Goethes Briefe: GB 2, Nr. 34
An Ludwig Julius Friedrich Höpfner

〈Frankfurt a. M. 〉, 7. 〈Mai〉 1773. 〈Freitag〉 → 〈Gießen〉


Ich dancke Ihnen lieber Höpfner für die Gestellgen. Die Freude die ich an den Köpfen habe, wird jetzo ganz, da sie auf meinem Tische eben so stehn als auf ihrem Pult, da ich das erstemal hineintrat. Glauben Sie dass mir Ihre Güte und Liebe unvergessℓ ist. Merk ist gestern hierdurch, es thut mir weh ihn so lang zu missen. Unsre Hℓ Erfurter hätten wohl zeit gehabt, und auf Ostern hätten Sie kommen sollen. es war eine wunderbaare zusammentreffung der Gestirne, ob Sie sich ganz behagt hätten weis ich nicht, wenigstens waren wir alle nicht wie wir sollten. So viel Planeten in einem Zeichen thun nicht gut, und kommt denn noch ein Gegenschein dazu, so weis kein Mensch vor böser Witterung wo er den Kopf hintuhn soll. Ihren Spinoza hat mir M. geben. Ich darf ihn doch ein wenig behalten? Ich will nur sehn wie weit ich dem Menschen in / seinen Schachten und Erdgängen nachkomme. Sie wissen doch dass Herder noch in Darmstadt und an unsre Flachsland verheurathet ist. Leben Sie wohl und gedencken Sie meiner in liebe. am. 7 Apr. 1773.

Goethe.

Aus dem Inhalt des Briefes ergibt sich, dass Goethe sich mit der Angabe des Monatsnamens Apr. ( 27,26 ) geirrt hat. Das erwähnte Osterfest (vgl. 27,16 ) fiel 1773 auf den 11. April, Herder, der sich noch in Darmstadt ( 27,24 ) aufhielt, war dort erst am 26. April eingetroffen (vgl. Haym 1, 564, Anm. 114) und hatte am 2. Mai geheiratet. Am 6. Mai war Johann Heinrich Merck (vgl. 27,14–15 ) nach Russland aufgebrochen.

H: FDH/FGM Frankfurt a. M., Dauerleihgabe der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung, Sign.: 25762. – Doppelblatt 11,4 × 15,9 cm, 1 ¼ S. beschr., egh., Tinte. – Faksimile: Kostbarkeiten der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung für Kunst und Kulturpflege im Freien Deutschen Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum. Hrsg. von Heinz Vogel. Frankfurt 1999, S. 81 und 83.

E: Ludwig Geiger: Dreizehn Briefe nebst einem Fragment Goethes. In: GJb VIII (1887), 121 f., Nr 1.

WA IV 2 (1887), 84 f., Nr 148 (Textkorrektur in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 207).

Der Brief bezieht sich auf eine Warensendung (vgl. zu 27,11 ); ein Begleitbrief Höpfners ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Ludwig Julius Friedrich Höpfner (1743–1797), ältester Sohn des Gießener Professors der Rechte Johann Ernst Höpfner, besuchte bereits mit 13 Jahren die Universität seiner Vaterstadt. Nach Beendigung des Studiums war er zunächst als Hauslehrer in Kassel tätig, bevor er 1767 die Professur der Rechte am dortigen Collegium Carolinum übernahm. 1771 wechselte er als Professor der Rechte nach Gießen. Seine Lehrtätigkeit und Auseinandersetzungen mit Kollegen und Studenten bereiteten ihm nach einigen Jahren zunehmend Verdruss, so dass er 1781 das Angebot annahm, als Oberappellationsgerichtsrat nach Darmstadt zu gehen. Einen von Goethe unterstützten Ruf an die Universität Jena im Jahr darauf nahm Höpfner nicht an. Als Anerkennung dafür erhielt er in Darmstadt den Rang eines Geheimen Tribunalrats. Höpfner trat als Verfasser juristischer Schriften hervor, insbesondere über das Naturrecht, und war auch publizistisch tätig; er redigierte den juristischen Teil von Nicolais „Allgemeiner deutschen Bibliothek“. Auch an Philosophie und Literatur nahm er großen Anteil. Besondere Kenntnisse besaß er auf dem Gebiet der klassischen griechischen und römischen Literatur. In Darmstadt lernte er Johann Heinrich Merck kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Johann Heinrich Merck war es auch, der Goethe mit Höpfner persönlich bekannt machte, und zwar aus Anlass von Goethes Lahnwanderung von Wetzlar nach Gießen am 18. August 1772: In Gießen befand sich Höpfner, Professor der Rechte. Er war als tüchtig in seinem Fach, als denkender und wackerer Mann, von Merken und Schlossern anerkannt und höchlich geehrt. Schon längst hatte ich seine Bekanntschaft gewünscht, und nun, als jene beyden Freunde bey ihm einen Besuch abzustatten gedachten, um über literarische Gegenstände zu unterhandeln, ward beliebt, daß ich, bey dieser Gelegenheit, mich gleichfalls nach Gießen begeben sollte. (AA DuW 1, 451 [12. Buch].) Über die Begegnung, bei der Goethe des Spaßes wegen sich zunächst nicht zu erkennen gab, indem er sich als Student vorstellte, berichten sowohl Goethe (im 12. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ [vgl. ebd., 451–455]) als auch – leicht abweichend – Höpfner (vgl. BG 1, 206). In den ‚Unterhandlungen‘ mit Höpfner wurde dieser von Merck und Schlosser als Mitarbeiter an den FGA gewonnen. Später kamen Goethe und Höpfner in ein Gespräch unter vier Augen; in „Dichtung und Wahrheit“ heißt es darüber: Bey einem so lebhaften Austausch von Kenntnissen, Meynungen, Ueberzeugungen, lernte ich Höpfnern sehr bald näher kennen und gewann ihn lieb. Sobald wir allein waren, sprach ich mit ihm über Gegenstände seines Fachs, welches ja auch mein Fach seyn sollte, und fand eine sehr natürlich zusammenhängende Aufklärung und Belehrung 〈…〉 ‚ so daß in mir der Wunsch entstand, in Gießen bey ihm zu verweilen, um mich an ihm zu unterrichten, ohne mich doch von meinen Wetzlarischen Neigungen allzu weit zu entfernen. (Ebd., 455.) Goethe hielt sich wohl auch noch am 19. und 20. August in Gießen auf (vgl. BG 1, 209). Am 19. Oktober 1772 schrieb Höpfner an Rudolf Erich Raspe: „Mit Merck und Goethe habe ich viel vergnügte Stunden gehabt.“ (Bode 1, 34.)

Höpfner besuchte seinerseits Goethe in Frankfurt in der ersten Hälfte des Oktober 1773. Gottlob Friedrich Ernst Schönborn, der zur gleichen Zeit nach Frankfurt kam (vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 123 ), erzählt, er habe Höpfner im Gasthaus getroffen: „Darauff ströhmte er in so große Lobeserhebung seines Freundes und über das Stük von Berlichingen aus daß er sagte der Ugolino 〈von Heinrich Wilhelm von Gerstenberg〉 und dieses Drama wären die beyden einzigen Meisterstükke die in Teutschland von der Art erschienen wären.“ (H: FDH; vgl. auch BG 1, 239.) Zunächst „sehr stolz“ auf Goethes Freundschaft, „der durch seinen wahren Genius der beste, gutherzigste, liebenswürdigste Sterbliche ist“ (Brief an Christoph Friedrich Nicolai, 11. September 1773; Bode 1, 49), versuchte Höpfner, Nicolai als Verleger von Goethes „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ zu gewinnen (vgl. seine Briefe an Nicolai vom 14. Juni und vom 14. Juli 1774; Bode 1, 57 f. und 60). Nicolai lehnte ab; das Werk wurde später in der Sammlung „Neueröfnetes moralisch-politisches Puppenspiel“ von Klinger gedruckt. Höpfners Enthusiasmus erkaltete jedoch; er entfremdete sich dem Sturm und Drang, und schon im Jahr 1774 stand er in der Auseinandersetzung um die Parodie „Freuden des jungen Werthers“ von Nicolai auf dessen Seite (vgl. seinen Brief an Nicolai vom 27. September 1775; Bode 1, 136).

Außer den drei Briefen im vorliegenden Band ist nur noch ein Brief Goethes an Höpfner überliefert; er stammt vom 27. Oktober 1782 (WA IV 6, 78 f., Nr 1604) und enthält das Angebot der bereits erwähnten Professur für Rechtswissenschaften an der Universität Jena, das Höpfner nicht annahm. Antwortbriefe Höpfners sind nicht überliefert.

Gestellgen] Ständer zum Aufstellen von Plastiken, Gemmen o. Ä.; Goethe hatte solche, vermutlich mit Gemmen, bei seinem Besuch in Gießen (vgl. die einleitende Erläuterung) in Höpfners Arbeitszimmer gesehen. Gottlob Friedrich Ernst Schönborn schrieb nach seinem Zusammentreffen mit Goethe an Heinrich Wilhelm von Gerstenberg: „Seine Stube ist voller schönen Abdrüke der besten Antiken.“ (Brief vom 12. Oktober [H: FDH]; vgl. auch BG 1, 239.)

Merk ist gestern hierdurch] Johann Heinrich Merck begleitete die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt im Mai 1773 nach St. Petersburg zur Vermählung ihrer Tochter Wilhelmine mit Großfürst Paul Petrowitsch von Russland (am 10. Oktober 1773) und kehrte am 20. Dezember 1773 nach Darmstadt zurück.

Erfurter] Gemeint sind Herausgeber und Mitarbeiter der „Erfurtischen gelehrten Zeitung“. Das Rezensionsorgan wurde 1772–1779 von Johann Georg Meusel herausgegeben und hatte eine Vielzahl von Mitarbeitern, deren Identität erst für die 1780er und 1790er Jahre geklärt ist (vgl. im Einzelnen Maximilian Letsch: Die Mitarbeiter der Erfurtischen Gelehrten Zeitung. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 57 (1940). H. 1, S. 1–15).

wohl zeit gehabt 〈…〉 kommen sollen] Wahrscheinlich sollte Höpfner für die „Erfurtische gelehrte Zeitung“ einen Beitrag liefern, was ihn aber nicht hätte hindern sollen, wie Goethe wünschte, Ostern nach Frankfurt zu kommen. – Möglicherweise bezieht sich Goethe damit auf eine entsprechende Stelle in einem nicht überlieferten Brief Höpfners.

zusammentreffung der Gestirne] Weder Zeitpunkt noch Ort noch Teilnehmer dieser Zusammenkunft sind bekannt. Es ist jedoch möglich, dass Goethe den vorliegenden Brief unter dem frischen Eindruck seines Aufenthalts in Darmstadt vom 16. April bis zum 3. Mai schrieb und sich mit seiner Äußerung auf diese Zeit bezieht, die mit Herders Hochzeit am 2. Mai ihren Abschluss fand. Was er im Weiteren von den unterschiedlichen Planeten (Herder, Caroline Flachsland, Merck, Leuchsenring u. a.) und deren Schwierigkeiten miteinander sagt, könnte auf Spannungen anspielen, die in diesem Kreis aufgetreten waren (vgl. zu 28,16–19 ).

Gegenschein] „In der Astrologie, der Stand eines Planeten gegen den andern im Thierkreise, wenn er 180 Grad von demselben entfernet ist; Oppositio.“ (Adelung 2, 485.) – Hier in übertragenem Sinn mit Bezug auf die Beziehung zwischen Menschen.

Ihren Spinoza hat mir M. geben.] Die Bemerkung ist das früheste briefliche Zeugnis für Goethes Beschäftigung mit der Philosophie Baruch de Spinozas. Goethe las vermutlich in Spinozas „Opera posthuma“ (o. O. 1677), welche die „Ethica ordine geometrico demonstrata“ (S. 1–264), den „Tractatus politicus“ (S. 265–354), den „Tractatus de intellectus emendatione“ (S. 355–392), die „Epistolæ doctorum quorundam virorum ad B. d. S. et auctoris responsiones“ (S. 393–614. – Briefe einiger gelehrter Männer an Benedictus de Spinoza sowie die Antworten des Autors) sowie (mit neuer Paginierung) ein „Compendium grammatices linguæ Hebrææ“ (S. 1–112) enthalten. Besonders vertraut war Goethe laut Lavater mit Spinozas Briefwechsel (vgl. DjG​2 4, 87; BG 1, 264). – Nach kritischen Bemerkungen über Spinoza in den „Ephemerides“ von 1770 (vgl. DjG​3 1, 431) begann mit dieser Lektüre die Annäherung Goethes an den Spinozismus. Im 16. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ schreibt er im Rückblick: Ich erinnerte mich noch gar wohl welche Beruhigung und Klarheit über mich gekommen als ich einst die nachgelassenen Werke jenes merkwürdigen Mannes durchblättert. 〈…〉 Ich ergab mich dieser Lectüre und glaubte, indem ich in mich selbst schaute, die Welt niemals so deutlich erblickt zu haben. (AA DuW 1, 554.) – Über Goethe und den Spinozismus vgl. grundlegend Martin Bollacher: Der junge Goethe und Spinoza. Studien zur Geschichte des Spinozismus in der Epoche des Sturm und Drangs. Tübingen 1969 (über den vorliegenden Brief bes. S. 74 f.).

dass Herder 〈…〉 verheurathet ist] Herder und Caroline Flachsland hatten am 2. Mai geheiratet.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 34 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR034_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 27, Nr 34 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 59–62, Nr 34 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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