BuG: BuG II, A 985
Weimar 14. 8. 1780

J. A. Leisewitz, Tagebuch 14. 8. 1780 (Mack-Lochner 2, 23)

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Weimar 14. 8. 1780

Ich bekam es heute mit dem Briefschreiben, ungeachtet ich noch gewaltig viel zu laufen hatte, ob ich gleich auch wohl einsahe, daß ich heute nicht wegkommen würde, da mich Göthe hatte zum Eßen bitten laßen ...

Zu Göthen, der mir doch ungemein gefiel. Ich hatte heute Gelegenheit seine Physiognomie noch genauer zu betrachten: schöne braune Augen und ein hübsches Obergesicht, nur um den Mund einige unangenehme Züge. Wir speißten in einem Zimmer, das mit einigen antiken Statuen und mit Naturalien Schränken besetzt war; eine Statue des Apolls schien mir nur für das Zimmer zu groß.

Göthe zeigte in seinem Betragen die größte Simplicität, die ich eben so erwiederte. Ich schien ihm doch sehr zu gefallen, er versicherte mich zu verschiednen mahlen, es sey ihm sehr lieb mich zu kennen, und das letztemahl vor dem Marstalle mit einem zärtlichen Hand Druck. Die Conversation war meistens sehr ernsthaft und daurte lange, ehe ein Wort von Litteratur vorfiel; er wiederholte, was ich sagte, oft mit Beyfall.

Von den Gegenden um Weimar, von einer Untersuchung der Mineralien im Lande, wobey ich ihm Andreae von Erdarten nannte und versprach. Von Armen Anstalten; Göthe hat auf seine Kosten in Weimarischen Versuche gemacht, mit denen er zufrieden war. Von Schliestedt, von Herder, von dem Alter der Welt und der Narrheit dieses Alter auf 6000 Jahr zu schätzen, von einigen SteinArten im Weimarischen. Von Garten und von Landleben; Göthe schätzte sich sehr glücklich, daß er außer der Stadt lebe. Er sagte, es beruhige ihn ungemein, wenn er noch so verdrieslich zu Hause käme und sähe, daß Alles noch auf seiner Stelle stünde. Von den immer Neuen in der Natur; ich meynte, daß es gewiße Parthien gäbe, die sich nur einen Tag im Jahre ausnähmen, wie man vordem Berceaux angelegt hätte, worin die Sonne alle Jahr nur ein mahl schiene. Von meiner Bedienung, von Voltaire, den er eben so sehr als ich als ein Individuum abstrahirt von dem Einfluße auf sein Zeit Alter bewundert. Er billigte meinen Gedanken sehr, daß Voltaire nichts versalzen und nichts verzuckert habe. Von Leßing; mit der größten Achtung, insbesondre wegen seines Nathan und seiner theologischen Controversen. Von der Unfähigkeit der deutschen Nation Laune zu empfinden. Er sagte: „Wenn man ihnen eine Blume zeigt, so fragen sie gleich: Riecht sie? kan man Thee davon trinken? dürfen wir es nach machen?“

Göthe hatte einen Brief zu schreiben, ließ mich deswegen einige Zeit allein und begleitete mich denn nach dem Marstalle, weil er zu einer Comödien Probe nach Ettersburg ritte. Unterwegens gingen wir im Stern in die Einsiedeley, die auch inwendig etwas im Göthischen Geschmack ist; ich hatte ihm vorher gesagt, daß mir das Ding sehr gefiele.

An Charlotte v. Stein 14. 8. 1780 (WA IV 4, 269)

Weimar 14. 8. 1780

Diesen Mittag hab ich einen Gast, kan also nicht kommen ... Eh ich weggehe such ich Sie auf. und diesen Abend bin ich bey Ihrem Bruder.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0985 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0985.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 255 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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