Goethes Briefe: GB 2, Nr. 5
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 19. Januar 1773. Dienstag〉 → 〈Wetzlar〉


Wir sind eben von Tisch aufgestanden und mir fällt euch eine geseegnete Mahlzeit zu wünschen, und eine Zeitung zu schicken, dass ihr sehet wie das geworden ist. Das Publikum hier meynt der Ton habe sich nicht sehr geändert.

Adieu lieber, grüsse mir die liebe Lotte und Lengen. und die Bubens ich binn immer der eurige. Fragt Lotten ob sie mein ​ 1 Portrait annehmen wollte, es ist zwar ​ 2 nicht gemacht, aber wenns gemacht wäre. Adieu. Grüsst mir die Dorthel 3 auch. Da habt ihr euern Jerusalem.

  1. ⎡m⎤ein​ ↑
  2. × ​zwar​ ↑
  3. Dorthen ​l ​ ↑

Datierung nach Kestners Empfangsvermerk, da die Post von Frankfurt nach Wetzlar gewöhnlich einen Tag unterwegs war (vgl. GB 1 II, Datum und Überlieferung zu Nr 124 ).

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 6. – 1 Bl. 9,7(–9,9) × 15,2(–15,4) cm, 1 S. beschr., egh., Tinte; oben rechts Empfangsvermerk, Tinte: „acc. Wetzl. 20. Jenner 73.“; unten Mitte von fremder Hd, Bleistift: „d. i. K. Relation“.

E: Goethe und Werther​1 (1854), 129, Nr 47.

WA IV 2 (1887), 56 f., Nr 121.

1) 1 Exemplar der FGA, wahrscheinlich Nr 1 des Jahrgangs 1773 (vgl. zu 4,17 ).

2) Kestners Bericht (vgl. die zweite Erläuterung zu 4,23 ; abgedruckt in GB 1 II, zu 246,4–5 ).

Ein Bezugsbrief ist nicht bekannt. – Der Antwortbrief etwa vom 25. Januar 1773 (vgl. 6,7–10 ) ist nicht überliefert.

mir fällt] Verkürzt für ‚mir fällt ein‘ (vgl. zu 4,10 ).

Zeitung] Aus dem Kontext geht hervor, dass es sich um eine Nummer der FGA handeln muss (vgl. Beilage 1).

Das Publikum 〈…〉 nicht sehr geändert.] Ende des Jahres 1772 waren nach Merck, der sich von seiner Position als ‚Direktor‘ der FGA bereits im Juli zurückgezogen hatte, auch Goethe, Herder und Johann Georg Schlosser als Rezensenten der Zeitschrift ausgeschieden (vgl. GB 1 II, zu 237,19–20 ). Seit dem 1. Januar 1773 wurden die FGA von dem Gießener Aufklärungstheologen Carl Friedrich Bahrdt herausgegeben. Deinet blieb weiterhin Verleger der Zeitschrift. Bereits nach Erscheinen der ersten Nummern hatten zwei Rezensionen des neuen Herausgebers den Zorn des hessen-darmstädtischen Ministers Friedrich Carl von Moser erregt. Obgleich die Rezensionen in ihrem Tonfall keineswegs schärfer waren als vergleichbare Beiträge Goethes oder Schlossers aus dem Jahrgang 1772, forderte Moser den Landgrafen Ludwig IX. auf, gerichtlich gegen Bahrdt vorzugehen. Der Landgraf, der Bahrdt 1771 gegen den Willen der in Gießen vorherrschenden orthodoxen Theologen an die Universität berufen hatte, kam auch in diesem Falle dem Ansinnen Mosers nicht nach (vgl. dazu Bräuning-Oktavio, FGA 1772, 2 f. und 39–43).

Lotte und Lengen] Charlotte Buff und ihre jüngere Schwester Helene, die sich zur Zeit von Goethes Aufenthalt in Wetzlar wahrscheinlich nicht zu Hause aufgehalten hatte (vgl. GB 1 II, zu 248,10 ).

die Bubens] Gemeint sind die sieben jüngeren Brüder Charlotte Buffs: Johann (Hans, geb. 1757), Wilhelm (geb. 1758), Friedrich (Fritz, geb. 1762), Georg (geb. 1764), Albrecht (geb. 1766), Ernst (geb. 1767) und Ludwig (geb. 1769). – Goethe ließ in den folgenden Jahren die Buben wiederholt in seinen Briefen an Charlotte und Hans Buff sowie an Kestner grüßen, was auf sein herzliches Verhältnis zu ihnen während seines Wetzlarer Aufenthaltes schließen lässt. Auf liebevoll-scherzhafte Art beschrieb Goethe sie im Brief an Kestner aus dem Januar/Februar 1773 (vgl. 11,22–12,2 ; vgl. auch Hans Buffs Brief an seine Schwester Charlotte vom 12. März 1773, abgedruckt in GB 2 II, zu 15,20 ).

Portrait] Von der Absicht, Charlotte ein Selbstporträt zu schenken, schreibt Goethe auch im Brief vom 15. September 1773 (vgl. 42,31–32 ). Tatsächlich aber übersandte er erst sehr viel später, vermutlich im August 1774, einen Schattenriss (vgl. Beilagen zu Nr 141 ).

Dorthel] Charlotte Buffs Nachbarin und Freundin Dorothea Brandt.

Da habt ihr euern Jerusalem.] Mit dem vorliegenden Brief schickte Goethe den Bericht Kestners über den Freitod Carl Wilhelm Jerusalems zurück (vgl. Beilage 2).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 5 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR005_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 4, Nr 5 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 8–9, Nr 5 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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