BuG: BuG I, A 264
Frankfurt 10./12. 10. 1773

G. F. E. Schönborn an H. W. v. Gerstenberg 12. 10. 1773 (Redlich S. V)

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Frankfurt 10./12. 10. 1773

Gleich des Abends nach meiner Ankunfft hab ich auch H[errn]Göde den Verfasser des Götze gesprochen u. das ging so zu. Es sass ein Mann in der Stube des Gasthoffs wo ich logierte in der Ekke, der eine Pfeiff Tabak rauchte. Der Wirt frug ihn ob er mit bey Tische zu abend essen wolte. Er antwortete nein! ich will es mir auf meiner Stube ausbitten. H. Doctor Göde wird bey mir diesen Abend seyn. Ich frug ihn ob er den Doctor Göde meine der neul. ein Drama herausgegeben er antwortete Ja. Ich sagte ihm dass ich einen Brieff an ihn habe von H. Boie. Darauff ströhmte er in so grosse Lobeserhebung seines Freundes und über das Stük von Berlichingen aus dass er sagte der Ugolino und dieses Drama wären die beyden einzigen Meisterstükke die in Teutschland von der Art erschienen wären. Da er hörte dass ich den Verfasser des Ugolino, dass ich Klopstok gantz genau von Persohn kennte so erstaunte er über meine Erscheinung u. wir wurden gleich guthe Freunde. Ich sagte ihm das Gerstenberg u. Klopstok beyde ausnehmend mit dem Götze zufrieden wären. Dieser Mann ist ein junger Professor Juris in Giessen welches drey Meilen von hier ist. Sein Nahme ist Höpfner. Kurtz darauf kam Göde selbst u. wir wurden gleich bekant u. gleich Freunde. Es ist ein magerer junger Man ohngefehr von meiner Grösse. Er sieth blass aus, hat eine grosse, etwas gebogene Nase, ein länglichtes Gesichte u. mittelmässige schwarze Augen und schwartzes Haar. Wir sind alle Tage beysammen. Seine Miene ist ernsthafft u. traurig wo doch komische lachende u. satirische Laune mit durchschimmert. Er ist sehr beredt u. ströhmt von Einfällen die sehr witzig sind. In der That besitzt er so weit ich ihn kenne eine ausnehmend anschauende sich in die Gegenstände durch und durch hinneinfühlende Dichterkrafft so dass alles lokal u. individuell in seinem Geiste wird. Alles verwandelt sich gleich bey ihm ins Dramatische. Er freute sich ungemein da ich ihm sagte dass Sie sehr mit seinem Stük zufrieden gewesen. Ihr u. Klopstoks Urtheil habe er längst gerne vernehmen mögen u. es solle ihn anfeuren es noch besser zu machen; denn er wisse sehr wohl wie weit er unter seinem Ideal geblieben. Von Ihrem Ugolino sagte er dass er mit Götterkrafft gemacht sey. Ich sagte ihm dass ich wünschte zwey solche Männer wie Er u. Sie möchten sich schrifftlich unterreden. Er wünscht es auch u. da er erfuhr dass ich von hier aus an Sie schrieb sagte er mir er wolle ein paar Zeilen mit beylegen u. da sind sie. Er scheint mit ausnehmender Leichtigkeit zu arbeiten. jezo arbeitet er an einem Drama Prometheus genannt, wovon er mir zwey Ackte vorgelesen hat, worin gantz vortrefliche aus der tieffen Nathur gehobne Stellen sind (ich urtheile wie es mir beym ersten Vorlesen vorkam). Er zeichnet und mahlet guth. Seine Stube ist voller schönen Abdrüke der besten Antiken. Das von deutscher Baukunst ist von ihm. Er sagte mir dass er Ihnen noch mahl etwas von seinen poetischen Sachen im Mscr. zuschikken wolle. Er will nach Italien gehn um sich recht in den Werken der Kunst umzusehn. Er ist ein fürchterlicher Feind von Wieland et Consorten. Er lass mir ein paar Farcen die er auf ihn und Jacobi gemacht, wo beyde ihre volle Ladung von lächerlichem bekommen. Das will er aber nicht drukken lassen ... Sie hatten damahls noch nicht das Leben des Götze von Berlichingen gelesen welches er mit eigener Hand beschrieben ... So deutsch und so krafftvoll ist dieses Leben, dass Sie es nothwendig lesen müssen. Denn dieses Leben ist der Fürer des Göhte in die Feinheiten des deutschen Characters gewesen.

An H. W. v. Gerstenberg 18. 10. 1773 (WA IV 2, 112; 7, 376)

Frankfurt 10./12. 10. 1773

Ich kenne Sie schon so lang, und Ihr Freund Schönborn, der mich nun auch kennt, will zwischen uns einen Briefwechsel stifften.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0264 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0264.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 238 ff. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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