Goethes Briefe: GB 2, Nr. 105
An Jakob Jonas Bjørnståhl

〈Frankfurt a. M. , 13. April 1774. Mittwoch〉 → 〈Frankfurt a. M.〉


Si Vous aves envie Monsieur de voir notre Bibliotheque j'aurai l'honneur de venir Vous prendre a deux heures, le Bibliothecaire m'a promis de s'y trouver a ce temps. Un mot de reponse s'il Vous plait.

Goethe.   

Aus Bjørnståhls Reisetagebuch geht hervor, dass er die Stadtbibliothek Frankfurt a. M. zweimal besucht hat, am 9. und am 13. April 1774 (vgl. Jakob Jonas Björnståhls Briefe auf seinen ausländischen Reisen 〈vgl. die einleitende Erläuterung〉, Bd 5, S. 221 und 231; vgl. auch BG 1, 246 f.). Unter Samstag, dem 9. April, heißt es: „Nachmittags waren wir bey Herrn ​Göthe, Doctor der Rechte, einem sehr artigen Manne, der uns nach dem Gymnasium, dessen Rector Herr ​Purmann ist, begleitete. Hierauf ließen wir uns die Stadtbibliothek zeigen, über welche Herr ​Lichtenstein 〈…〉 die Aufsicht hat 〈…〉.“ Unter Mittwoch, dem 13. April, schreibt Bjørnståhl: „Den 13. April waren wir auf der Bibliothek 〈…〉. Sie ist nur Mittwochens und Sonnabends offen; Herr ​Lichtenstein erzeigte uns aber die Höflichkeit, sie diesen Nachmittag lediglich um unsert willen zu öffnen, damit wir unsre Zeit, die kurz war, möchten benutzen können.“ Diese Tagebucheintragungen lassen vermuten, dass das vorliegende Billett nicht vom 9. April, sondern vom 13. April stammt, denn Goethes Hinweis, der Bibliothekar habe versprochen, sich einzufinden, bezieht sich offenbar auf den Umstand, dass er die Bibliothek eigens für Bjørnståhl öffnete. Die Frankfurter Stadtbibliothek hatte nur wenige Stunden in der Woche geöffnet (nach freundlicher Mitteilung von Roman Fischer, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt). Außerdem setzt das vorliegende Billett voraus, dass Goethe und Bjørnståhl sich bereits kennen gelernt hatten; die persönliche Charakterisierung Goethes im Tagebucheintrag vom 9. April legt die Annahme nahe, dass Bjørnståhl an diesem Tag Goethe zum ersten Mal begegnete.

H: Universitets bibliotek Lund, Sign.: Saml. Bjørnståhl, J. J. – Doppelblatt 18 × 23 cm, ⅓ S. beschr., egh., Tinte; S. 4 Adresse: A Monsieur / de Biörnsthal ; darunter Farbreste eines roten Siegels, ebenso auf S. 3 rechts oben (beide Siegel hatten keinen Kontakt miteinander).

E: WA IV 7 (1891), 353, Nr 215a (Eduard von der Hellen) (Korrektur der Adresse in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 209).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

Jakob Jonas Bjørnståhl (1731–1779), schwedischer Orientalist, Sprachwissenschaftler, Entdeckungsreisender und Schriftsteller, war 1761 Magister, kurz darauf Dozent für Arabisch geworden. Gefördert vom schwedischen Hofmarschall Baron Adolf Rudbeck, hatte sich Bjørnståhl in Begleitung von dessen Söhnen Adolf Fredrik und Carl Fredrik 1767 auf Reisen begeben. In den folgenden Jahren hielt er sich in Frankreich auf, reiste 1769 über die Schweiz nach Italien, wo er bis 1773 blieb. Von Italien ging er über die Schweiz und nach rascher Durchquerung Deutschlands am Rhein entlang nach Holland und 1775 nach England. Dort trennte sich der zweite der jungen Rudbecks – ein Bruder war schon früher nach Hause zurückgekehrt – von Bjørnståhl. Dieser reiste im Jahr darauf, 1776, von England aus in die Türkei und nach Griechenland. Im selben Jahr wurde er zum außerordentlichen Professor für Orientalistik an der Universität Upsala ernannt, Anfang 1779 zum ordentlichen Professor der Universität Lund. Am 12. Juli 1779 starb Bjørnståhl in Thessaloniki.

Nach seinem Tod erschien eine umfangreiche Beschreibung seiner langjährigen Reisen (sechs Bände mit mehreren Teilbänden), die auch in deutscher Sprache erschien; der 5. Band enthält die Reise durch Deutschland: Jakob Jonas Björnståhls Briefe auf seinen ausländischen Reisen an den Königlichen Bibliothekar C. C. Gjörwell in Stockholm. Aus dem Schwedischen übersetzt von Just Ernst Groskurd. Fünfter Band, welcher das Tagebuch des vorhin 〈in Bd 3〉 nicht beschriebenen Theils der Reise durch die Schweiz, Deutschland, Holland und England enthält. Leipzig und Rostock 1782.

Möglicherweise war Bjørnståhl der Besuch Frankfurts und Goethes, den er offensichtlich am 9. April kennen lernte (vgl. Bjørnståhls Tagebucheintrag unter diesem Datum in den Hinweisen zur Datierung), von Lavater empfohlen worden, mit dem er in Zürich zusammengetroffen war. Lavater erwähnt dies in seinem Tagebucheintrag vom 18. Juli 1774 aus Neuwied, wo er in Begleitung Goethes und Basedows auf der gemeinsamen Rheinreise Station machte (vgl. Goethe-Lavater​3, 309). Dort trafen Goethe und Lavater erneut mit dem „lieben ehrlichen gelehrten Sucher, Forscher Anecdotensammler“ zusammen (ebd.). Lavater notierte: „Noch 1 ½ Stunden Geschwätz von Byörnstahl – worüber Baßedow schmählte – Ich vertheidigte seine Einsichten u. Ehrlichkeit.“ (Ebd.) Näheres über die Begegnung Bjørnståhls mit Goethe ist nicht bekannt. Weitere Erwähnungen des schwedischen Gelehrten in Goethes Briefen gibt es nicht.


Übersetzung:


Wenn Sie Lust haben, unsere Bibliothek zu sehen, ist es mir eine Ehre, Sie um zwei Uhr mitzunehmen. Der Bibliothekar hat mir versprochen, sich dort um diese Zeit einzufinden. Ich bitte um ein Wort zur Antwort.


notre Bibliotheque] Die Frankfurter Stadtbibliothek befand sich im Gebäudekomplex des ehemaligen Barfüßerklosters, in der auch das Gymnasium untergebracht war (an der Stelle der heutigen Paulskirche).

le Bibliothecaire] Johann Simon Frank von Lichtenstein, Frankfurter Stadtbibliothekar.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 105 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR105_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 83, Nr 105 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 227–229, Nr 105 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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