Goethes Briefe: GB 2, Nr. 22
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 2.? April 1773. Freitag?〉 → 〈Wetzlar〉


〈D〉ass ihrs nicht schon acht tage habt die Ringe ist meine Schuld nicht hier sind sie und sie sollen euch gefallen. Wenigstens binn ich mit zufrieden. Es sind die zweyten. heut vor acht tage schickt mir der Kerl ein Paar so gehudelt und gesudelt. Marsch, er soll neue machen und die sind denck ich gut. Lasst nun das die ersten Glieder zur Kette der Glückseeligkeit seyn die euch an die Erde wie an ein Paradies anbinden soll ​ 1 ich binn der eurige, aber von nun an gar nicht neugierig euch zu sehn noch Lotten. Auch wird ihre Silhouette auf den ersten Ostertag ​ 2 , wird hoffentlich seyn euer Hochzeittag, oder wohl gar schon übermorgen, aus meiner Stube geschafft und nicht eher wieder herein gehängt biss ich höre dass sie in den Wochen liegt dann geht eine neue Epoche an und ich habe sie nicht mehr lieb ​ 3 sondern ihre Kinder zwar ein bissgen um ihrentwillen, doch das tuht nichts und wenn ihr mich zu Gevatter bittet so soll mein Geist zwiefältig auf dem Knaben ruhen und er soll gar zum Narren werden über Mäd/gen die seiner Mutter gleichen

Gott Hymen findet sich durch einen schönen Zufall auf meinem Revers

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So seyd denn ​ 4 glücklich und geht. Nach Franckfurt kommt ihr doch nicht, das ist mir lieb, wenn ihr kämt so ging ich. Nach Hannover also und Adieu. Ich habe Lottens Ring eingesiegelt, ​ 5 wie ihrs hiest. Adieu

  1. sollen ​ ↑
  2. Or ​stertag​ ↑
  3. l ei ​ieb​ ↑
  4. × ​denn​ ↑
  5. eingesiegelt. ​, ​ ↑

Aus dem Inhalt geht hervor, dass Goethe, wie im vorangegangenen Brief aus der zweiten Märzhälfte angekündigt (vgl. 16,9–11 ), die Eheringe für Kestner und Charlotte Buff in Auftrag gegeben hatte (vgl. 18,21–25 ) und nach einer Reklamation, die heut vor acht tage ( 18,23 ) erfolgt war, nun die fertigen Ringe übersandte (vgl. 18,23 ). Goethe vermutete zwar, dass die Hochzeit am ersten Ostertag ( 18,28–29 ), also am Sonntag, dem 11. April, sein sollte, rechnete offenbar aber auch mit einem früheren Termin, nämlich übermorgen ( 18,30 ). Damit könnte Palmsonntag, der 4. April, gemeint sein, an dem die Trauung tatsächlich stattfand (vgl. Eggers, 16). Der Brief wäre demnach am 2. April 1773 geschrieben worden.

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 22. – 1 Bl. 16,2(–16,4) × 21,2 (–21,4) cm, 1 ½ S. beschr., egh., Tinte; S. 2 im oberen Drittel des Blattes egh. Zeichnung des Hochzeitsgottes Hymen 2,5 × 4 cm, Bleistift, hauchdünn gezeichnet (Abb. S. 19; vgl. Corpus VIa, 19, Nr 54); S. 1 oben rechts von fremder Hd, Bleistift: „April 1773“. – Beischluss: Nr 20 .

E: Goethe und Werther​1 (1854), 146, Nr 60.

WA IV 2 (1887), 72 f., Nr 135 (Textkorrektur in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 207).

Eheringe für Johann Christian Kestner und Charlotte Buff (vgl. 18,21–22 ; 19,12 ).

Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Kestners von etwa Ende März 1773 (vgl. zu 18,21 ). – Der Antwortbrief etwa vom 5. April 1773 (vgl. die erste Erläuterung zu 19,13 ) ist nicht überliefert.

〈D〉ass ihrs 〈…〉 Ringe] Anfangsbuchstabe nicht mehr zu erkennen. – Wahrscheinlich hatte sich Kestner in seinem nicht überlieferten Bezugsbrief etwa Ende März nach dem Verbleib der Eheringe erkundigt, die Goethe in Frankfurt anfertigen lassen wollte (vgl. zu 16,9–10 ).

hier sind sie] Der Ehering für Charlotte Buff wurde offenbar noch gesondert eingesiegelt ( 19,12 ); es ist anzunehmen, dass auch Kestners Ring mit dem Brief verschickt wurde.

der Kerl] Offenbar ein Frankfurter Goldschmied; Näheres nicht ermittelt.

gehudelt] Hudeln; hier: eine Sache ohne Aufmerksamkeit verrichten, verderben. Nach Adelung war der Gebrauch des aus dem Oberdeutschen stammenden Wortes Ende des 18. Jahrhunderts bereits auf die Umgangssprache beschränkt (vgl. Adelung 2, 1300 f.).

neugierig] Hier: begierig.

ihre Silhouette] Charlotte Buffs Schattenbild (vgl. GB 1 II, zu 235,22 ).

auf den ersten Ostertag 〈…〉 übermorgen] Vgl. Datierung.

wenn ihr mich zu Gevatter bittet] Tatsächlich bat Kestner Goethe im Mai 1774 zum Taufpaten für seinen ersten Sohn (vgl. zu 86,16 ).

Gott Hymen 〈…〉 Revers] Revers: franz.: Kehrseite, Rückseite. – Unmittelbar unter dieser Textstelle folgt die von einem ovalen Rand umgebene Bleistiftskizze des griechisch-römischen Hochzeitsgottes Hymenaios (Hymen), wahrscheinlich nach einer Gemme gezeichnet (Faksimile). Auf der hauchdünnen Darstellung, die in der Wiedergabe im Textband leicht verstärkt wurde, ist die Gestalt eines Jünglings mit bekränztem Haupt erkennbar, in der rechten Hand eine Fackel haltend (vgl. Corpus VIa, 19, zu Nr 54).

Nach Hannover] Kestners Berufung zum Registrator am Calenberger Archiv in Hannover war offiziell am 19. März 1773 erfolgt. Die nüchterne unselbstständige Tätigkeit entsprach keineswegs seinen Erwartungen. Auch die Entlohnung reichte selbst bei bescheidenen Ansprüchen kaum, eine Familie zu unterhalten. Nach sechsjährigen Diensten in Wetzlar hatte sich Kestner ein einträglicheres Amt in der Heimat erhofft. Dennoch nahm er das Angebot an, im Vertrauen darauf, als Beamter in absehbarer Zeit entsprechend seinen Verdiensten befördert zu werden (vgl. Ulrich, Charlotte Kestner, 74).

Lottens Ring] Der für Charlotte Buff bestimmte Ehering (vgl. Nr 20 ).

eingesiegelt] Wahrscheinlich in dem versiegelten Briefchen an Charlotte Buff, das beigeschlossen war (vgl. Überlieferung zu Nr 20 ).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 22 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR022_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 18–19, Nr 22 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 41–43, Nr 22 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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