Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 1076
⟨10. August 1784⟩, Dienstag, Weimar

Von der Konigshütte nach der Scharzfelser Höhle. Man kan die Gr. Wacke unter dem Kalch 1 bemercken. NB. diese 2 Kalchfelsen ob sie gleich aus übereinander liegenden Bäncken bestehen, Haben das Ansehn eines ganzen Gebürges und die Gängklüffte 3 die durchstreichen sind sichtbarer als die Flözklüffte. das 4 Scharzfelser Schloß steht auf diesem Gestein. Nach Osterode zu in der Gegend von war ein Gypsbruch 5 zu sehn der sehr schöne Formen hatte. Der Gyps geht an der linken 6 Seite der Teufelsbäder immer fort bis Osterode wo er auf der Landseite sehr hohe Felsen macht 7 was für Flözlagen zwischen ihm und der Gr. W. liegen wage ich nicht zu entscheiden. An 8 dem Plaze wo die Teufels bäder sind geht eine Haupt verändrung vor. |: Ich wünschte daß iemand das Verhältniß 9 des Kalchsteins von dem oben gesprochen, 10 des Gypses und der Gr. Wacke wohl untersuchte. S. vielleicht Voigtens Gutachten :|

Von Osterode herauf war mir merckwürdich der erste Hügel 11 der aus Geschiebe von Quarz Hornstein, Jaspis in einem gelblichen Leimen bestehet. 12

Dann ersteint 13 aufeinmal eine grünlich rothliche Gesteinart 14 die ich Jaspis nennen will 15 sehr brüchig, 16 eine Abändrung desselben Gesteins 17 wie Hornstein anzusehen 18 folgte und diese veranderte sich wieder.

Graue W. darauf. Ein Steinbruch an dem keine Lagen zu erkennen sind. Dann wieder eine thonige Gestein art die sich so zu sagen 19 in’s unendliche theilt. Dann wieder Gr. W. dann der Grüne Thonige Stein mit Kalckspat Punkten. Dann wieder Gr. W. die biß Klausthal hinauf dauert. nach 20 dem 21 Wildemann auf dem Zuge. am Fuse des Badstuben Berges eine Fels Partie hinter einem 22 Hause die Kr. zeichnete 23 dar nach ist das Model zu fertigen. 24

  1. Kalch > Kalk A  ↑
  2. NB. diese > Diese A  ↑
  3. Gänge > Gängklüffte  ↑
  4. das > Das A  ↑
  5. Gypsbl → Gypsbruch  ↑
  6. rechten → linken  ↑
  7. maht > macht  ↑
  8. die → An  ↑
  9. verhältniß > Verhältniß  ↑
  10. gesprochen, erg ¦ gesprochen worden J 2 in A  ↑
  11. Hügel > Hügel, A  ↑
  12. bestehet > besteht A  ↑
  13. laut A gemeint erscheint  ↑
  14. Gesteinart > Gesteinart, A  ↑
  15. will > will, A  ↑
  16. brüchig, > brüchig; A  ↑
  17. Gesteins > Gesteins, A  ↑
  18. anzusehen > anzusehen, A  ↑
  19. Gestein art die sich so zu sagen > Gesteinart, die sich, so zu sagen, A  ↑
  20. nach > Nach A  ↑
  21. nach denn > nach dem  ↑
  22. de → einem  ↑
  23. zeichnete > gezeichnet J 2 in A  ↑
  24. danach Rest des Blattes, ca zwei Zeilen, unbeschrieben  ↑

H: UB Leipzig, Bibliotheca Albertina, Slg. Hirzel B 165


Das foliierte Tagebuch umfaßt fünf vergilbte gerippte Doppelblätter und ein halbiertes (ca 160 × 197 mm), jeweils Vs rechts oben eigenhändig paginiert (1–11). Es ist auf ganzer Blattbreite, nur links einen schmalen Rand lassend, eigenhändig mit brauner und schwarzer Tinte beschrieben; Bl 11 Rs ist unbeschrieben. Einzelne Korrekturen und Ergänzungen wurden mit Bleistift vorgenommen.

Innerhalb des Textes zwei Gesteinszeichnungen: auf Bl 2 Rs, 45 × 70 mm, Feder mit brauner Tinte (S. 145; nicht im Corpus); auf Bl 7 Vs, 30 × 50 mm, Feder mit schwarzer Tinte (S. 151; nicht im Corpus).



h: GSA 26/LVII,14


Es handelt sich um eine Abschrift von Johann August Friedrich John, angefertigt im Oktober 1820 (Tgb 5. Oktober 1820: Mundum der Harzreise von 1784.). Sie befindet sich in einem Umschlag von derberem, vergilbt grauem Konzeptpapier (ca 210 × 350 mm), der mit schwarzer und brauner Tinte von zwei verschiedenen Schreiberhänden beschriftet ist: »Mineralogie und Geologie / enthaltend / a. Geologische Reise v. J. 1784 durch / Thüringen. / b. Den Dornburger Schlossberg betr. / v. J. 1830.«

Die Abschrift besteht aus 6 Doppelbättern (Foliobögen) grauen gerippten Papiers, ca 195 × 320 mm. Jede Doppelblatthälfte ist auf der Vorderseite rechts oben paginiert (1–12). Die Blätter sind vertikal auf Mitte gebrochen und nur rechtshälftig beschrieben; die Zeichnungen aus der Vorlage blieben weg.

Goethe hat die Abschrift eigenhändig mit Bleistift durchkorrigiert. Tgb 7. Oktober 1820: Harzreise von 1784. Tagebuch derselben. Von seinen Korrekturen sind im Variantenverzeichnis diejenigen aufgeführt (mit der Sigle A), die Varianten gegenüber H darstellen, nicht aber diejenigen, die Versehen betreffen und nur den ursprünglichen Text wiederherstellen. Sonstige Varianten der Abschrift (orthographische Abweichungen und abweichende Abkürzungen Johns ausgenommen) werden mit dem Zusatz »J 2 in A« verzeichnet.



Notizen und Entwürfe zu H:

Sie sind beschrieben und gedruckt in LA II 7, 121–126 als Texte 55 (c), (d) und (e) sowie 56; vollständig und mit verbesserten Lesungen gegenüber WA II 9, 409.


D:

WA II 9, 155–168, udT: Geognostisches Tagebuch der Harzreise.

WA bietet eine Mischform von H und h, ohne die beiden Zeichnungen innerhalb des Textes; h ist außerdem berücksichtigt in den Lesarten, WA II 9, 367–371.

nach der Scharzfelser Höhle] Am 10. August. Die Höhle, im Zechsteinkalk bei Scharzfeld, hieß auch Einhornhöhle; denn dort hat man »nach Thierknochen gegraben, die der abergläubige gemeine Mann, ehemals zu Arzeneien in mancherley, besonders epileptischen Zufällen gebrauchte, und für Einhornsknochen hält« (Georg Sigismund Otto Lasius: Beobachtungen über die Harzgebirge, nebst einem Profilrisse, als ein Beytrag zur mineralogischen Naturkunde. Hannover 1789, Theil 1, S. 203). Sie wurde von Goethes Reisebegleiter Georg Melchior Kraus gezeichnet; siehe LA I 2, Tafel XXVI, 1 und 2. Die während der Harzreise angefertigten, meist großformatigen Zeichnungen Kraus’ waren mit zeitgenössischer Drucktechnik nicht ohne weiteres reproduzierbar, weshalb Goethe 1824 in seinen Aufsatz »Gestaltung großer anorganischer Massen« zumindest ein annotiertes Verzeichnis von ihnen einfügte (WA II 9, 236–240; LA I 2, 341–344 und I 8, 393–396; fortan nachgewiesen als: Verzeichnis 1824; die beiden vorgenannten Zeichnungen dort unter dem Buchstaben g). Brieflich rühmte er, Kraus habe ihm alle Felsarten nicht mahlerisch, sondern wie sie dem Mineralogen interessant sind, gezeichnet (2. Dezember 1784 an Johann Heinrich Merck; WA IV 6, 402).

Bäncken] Teile einer Schicht oder eines Flözes, die durch Zwischenlagen voneinander isoliert sind.

Gängklüffte] Wasserhaltige Spalten und Risse (Klüfte) in platten- oder tafelförmigen Gesteinsmassen (Gängen) besonderer Beschaffenheit gegenüber den umliegenden Gesteinen. Hierzu eine Bemerkung bei Lasius (siehe zu 143,19), Theil 2, S. 407: »Im Granitgebirge des Harzes darf man nicht gleich alles für Gänge halten was Gängen ähnlich siehet: denn nur gar zu oft sind diese anscheinenden Gänge nichts anders, als kleine, gar nicht ausdaurende Klüfte, die nur auf eine

geringe Weite aushalten 〈…〉. Der einzige wahre Gang, den ich im harzischen Granitgebirge gefunden, ist der am Roßtrapp 〈…〉

durchstreichen] Horizontal hindurchgehen.

Flözklüffte] Mit Schichten eines praktisch nutzbaren Gesteins (Flöz: Lagerstätte) durchzogene Spalten.

Scharzfelser Schloß] Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) zerstört.

Nach Osterode] Die Reiseroute dorthin führte, noch am 10. August, von Scharzfeld über Herzberg.

Gegend von] Hinter dem ausgelassenen Namen wird die »Gegend von Aschenhütte nordwestlich von Herzberg vermutet« (MA 2/2, 886).

Gypsbruch] Oberer Zechstein. Gezeichnet von Kraus; siehe LA I 2, Tafel XXII, 2 (Verzeichnis 1824, Nr 27) und außerdem ein Blatt im Besitz der MSWK, InvNr 2414.

Teufelsbäder] Zwei trichterförmige Teiche (Dolinen) zwischen Herzberg und Osterode.

Gr. W.] Grauen Wacke; siehe erste Erläuterung zu 143,11.

Voigtens Gutachten] Nicht ermittelte Schrift oder Absicht von Johann Karl Wilhelm Voigt.

der erste Hügel] Links oder rechts der Straße nach Clausthal-Zellerfeld.

Hornstein] Feuerstein; dichter, auch schiefriger Quarz.

Leimen] Lehm.

Klausthal] Das Reiseziel am 10. August. Am Folgetag ging es weiter nach Zellerfeld. Dort blieb Goethe, bei Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra logierend (vgl BG 2, 479), bis zum 14. August und unternahm Exkursionen in die Umgebung. Clausthal (zum Kurfürstentum Hannover gehörig) und Zellerfeld (im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel) wurden erst 1924 zusammengefügt.

Wildemann bis Badstuben Berges] Eine kleine (unsignierte und undatierte) Karte dieser Gegend findet sich in dem von Goethe zusammengestellten »Miscellan-Atlas« (Ruppert, Nr 4131), Bd 1, Nr 19.

Zuge] Gemeint ist wohl der aus erzhaltigen Kalksteinen bestehende Gangzug bei Schulenberg.

Fels Partie] Grauwacke aus dem Kulm (Unterkarbon).

Kr. zeichnete] Das Blatt von Kraus ist wiedergegeben in LA I 2, Tafel XIX, 1; Verzeichnis 1824, Nr 19.

Model] Über das Vorhaben eines Harzer Gesteins- oder Bergmodells ist nichts Näheres bekannt.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, ⟨10.8.1784⟩ (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_1076.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 143–144 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. 558–559 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

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