Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 13
Von Helene Elisabeth Jacobi

6. November 1773, Düsseldorf

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Hr. Doct. Göthe Lobesan. Hier kömmt Mamachen, um mit Ihnen ein
wenig zu plaudern. Zwar Mamachen schreibt selbst nicht, sie sitzt hinter
einem Vorhang mit schwachen halb erloschnen Augen, u schickt Worte und Ge-
danken in Täntchens​(*) Feder. Bereits seit einigen Tagen lauerte ich auf einen
wohlstudierten Glückwünschungs Brief v. Cätchen, Charlotte, Antonette, oder
Nane; oder, dachte Antoinette wenigstens, würde sich mit einem JubelSchrey
vor meinem Bette einfinden: allein da weder Brief noch Erscheinung kömt,
so gilt dieses mein Schreiben auch niemand als dem bösen Menschen mit
dem guten Herzen, welcher brave neue Bekantschaften nicht so Ehren rührig
behandelt, und aus der Acht lässt. Die Mädchen thun nicht wohl, wenn
ich wieder nach Ffurt komme, so bin ich schlank, rasch, munter, u
kann hübsch ohne Hr. Doctors Arm gehen; denn werden Sie mich gerne
haben; u. ich sage, ich will nun auch nicht, lasst mich bey lieb Gross
Mama sitzen.


   Diese Woche hatten unsre lieben Frankfurter einen fröhlichen Tag. Tante,
   , u. ich gedachten des Brautpaars, so wie man zu thun pflegt, u machten
ihnen eben darauf einen rechten schönen Segen beym lieben Gott aus. Sa-
gen Sie das Ihrer lieben Schwester; und daß ich noch immer mißvergnügt
bin; daß sie zu Darmst. tanzen musste, während ich zu Frankf. her-
um schliche. – Und was habe ich für mein Schleichen? Anstatt
eines holden Mädchens, einen grossen starken Jungen. Sein

====


   Ich Tante dabey aussehend, wie der bewusste
          abgemahlte Hr Bölling.

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Auftritt in diese Welt war sehr kränkend. Die Wehemutter wollte mir
sein Geschlecht ôt nennen; der Vater fuhr in ein stoisch Gesicht; die
Bognerin sagte: Ey pfuy! u die Tante, welche man bey seiner
Ankunft weckte, drehte mit einem ärgerlichen: nichts mehr als das!
den Rücken nach der Wand hin u. schlief wieder ein. Ich, ich nahm
meinen Jungen, Gott weis, zu mütterlichen Gnaden auf, versteckt ihn
in mein Bette, u ließ ruhig die Leute drob murren. Eben vor
diesem Bette hängt Ihre kleine Landschft. Ich behaupte, sie sähe
noch immer so freundlich, wie zu Ffrt, aus, wenn mein Zimmer hell
wäre; allein die Tante sagt: Groß Papa​(*) u Gr. Mama, welche dar-
über, als ein Pr. schwarze Meerkäzchen sitzen, verfinsterten das Stück,
u liessen einen Katzen grauen Tag darauf leuchten. Sagen Sie Ihre
Gedanken darüber. Und wenn die Frau Räthin nebst Cätchen u den
übrigen, welche ich im Töpfer zu stecken glaubte, v. Hr. Doctors
Hand gezeichnet ankommen; so melden Sie mir, ob die Stücke
sich am besten gegen Morgen, Abend od Mitternacht in meiner Stube
ausnehmen? – Uber Ihren mir zugeschickten Roman freue ich
mich recht herzlich; er hat mich amusiert, so wie sie es haben
wollten. Das geschenkte Drama ist sehr wohl angebracht.
Täntchen macht ein saures Gesicht, in dem sie dieses schreibt;
sie spricht, es sey gemauset. Allein das thut nichts da-

===


* Ist der Hr Joh Adam Clerm. welchen der H. Rath Goethe
   gleichfals das Glück hat zu besitzen.

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zu; Ihrer Venus Rede darin hat mich nach Würden er-
götzt; u ich danke Ihnen recht sehr für dieses Vergnügen.


   Orgelum Orgeley Dudeldumdey haben wir gestern ei-
nige mahl angestimt. Ergo!


   Ueber Ihren Laocons Kopf habe ich mich ôt gefreut,
weil Sie es ôt haben wollten. Leider brachte ich ôts von
schönen Gyps Figuren v. Frankft. mit; Sie und die Tante
mögen sie mir nun um Ostern herschicken.


   Dass die Tante u ich, unsern ebenen u graden Weg
neben einander ohne stumpen u stolpern gehen, ist wahr,
obgleich noch wohl immer ein Räthsel für dHℓ. Dr Goethe
Lobesan.Und hiemit Gott befohlen.


    Hel. El. Jacobi. gebohrne v. Clerm. zugen.
   Mamachen.


S:  GSA 51/II,12,2 St. 1  D:  GJa Nr. 3  B : 1773 November 3 (WA IV 2, Nr. 181)  A : 1773 November 7 bis 16 (WA IV 2, Nr. 183); 1773 November Ende (WA IV 2, Nr. 187) 

Humorvoller Brief J.s von J. K. S. Fahlmers Feder geschrieben. Sie hätten des Brautpaars gedacht (K. Goethe und J. G. Schlosser), und J. sei noch immer mißvergnügt, daß K. Goethe zu Darmst. tanzen mußte, während J. in Frankfurt herum schliche. - Über die Geburt ihres Sohnes Theodor Franz. - G.s Kleine Landschaft würde über ihrem Bett hängen; auch erwarte sie weitere Zeichnungen von Porträts. - Sie freue und amüsiere sich über den von G. ihr zugeschickten Roman. Das geschenkte Drama ("Künstlers Erdewallen") sei sehr wohl angebracht, obwohl J. K. S. Fahlmer behaupte, es sei gemauset. G.s Venus Rede darin habe J. nach Würden ergötzt. Die in Frankfurt zurückgelassenen Gipsfiguren mögen G. und J. K. S. Fahlmer gegen Ostern nachschicken.

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 Hr. Doct. Göthe Lobesan. Hier kömmt Mamachen, um mit Ihnen ein wenig zu plaudern. Zwar Mamachen schreibt selbst nicht, sie sitzt hinter einem Vorhang mit schwachen halb erloschnen Augen, u schickt Worte und Gedanken in Täntchens​(*) Feder. Bereits seit einigen Tagen lauerte ich auf einen wohlstudierten Glückwünschungs Brief v. Cätchen, Charlotte, Antonette, oder Nane; oder, dachte Antoinette wenigstens, würde sich mit einem JubelSchrey vor meinem Bette einfinden: allein da weder Brief noch Erscheinung kömt, so gilt dieses mein Schreiben auch niemand als dem bösen Menschen mit dem guten Herzen, welcher brave neue Bekantschaften nicht so Ehren rührig behandelt, und aus der Acht lässt. Die Mädchen thun nicht wohl, wenn ich wieder nach Ffurt komme, so bin ich schlank, rasch, munter, u kann hübsch ohne Hr. Doctors Arm gehen; denn werden Sie mich gerne haben; u. ich sage, ich will nun auch nicht, lasst mich bey lieb Gross Mama sitzen.

  Diese Woche hatten unsre lieben Frankfurter einen fröhlichen Tag. Tante,  , u. ich gedachten des Brautpaars, so wie man zu thun pflegt, u machten ihnen eben darauf einen rechten schönen Segen beym lieben Gott aus. Sagen Sie das Ihrer lieben Schwester; und daß ich noch immer mißvergnügt bin; daß sie zu Darmst. tanzen musste, während ich zu Frankf. herum schliche. – Und was habe ich für mein Schleichen? Anstatt eines holden Mädchens, einen grossen starken Jungen. Sein

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  Ich Tante dabey aussehend, wie der bewusste     abgemahlte Hr Bölling.

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 Auftritt in diese Welt war sehr kränkend. Die Wehemutter wollte mir sein Geschlecht ôt nennen; der Vater fuhr in ein stoisch Gesicht; die Bognerin sagte: Ey pfuy! u die Tante, welche man bey seiner Ankunft weckte, drehte mit einem ärgerlichen: nichts mehr als das! den Rücken nach der Wand hin u. schlief wieder ein. Ich, ich nahm meinen Jungen, Gott weis, zu mütterlichen Gnaden auf, versteckt ihn in mein Bette, u ließ ruhig die Leute drob murren. Eben vor diesem Bette hängt Ihre kleine Landschft. Ich behaupte, sie sähe noch immer so freundlich, wie zu Ffrt, aus, wenn mein Zimmer hell wäre; allein die Tante sagt: Groß Papa​(*) u Gr. Mama, welche darüber, als ein Pr. schwarze Meerkäzchen sitzen, verfinsterten das Stück, u liessen einen Katzen grauen Tag darauf leuchten. Sagen Sie Ihre Gedanken darüber. Und wenn die Frau Räthin nebst Cätchen u den übrigen, welche ich im Töpfer zu stecken glaubte, v. Hr. Doctors Hand gezeichnet ankommen; so melden Sie mir, ob die Stücke sich am besten gegen Morgen, Abend od Mitternacht in meiner Stube ausnehmen? – Uber Ihren mir zugeschickten Roman freue ich mich recht herzlich; er hat mich amusiert, so wie sie es haben wollten. Das geschenkte Drama ist sehr wohl angebracht. Täntchen macht ein saures Gesicht, in dem sie dieses schreibt; sie spricht, es sey gemauset. Allein das thut nichts da-

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 * Ist der Hr Joh Adam Clerm. welchen der H. Rath Goethe  gleichfals das Glück hat zu besitzen.

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 zu; Ihrer Venus Rede darin hat mich nach Würden ergötzt; u ich danke Ihnen recht sehr für dieses Vergnügen.

  Orgelum Orgeley Dudeldumdey haben wir gestern einige mahl angestimt. Ergo!

  Ueber Ihren Laocons Kopf habe ich mich ôt gefreut, weil Sie es ôt haben wollten. Leider brachte ich ôts von schönen Gyps Figuren v. Frankft. mit; Sie und die Tante mögen sie mir nun um Ostern herschicken.

  Dass die Tante u ich, unsern ebenen u graden Weg neben einander ohne stumpen u stolpern gehen, ist wahr, obgleich noch wohl immer ein Räthsel für dHℓ. Dr Goethe Lobesan.Und hiemit Gott befohlen.

  Hel. El. Jacobi. gebohrne v. Clerm. zugen.  Mamachen.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 13, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0013_00014.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 13.

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