Nr 26 ; Goethe-Lavater​3, 25–29, Nr 17); auch in seinem Brief vom 11. Mai 1774 bezieht sich Lavater auf den vorliegenden Brief (vgl. Goethe-Lavater​3, 31: über die „Zeichnung des Matrosen“). Ein Antwortbrief Pfenningers ist nicht bekannt.

Johann Conrad Pfenninger (1747–1792), schweizerischer reformierter Theologe und Prediger, 1775 Diakon, 1778 Pfarrer der Waisenhauskirche, 1786 Diakon der Peterskirche in Zürich, war der vertrauteste Freund und Mitarbeiter Lavaters. Durch dessen Vermittlung war es zum Briefwechsel mit Goethe gekommen. Der vorliegende (zugleich an Lavater gerichtete) Brief ist der einzige überlieferte Brief Goethes an Pfenninger. Antwortbriefe Pfenningers sind nicht überliefert. Obwohl Pfenninger offensichtlich versucht hatte, Goethe zum rechten Glauben zu bekehren, entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. Persönlich lernten sich beide während Goethes Schweizerreise im Juni 1775 in Zürich kennen. Über Lavater ließ Goethe wiederholt Grüße an Pfenninger ausrichten, die dieser erwiderte. Lavater berichtete in seinen Briefen an Goethe immer wieder Neuigkeiten von Pfenninger und dessen Familie. Nach dessen Tod im Jahr 1792 bat er Goethe um Vermittlung einer finanzieller Unterstützung für Pfenningers Familie bei Herzog Carl August (vgl. seinen Brief vom 22. September 1792 [RA 1, 180, Nr 467; Goethe-Lavater​3, 242–246, Nr 131]). – Über Lavater vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 67 .

Die Handschrift zeigt einen deutlichen Wechsel im Schriftduktus nach dem ersten Absatz; offensichtlich wurde die Niederschrift des Briefes unterbrochen. Der Anfang – Bruder 〈…〉 Zweck erreicht. ( 83,19–22 ) – bezieht sich wohl wie der letzte Teil auf Lavater.

dem Mspt das ich euch bald schicke] Gemeint ist das Manuskript von „Die Leiden des jungen Werthers“; Werthers Brief an Wilhelm vom 15. November beginnt ähnlich wie der an Pfenninger: Ich danke Dir, Wilhelm, für Deinen herzlichen Antheil, für Deinen wohlmeynenden Rath 〈…〉. (DjG​3 4, 162 [2. Teil]; vgl. auch 2. Fassung, WA I 19, 129.) Auch enthält er ähnliche Gedanken über Glauben und Religion: Ich ehre die Religion, das weist Du, ich fühle, daß sie manchem Ermatteten Stab, manchem Verschmachtenden Erquikkung ist. Nur – kann sie denn, muß sie denn das einem jeden seyn? Wenn Du die große Welt ansiehst; so siehst du Tausende, denen sie's nicht war, Tausende denen sie's nicht seyn wird, gepredigt oder ungepredigt, und muß sie mir's denn seyn? (Ebd.; vgl. auch 2. Fassung, WA I 19, 130.)

resignirter] Resignieren: „Verzicht thun auf etwas“ (Schweizer 2, 728).

dass ich euch 〈…〉 euern Worten auszudrücken] Faust legt in der frühen Fassung der Tragödie auf Gretgens Frage nach seiner Haltung zur Religion ein Glaubensbekenntnis ab, welches diese skeptisch mit der Bemerkung kommentiert, im Katechismus sei dies auch – Nur mit ein bisgen andern Worten – gesagt (Vers 1154). Darauf erwidert Faust: Es sagens aller Orten / Alle Herzen unter dem Himmlischen Tage, / Jedes in seiner Sprache / Warum nicht ich in der meinen. (Verse 1155–1158; DjG​3 5, 331.)

Experimental Psychologie] Hier wohl im Sinne einer religiösen „Introspektion“ (GWb 3, 501) und Seelenerforschung. In der pietistischen Frömmigkeitsbewegung hatte die Subjektivierung und Individualisierung religiösen Erlebens stattgefunden. So war auch für Lavater die Quelle christlicher Gläubigkeit nicht nur die Offenbarung Gottes, sondern vor allem das religiöse Gefühl, dessen sich der Gläubige durch Selbstbeobachtung zu vergewissern hatte. Im 6. Gesang von Lavaters epischem Gedicht „Das menschliche Herz“ heißt es:

O Menschenherz! Des Gottesglaubens fähig, Wie mehr, als groß bist Du! 〈…〉 Dir ward die Wunderkraft, ein Höchstes, Beßtes Persönlich Dir, Dir als ein ​Du zu denken; Mit dem ​Du Dich kindlich zu vereinen; Dem hohen ​Du zu sagen: „Schöpfer! Vater! Du bist, und bist in Mir; 〈…〉!“

(Das menschliche Herz. Sechs Gesænge. von Johann Kaspar Lavater. Zwote Ausgabe. Zürich 1798, S. 183 [1. Ausgabe 1790].) – Der Begriff Experimental Psychologie weist auf den der ‚Erfahrungsseelenkunde‘. Diese psychologische Konzeption der Aufklärungszeit versuchte, beobachtbare ‚Erfahrungen‘ auf das Innere der menschlichen ‚Seele‘ hin zu interpretieren. Dies war auch das Anliegen von Lavaters „Physiognomischen Fragmenten“. Karl Philipp Moritz gab von 1783 bis 1793 das „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ heraus.

sentirn] Franz. sentir: fühlen, empfinden, wahrnehmen; urteilen.

Relativität] Im „Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***“ heißt es: Denn wenn mans beym Lichte besieht, so hat jeder seine eigene Religion 〈…〉 (DjG​3 3, 313). Mit der Auffassung von der Relativität religiöser Überzeugungen und der Inkommensurabilität individueller Gotteserfahrung stand Goethe in striktem Gegensatz zu Lavaters Bestrebungen, mit der Objektivität Christi als des einen Gottes die Allgemeinverbindlichkeit des christlichen Glaubens zu beweisen. Ein Glaube ohne Anspruch auf objektive Wahrheit schien Lavater bloß „eine ​geistliche Onanie“ (Brief an Goethe, 16. August 1781; Goethe-Lavater​3, 188).

aller Controversien Quelle] Möglicherweise hat sich in dieser Formulierung Goethes Spinoza-Lektüre niedergeschlagen, nicht zuletzt, weil Goethe wie Spinoza von Sachen ( 84,15 ) (für lat. res) und von Controversien (für lat. controversiae statt wie sonst von ‚Controversen‘) spricht. Im Mai 1773 hatte Goethe von Ludwig Julius Friedrich Höpfner Spinozas „Ethik“ ausgeliehen (vgl. 27,21–22 ); darin heißt es: „Quæ omnia satis ostendunt, unumquemque pro dispositione cerebri de rebus judicâsse, vel potiús imaginationis affectiones pro rebus accepisse. Quare non mirum est, 〈…〉 quòd inter homines tot, quot experimur, controversiæ ortæ sint, ex quibus tandem Scepticismus.“ („Alles diess zeigt hinlänglich, dass jeder nach Beschaffenheit seines Gehirns über die Dinge geurtheilt, oder vielmehr die Affectionen seiner Einbildungskraft für die Dinge genommen hat. Desshalb ist es kein Wunder 〈…〉, dass, wie wir erfahren, unter den Menschen so viel Streitigkeiten entstanden sind und endlich daraus der Skepticismus“; Spinoza: Opera. Werke. Lateinisch und deutsch. Bd 2. Hrsg. 〈und übersetzt〉 von Konrad Blumenstock. 4., unveränderte Aufl. Darmstadt 1989, S. 156 und 157.)

zum Canon gerollt] Im theologischen Sprachgebrauch bezeichnet Kanon die maßgebende Sammlung der Heiligen Schriften. Das Verb ‚rollen‘ spielt auf die Verwendung von Schriftrollen im Altertum an (wie z. B. die jüdische Thorarolle).

Moses] Nach biblischem Bericht führte Moses (im 13. Jahrhundert v. Chr.?) das hebräische Volk aus der Sklaverei in Ägypten nach Kanaan (Palästina). Nach Moses sind die ersten fünf Bücher des Alten Testaments benannt (1.–5. Buch Mose); sie berichten von der Erschaffung der Welt, von Abstammung und Entstehung, Jugend und Lehrzeit des Volkes Israel.

Prophet] Hier wohl im biblischen Sinn als Verkünder göttlichen Willens zu verstehen.

Evangelist] Nach griech. εὐαγγέλιον (gute Botschaft): Verkünder einer Sieges-, einer guten Botschaft. In den frühen Christengemeinden standen die Evangelisten neben den Propheten und Aposteln. Seit dem 3. Jahrhundert werden nur noch die Schreiber der vier Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) so genannt.

Apostel] Griech. ἀπόστολος: Abgesandter; im biblischen Sinn ein Bevollmächtigter, der das Evangelium vom Reich Gottes und der Auferstehung Jesu von den Toten zu verkünden hat. Am bekanntesten sind die zwölf Jünger, die Jesus selbst Apostel genannt hat (vgl. Lukas 6,13).

Spinoza] Baruch de Spinoza, holländischer Philosoph. Seine Philosophie war ein Gesprächsthema auf Goethes und Lavaters Reise von Frankfurt nach Ems am 28. Juni (vgl. Lavaters Tagebuch; Goethe-Lavater​3, 291 f.; BG 1, 263 f.). Spinozas pantheistische Weltanschauung (,deus sive natura‘) stand in diametralem Gegensatz zu Lavaters Christologie.

Machiavell] Niccolò Macchiavelli, italienischer Politiker und Geschichtsschreiber, Verfasser der staatstheoretischen Schrift „Il principe“ (1532; unter anderem Titel bereits 1513), nach welcher der ideale Staat sich durch Selbstständigkeit, Größe und Macht auszeichnet, die der politisch Handelnde mit allen zweckgerechten Mitteln zu erstreben hat, ohne Rücksicht auf private Moralität und bürgerliche Freiheit.

Dein Schwager] Hier ist vermutlich der Fahrer der Postkutsche, der Postillion, gemeint und nicht, wie bisher vermutet, der Schwager Lavaters, Caspar Schinz, Zunftmeister und Mitglied des Kleinen Rates (der Stadtregierung) von Zürich.

verschaffen] Hier: „durch befehl, bitten herbeischaffen, anordnen, bewirken“ (Grimm 12 I, 1050).

ein Mspt dir zugeschickt] Gemeint ist der „Werther“, der erst zur Leipziger Michaelismesse Anfang Oktober 1774 in den Handel kam (vgl. Nr 148 sowie QuZ 4, 680, Nr 2471). Lavater lernte „Die Leiden des jungen Werthers“ erst im Juni in Frankfurt kennen; im Tagebuch seiner Reise an Rhein und Ems heißt es unter dem 24. Juni 1774: „Goethe las mir noch nach dem Nachteßen aus ​Werthers Leiden, eine Sentimental Geschichte in Briefen vor. – O Scenen – voll, voll wahrer, wahrester Menschen Natur – ein unbeschreiblich naives wahres Ding.“ (Goethe-Lavater​3, 283.) Weitere Hinweise auf die Lektüre des „Werther“ enthält das Tagebuch unter dem 28. Juni, 30. Juni und 15. Juli (vgl. Goethe-Lavater​3, 292 f., 296 und 298 f.).

des lieben Jungen] Carl Wilhelm Jerusalem, 1765/66 Student der Rechte in Leipzig, Legationssekretär beim Reichskammergericht in Wetzlar; sein Freitod am 30. Oktober 1772 war eine der Anregungen für die Figur des Werther (weiter vgl. GB 1 II, zu 241,7–9 ).

ein Profil] Es wurde, von Johann Rudolf Schellenberg gestochen, in Lavaters „Physiognomischen Fragmenten“ (4, 361) veröffentlicht, mit der Unterschrift: „Hier noch ein Bild eines Matrosen, der allen Ausdruck unbeweglicher Felsenstärke hat.“ (4, 360.) Über die Person des Seemanns konnte nichts ermittelt werden. Goethes Zeichnung ist nicht überliefert (vgl. Corpus VII, 27, Nr 71).

lass] Ältere Form von ‚lässig‘: „träge, matt, müde, kraftlos“, nur „in der edlern und höhern Schreibart“ gebräuchlich (Adelung 2, 1910).

Steiner] Johann Heinrich Steiner, Verleger von Lavaters Werken in Winterthur, hatte Goethe mit einem Empfehlungsbrief Lavaters vom 2. April 1774 (vgl. Goethe-Lavater​3, 22 f.) in Frankfurt besucht.

mein Portrait das du hast] Heinrich Funck (Goethe-Lavater​3, 384) vermutet, dass es sich um das Miniatur-Ölbild von Johann Daniel Bager handelt (aufbewahrt in Bildarchiv und Porträtsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien; abgebildet u. a. in: Goethe. Seine äußere Erscheinung. 〈…〉 Hrsg. von Emil Schaeffer und Jörn Göres. Frankfurt a. M. 1999, S. 54); es erschien in einem Stich von Johann Gottfried Saiter im 3. Band von Lavaters „Physiognomischen Fragmenten“ (S. 220; abgebildet u. a. in: Goethe-Lavater​3, Tafel II, Nr 5). – Gleich zu Beginn der Korrespondenz mit Goethe hatte Lavater am 14. August 1773 an Johann Conrad Deinet geschrieben: „Sie können sich nicht vorstellen, wie intereßant mir dieser Mann, und alles ist, was von ihm herkömt. Ich sehe, deücht mich, tief in seine Seele 〈…〉 unaussprechlich wünsch ich mir sein Bild 〈…〉. Auch der fehlerhafteste Schattenumriß – ist mir hinreichend, die Claße zu entdeken, in welche ich die Menschen setzen muß.“ (Goethe-Lavater​3, 382.) Eine ähnliche Bitte hatte er auch schon im Brief an Joseph Conrad Deinet vom 11. Juli ausgesprochen (vgl. ebd.). Am 6. November 1773 bedankte sich Lavater bei Goethe für dessen Bild und schickte ihm sein eigenes (vgl. ebd., 6). Diese ‚physiognomische Kommunikation‘ erhielt für Lavater spezifische Bedeutung: „Nur er 〈der Physiognomist〉 versteht die schönste, beredteste, richtigste, unwillkührlichste und bedeutungsvolleste aller Sprachen, die Natursprache des moralischen und intellektuellen Genies 〈…〉.“ (J. C. Lavater von der Physiognomik. Leipzig 1772, S. 34 f.) Diese Sprache gleiche, wie Lavater in seinen „Aussichten in die Ewigkeit“ dargetan hatte, „unserer Sprache im Himmel“ (Bd 3. Zürich 1773, S. 101), einer nonverbalen „Mittheilungsart“, welcher die im Jenseits Auferstandenen mächtig sein würden: „Die unmittelbare Sprache ist physionomisch 〈sic〉, pantomimisch – musicalisch.“ (Ebd., S. 108.)

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 107 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR107_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 83–85, Nr 107 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 231–236, Nr 107 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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