Goethes Briefe: GB 2, Nr. 215
An Johanna Fahlmer

〈Frankfurt a. M. , etwa zwischen 25. und 27. März 1775〉 → 〈Frankfurt a. M.〉


Ich dancke liebe Tante für den Br. v. ​ 1 Fr. er ist lieb u gut wie immer – nur hab ich ihm noch nicht geschrieben, werd auch keinem Menschen über die Sache was schreiben. Werde mir auch um den Autor keine Muhe geben, noch euch auf die Spur helfen. das Publikum mag von mir dencken was es will – der Trumpf womit Wiel. Brief schliest, thuts ihm gar nicht! ​ 2 über einen grosen Theil der Epistel hab ich gelacht, und über das Ende die Nase gerümpft. Gestern that mir's leid sie nicht anzutreffen Ade. Grüsen Sie Friz u. bitten um fr. Liedgens

G.

  1. ⎡v.⎤​ ↑
  2. nicht, ​! ​ ↑

Goethe antwortet auf die Zusendung einer Abschrift von Friedrich Heinrich Jacobis Brief an Wieland vom 22. März 1775 (JB I 2, 6 f.; WB 5, 341). Die Datierung geht davon aus, dass Jacobi diese Kopie unmittelbar nach der Niederschrift an Johanna Fahlmer schickte, die sie an Goethe weiterleitete. Vgl. zu 180,1 .

H: Privatbesitz, Deutschland. – 1 Bl. 17,1 × 10,9 cm, Bordüre aus gereihten Krönchen (vgl. Mick, Nr 1–3), 1 S. beschr., egh., Tinte; Vs. unten links von Johanna Fahlmers Hd, Tinte: „Schiks wieder.“ (Vermutlich hatte sie den Brief an Friedrich Heinrich Jacobi weitergesandt.)

E: Goethe-Fahlmer (1875), 75 f., Nr 25.

WA IV 2 (1887), 253, Nr 316 (nach E; Textkorrektur nach H in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 212).

Der Brief antwortet auf die Zusendung der Abschrift eines Briefes von Jacobi an Wieland (vgl. Datierung); ein Begleitbrief Johanna Fahlmers ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Br. v. Fr.] Brief von Fritz. – Goethe hatte (wann genau, ist nicht bekannt) zwei Briefe erhalten: einen nicht überlieferten Brief Wielands an Friedrich Heinrich Jacobi von Mitte März 1775 (vgl. WB 6 III, 1382) sowie die Abschrift von Jacobis Antwort darauf vom 22. März (vgl. Datierung). Jacobi schreibt: „Liebster Wieland, liebster Bruder, wie in aller Welt ist es möglich, daß Sie nur einen Augenblick haben glauben können, Göthe sey der Verfasser des Prometheus?“ (JB I 2, 6 f.) Wieland war verärgert über die 1775 an verschiedenen Verlagsorten anonym erschienene Farce „Prometheus, Deukalion und seine Recensenten“. Prometheus steht für einen Schriftsteller, der sich mit den Kritikern seines Werkes „Deukalion“ (in der Mythologie der Sohn des Prometheus) auseinandersetzt. Hinter Prometheus verbirgt sich Goethe, hinter „Deukalion“ Goethes „Werther“. Die Farce wurde allgemein für ein Werk Goethes gehalten, weil es die Leser in Titel, Ton und Sprache an „Götter Helden und Wieland“ erinnerte. Hatte Wieland auf diese Satire noch großmütig reagiert (vgl. zu 76,14–15 ), so fühlte er sich jetzt von Goethe beleidigt: „Er will die Freude haben, vor der Welt sein Spiel mit mir zu treiben, und in der Art wie er's thut bringt er alles was Beleidigungen unverzeihlich macht.“ (Brief an Sophie La Roche, 24. März 1775; WB 5, 344.) Das „infame Ding“ (Wieland an Gleim, 31. März 1775; WB 5, 347) stammte aber von Heinrich Leopold Wagner, den Goethe in Straßburg kennen gelernt hatte und der seit Ende 1774 in Frankfurt lebte. Seine anonym erschienene Satire richtet sich gegen die Kritiker des „Werther“ und enthält Angriffe gegen den „Teutschen Merkur“ und Wieland. Dieser dürfte u. a. bei der Lektüre folgender Verse an Goethe gedacht haben:


Sieh da! Ihr Diener, Herr Prometheus, Seit Ihrer leztern M** Reis Sind wir ja Freunde, so viel ich weis. Ists mir vergönnt den Sporn zu küssen?

(Prometheus, Deukalion und seine Recensenten. Freistadt 〈u. a.〉 1775, S. 10.) Hier wird auf die Begegnung Goethes mit Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach im Dezember 1774 in Mainz angespielt und auf die Versöhnung zwischen Goethe und Wieland, die bei dieser Gelegenheit befördert wurde (vgl. Goethes Bericht im 15. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ [AA DuW 1, 534 f.] sowie die Erläuterungen zu 149,14 ). Dass Goethe über den Trumpf ( 180,5 ) am Schluss von Wielands Brief die Nase gerümpft ( 180,7 ) hat, könnte sich auf eine Drohung Wielands beziehen, möglicherweise die, er wolle den Sachverhalt dem Weimarer Prinzen mitteilen. Dieser war in der Tat informiert, wie aus einem Brief Johann Daniel Salzmanns an Carl Ludwig von Knebel vom 2. April 1775 hervorgeht; darin heißt es: „〈…〉 ich denke nicht übel zu thun, wenn ich ihm 〈Goethe〉 Ihre und Ihres besten Prinzen Empfindung über seine Satyre ganz mittheile. Er ist, wie Sie wissen, jung und mutwillig und vielleicht wird ihn dieses vorsichtiger machen.“ (Hirzel, Goethe-Bibliothek 1874, 182.) Ein entsprechender Brief Salzmanns ist nicht überliefert, doch ließ Goethe eine vom 9. April datierte Erklärung drucken und veröffentlichen (in den FGA, Nr 32 vom 21. April 1775, S. 274), in welcher er Aufschluss über den wahren Verfasser der Satire gab. Ein Exemplar dieser Erklärung legte er seinem Brief an Knebel vom 14. April bei ( Nr 229 ); auch an Klopstock sandte er sie (vgl. zu 186,15 ). Die Erklärung ist im Textband abgedruckt als Beilage zu Nr 229 (GB 2 I, 186,1–11 ).

Friz] Friedrich Heinrich Jacobi.

fr. Liedgens] Die Bedeutung der Abkürzung muss offenbleiben. Urlichs erläutert: „wohl ,französische‘ Volkslieder“ (Goethe-Fahlmer, 76); Morris erwägt: „frische (= weitere) Abdrücke der Arien aus Erwin und Elmire?“ (DjG​2 6, 441, zu Nr 334.)

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 215 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR215_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 180, Nr 215 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 450–452, Nr 215 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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