BuG: BuG II, A 1599
Weimar vor 22. 7. 1782

K. Kuhn, Aus dem alten Weimar S. 75

Weimar vor 22. 7. 1782

An der Bergseite des Parkwegs, der von der sogenannten Naturbrücke nach dem Borkenhäuschen – Luisen-Kloster – führt, befindet sich ein Felsenriß in dem zu Tage tretenden Steingeschiebe. Dort ist, um zwei Stufen vom Wege erhöht, ein Sitz aus dem Felsen herausgearbeitet. Über ihm springt eine Felsplatte vor, und diese wird beschattet durch eine der dunkeln Eiben, die unter den lichten hohen Buchen am Bergabhange stehen ...

Solch eine [Mond-]Nacht war’s, als die Freunde [Carl August und Goethe] den Felsenweg durch das von Goethe geschaffene Steintor hinabstiegen und der im Mondenlichte glitzernden Ilm sich zuwandten.

Da tönten Harfenklänge durch die tiefe Stille, erst leise, dann anschwellend, nicht wie von Menschenhand hervorgelockt, sondern wie Hauch der Äolsharfe, geisterhaft.

Die Freunde lauschten und wandten sich dem Borkenhäuschen zu, aus dessen Richtung die Akkorde klangen. Welch ein Anblick! Auf dem Felsensitze saß eine hohe Gestalt im lang herabwallenden weißen Gewande, ein Saitenspiel rührend. Von dem Haupte der Jungfrau flossen die dunkeln Locken herab, und in dem goldenen Stirnreif spiegelte sich des Mondes Licht.

Arm in Arm verschränkt blieben die Freunde stehen, versunken in das herrliche Bild. Da erhob die Jungfrau das Haupt und sang:

  „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“

Sie sang die erste Weise des „Erlkönig“, die sie selbst geschaffen: Corona Schröter ...

Wie die Freunde ihrer freudigen Bewegung Ausdruck gegeben, wie sie der holden Sängerin gedankt, davon ist keine Kunde zurückgeblieben, aber wiederholt haben mir Zeitgenossen erzählt, welch’ tiefen Eindruck Coronas poesievolle Überraschung auf Karl August und Goethe gemacht habe.

A. Diezmann (Diezmann2 S. 94)

Weimar vor 22. 7. 1782

Von einem hochbejahrten nun verstorbenen Mann, der einen Teil jener Zeit mit durchlebt hatte, wurde mir erzählt, Corona Schröter habe eines Tages, in fleischfarbenen Trikot gekleidet, eine Gitarre im Arm, an einem der lieblichsten Punkte des Parkes gesessen und gesungen, während Goethe und Karl August in der Nähe auf- und abgegangen. Die Herzogin [Luise] sei unerwartet dazu gekommen und habe sich höchst verletzt gefühlt.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_1599 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_1599.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 372 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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