Goethes Briefe: GB 2, Nr. 64
An Johanna Fahlmer

〈Frankfurt a. M. , kurz vor bis kurz nach〉 31. Oktober 1773. Sonntag → 〈Düsseldorf〉


Dass unsre Expedition schnell gehe zu beyderseitiger Ergözzung, folgt hier das Schönbartspiel, und die Läppgen.

Sonst ist alles hier wohl, laufft durch einander, und packt.

Und ich wie immer binn ​ 1 wechselnden Humors, und habe mich zu was verleiten lassen darüber Sie mich von Herzen —— werden. In dess Adieu, und behalten Sie einige Neigung zu uns weil Sie doch wieder her müssen.

Goethe.


Von beykommenden Mustern kommt wie drauf steht die einen 17 f die andern 19 f das Stück Man bittet sich aber die ​Muster alle 2 bald möglichst wieder zurück, mit denen gezeichneten, auf die die Wahl fällt.

Noch was. Hℓ. Andrä schickt Ihnen hier ein Exemplar ​Töpfer, wünscht im Merkur eine höfliche wo möglich anlockende Rezension zu sehen. Der Mann hat Frau / und Kinder, und Geld hinein gesteckt. Blos in der Rücksicht, wenn auch das ding nicht würcklich musikalischen und andern Werth hätte, sollte man ihm den Liebesdienst nicht versagen. Die Hℓ. Thuns ja bey anderen Gelegenheiten, werden sies ​ 3 auch ​ 4 wohl da thun. Er empfielt sich ihnen aufs beste, zwar ​ 5 wüsst ich nichts erbärmlichers als ein Autor der sich empfielt. Doch es ist hier nur der Kaufmann. Denn das ​ding will nicht rutschen, ich hätts ihm freylich voraus sagen wollen. Viel Grüse der lieben Frau und Lotten.

G.

am 31. Okbr. 1773.


Nota Bene das Zettelgen ist liegen blieben und muss ietzt mit der fahrenden Post.

  1. e ​binn​ ↑
  2. ​alle​ ↑
  3. S ​sies​ ↑
  4. aus ​ch ​ ↑
  5. zww ​ar​ ↑

Der mehrfach veränderte Schriftduktus der Handschrift zeigt, dass der Brief in drei Ansätzen geschrieben wurde: 1) Dass unsre Expedition 〈…〉 auf die die Wahl fällt. ( 50,17–51,7 ); 2) Noch was. 〈…〉 am 31. Okbr. 1773. ( 51,8–19 ); 3)  Nota Bene das Zettelgen 〈…〉 mit der fahrenden Post. ( 51,20–21 ). Ob alle drei Teile des Briefes vom selben Tag stammen, also vom 31. Oktober 1773, ist nicht sicher zu entscheiden. Denkbar ist, dass der erste Teil früher geschrieben wurde, der dritte Teil dagegen später, nachdem das Zettelgen, also der erste und zweite Teil des vorliegende Briefes, liegen geblieben war. Da Goethe nur von dem Zettelgen spricht, waren die Beilagen vielleicht auf anderem Wege nach Düsseldorf geschickt worden.

H: Privatbesitz, Deutschland. – Doppelblatt 11,5(–11,7) × 19,1(–19,3) cm, 2 S. beschr., egh., Tinte; S. 4 oben links von Johanna Fahlmers Hd, Tinte: „N ​r​o 3“ (vgl. die erste Erläuterung zu 46,5 ).

E: Goethe-Fahlmer (1875), 33–35, Nr 4.

WA IV 2 (1887), 117 f., Nr 178 (nach E; Korrektur nach E und H in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 208).

1) Manuskript des „Jahrmarktsfests zu Plundersweilern“ (vgl. die erste Erläuterung zu 50,18 ).

2) Läppgen (möglicherweise Stoffmuster; vgl. die zweite Erläuterung zu 50,18 ).

3) Partitur der Oper „Der Töpfer“ (vgl. zu 51,8–10 ).

Möglicherweise antwortet der Brief auf einen nicht überlieferten Brief Johanna Fahlmers, in dem sie um Stoffproben gebeten hatte (vgl. 50,18 ). – Der Antwortbrief, auf den sich Nr 69 beziehen könnte, ist nicht überliefert.

Johanna Fahlmer versah den vorliegenden Brief mit dem Vermerk „N ​r​o 3“ (vgl. Überlieferung); da sie Nr 59 als „N ​r​o  1“ bezeichnet (vgl. Überlieferung dieses Briefes), scheint ein Brief Goethes verloren zu sein (vgl. EB 13 ).

Expedition] Nach lat. expeditio (Abfertigung): Beförderung, Lieferung.

Schönbartspiel] Gemeint ist das Manuskript des im Untertitel „Schönbartsspiel“ genannten Bühnenspiels „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“, dessen Übersendung Goethe in Nr 59 angekündigt hatte (vgl. 46,29 ). – Die Bezeichnung ‚Schönbart‘ leitet sich her von spätmhd. schembart: bärtige Maske; so genannte Schönbartspiele (Maskenumzüge) wurden im Spätmittelalter als Fastnachtslustbarkeiten der Handwerkszünfte veranstaltet, in ‚Schönbartbüchern‘ abgebildet und in Versform beschrieben, u. a. von Hans Sachs.

Läppgen] Es dürfte sich um die Stoffmuster handeln, von denen im zweiten Teil des vorliegenden Briefes (vgl. 51,4–7 ) sowie in Nr 69 die Rede ist. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zu den Läppgen, die zur Ausbesserung der Nachtjacke Charlotte Kestners dienen sollten (vgl. zu 44,4–5 ; 49,21 ).

laufft durch einander, und packt] Goethes Schwester Cornelia heiratete am 1. November. Es wurde für den anschließenden Umzug nach Karlsruhe gepackt.

Humors] ‚Humor‘ im 18. Jahrhundert noch im Sinne von franz. humeur: Laune, Stimmung.

zu was verleiten lassen] Gemeint ist die Farce „Götter Helden und Wieland“ (Leipzig [recte: Kehl] 1774), die Goethe eines Sonntags Nachmittags 〈…〉 bey einer Flasche guten Burgunders 〈…〉 in Einer Sitzung niederschrieb. (AA DuW 1, 535 [15. Buch].) So erinnert er sich jedenfalls in „Dichtung und Wahrheit“. Die Farce ist Goethes Reaktion auf Wielands Euripides-Kritik in den „Briefen an einen Freund über das deutsche Singspiel, Alceste“ (in: Der Deutsche Merkur. 1. Bd. 1. und 3. Stück. Januar und März 1773, S. 34–72 und 223–243); vgl. auch zu 41,33–34 .

darüber Sie mich von Herzen — werden] Goethe befürchtete, Johanna Fahlmer könne ihm die Satire übel nehmen, weil sie ihrer Freundschaft mit Johann Georg Jacobi wegen, an den Wielands „Briefe an einen Freund“ gerichtet sind, auf Seiten Wielands stand. Vgl. auch 76,11–18 .

beykommenden Mustern] Vgl. zu die zweite Erläuterung 50,18.

f] Franz. florin: Gulden (mhd. guldîn: golden). Die Bezeichnungen gehen auf florentinische Goldmünzen zurück.

Hℓ. Andrä 〈…〉 zu sehen.] Goethe übersandte die Partitur (vgl. zu 54,21–22 ) einer Oper des Offenbacher Seidenfabrikanten und Komponisten Johann André: Der Tœpfer, eine komische Oper in einem Aufzuge, verfertiget und in Musick gesetzt von I. André. Auf dem Fürstlichen Theater zu Hanau, am 22 Jænner 1773. zum erstenmale aufgeführt 〈…〉. Offenbach am Mayn; auf Kosten des Verfassers (Faksimiledruck in: German Opera 1770–1800 〈….〉. Edited with Introductions by Thomas Bauman. New York, London 1986). – In Kenntnis der guten Beziehungen Johanna Fahlmers zu den Brüdern Jacobi und zu Wieland bat Goethe um eine wohlwollende Besprechung des Werks, dessen Urheber er seit 1764 aus der „Arcadischen Gesellschaft zu Phylandria“ kannte (vgl. GB 1 II, einleitende Erläuterung zu Nr 1 ; GB 1 II, zu 3,16 ). Obwohl Johanna Fahlmer offensichtlich ihre Unterstützung zusagte (vgl. 56,8 ) und Goethe ihr in Nr 70 den Entwurf einer Rezension zukommen ließ, kam seine Bemühung zu spät. Im Dezember-Heft von Wielands „Teutschem Merkur“ 1773 nannte der Rezensent Christian Heinrich Schmid in der „Fortsetzung der kritischen Nachrichten vom teutschen Parnaß“ unter der Rubrik Operetten „sechs schlechte Kopien“, an erster Stelle „Der Töpfer“ (4. Bd. 3. Stück, S. 256; zur Verfasserschaft vgl. Thomas C. Starnes: Der teutsche Merkur. Ein Repertorium. Sigmaringen 1994, S. 237, Nr 1317). André war verärgert, auch giftig ( 72,2 ) über Goethe, obwohl in den FGA (Nr 88 vom 2. November 1773) eine günstige Besprechung seiner Oper erschien: „Unserm hiesigen Publiko dörfen wir gegenwärtiges wohl gerathne Stück nicht erst empfehlen, da es vor kurzer Zeit mit allgemeinem Beyfall aufgeführt worden ist 〈…〉.“ (S. 725.) Der Komponist beweise eine „Geschicklichkeit 〈…〉, von der jedermann gestehen muß, daß sie sich über das gemeine erhebt.“ (Ebd.) Die hierauf folgende Charakterisierung der Oper entspricht so offensichtlich der Beschreibung, die Goethe in seinem Brief an Johanna Fahlmer vom 23. November ( Nr 70 ) gibt, dass nicht auszuschließen ist, Goethe sei der Verfasser der Rezension. Auf jeden Fall scheint sie auf seine Anregungen zurückzugehen: „Das Stück selbst ist simpel, und eben darum nimmt es sich auf dem Theater gut aus 〈…〉. Eben so macht auch die angenehme Laune, das Salz, und gefälliger Witz, den Dialog unterhaltend, und dem Geist und dem Herzen des Verf. Ehre. Nicht weniger glücklich ist er in Verbindung des Theaterspiels mit Handlung und Gesang. 〈…〉 Die Melodien sind leicht, singbar nach den Kehlen unsrer Operettensänger eingerichtet, das Akkompagnement ist stark, ohne überladen zu seyn, und besonders wohl gelingt dem Verf. der Gebrauch blasender Instrumente. In allen diesen Rücksichten muß es dem Publiko angenehm seyn, daß er sich entschlossen hat, die ganze Partitur herauszugeben 〈…〉.“ (Ebd., S. 725 und 726.)

Frau und Kinder] Katharina Elisabeth André geb. Schmaltz, die vierjährige Marie Julienne Philippine, der dreijährige Philippe Henri und der vier Monate alte Jean Frédéric.

der lieben Frau und Lotten] Elisabeth (Betty) und Charlotte (Lotte) Jacobi.

das Zettelgen] Vgl. Datierung.

mit der fahrenden Post] Mit der Postkutsche, die langsamer war als die ‚reitende Post‘.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 64 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR064_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 50–51, Nr 64 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 131–133, Nr 64 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

Zurück zum Seitenanfang