Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 144
Von Johann Kaspar Lavater

Ende April oder Anfang Mai 1781, Zürich

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Lieber Goethe,


   Über deine Gedanken von
den Mahlereyen werd' ich nichts sagen – –
Historisch ließe sich vielleicht beweisen, daß –
– doch wenn's der unnachahmlich kühne,
große Wurf und Schwung nicht beweist –
was beweist alles andre? – Es thut mir
nur leid, Lieber, daß ich so viel Fracht
verursacht – Ich habe für alles 44 mit
den Pakkösten 45N'Louisd'or bezahlt.
Laß mir dies von meiner Schuld an
den Herzog abschreiben. –


   Vorgestern erhielt' ich eine
crayonnirte Zeichnung von einem unbe-
kannten Kopf, der keine gemeine Stirne
hat, – und eine kostbare Büste – die ich
gleich für dein Bild und dein Geschenk| 2 |
erkannte. Was heißt danken? Freüde
haben an der Wohlthat, und am Wohlthä-
ter – das hab' ich. Ich sage dir keinen
andern Dank –


   Und nun meine ersten Empfindun-
gen bey dem Anschauen deines Kopfes.


   Wenn ein Erdensohn so wahr geben
und so fein verschönern kann – wirst du,
aller Erdensöhne Bilder – oder Bilderinn –
Gott oder Natur, wie man dich nennen
mag – nicht einst auch mich wahr dar-
stellen und auf's allerdelikateste von
allen Flecken der Erde reinigen kön-
nen? ..


   Und die andern – "dieß Gesichte
ist mir theüres, heiliges Pfand der e-
wigen Einzigkeit meines Goethe. Ge-
reinigt einst von jedem Anhauchen des | 3 |
Grimmes – wie wird er niedersehn, an-
bethen und anbethen lehren!" –


   Diesmahl kann ich nicht mehr. A-
dieü Lieber! – – Es gehen große Gäh-
rungen in meinem Innern vor. wie
sie sich terminiren werden?!


    L.


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 104  B : 1781 April 16 (WA IV 5, Nr. 1203)  A : 1781 Mai 7 (WA IV 5, Nr. 1223)  V:  Abschrift 

Bemerkungen zu G.s Gedanken von den Mahlereyen; Angabe der Gesamtkosten (vgl. RA 1, Nr. 136). - Vorgestern erhielt' ich eine crayonnirte Zeichnung von einem unbekannten Kopf [...] - und eine kostbare Büste - die ich gleich für dein Bild und dein Geschenk - erkannte. Wiedergabe von L.s ersten Empfindungen beim Anschauen der Goethe-Büste (von M. G. Klauer).

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Lieber Goethe,

  Über deine Gedanken von den Mahlereyen werd' ich nichts sagen – – Historisch ließe sich vielleicht beweisen, daß – – doch wenn's der unnachahmlich kühne, große Wurf und Schwung nicht beweist – was beweist alles andre? – Es thut mir nur leid, Lieber, daß ich so viel Fracht verursacht – Ich habe für alles 44 mit den Pakkösten 45N'Louisd'or bezahlt. Laß mir dies von meiner Schuld an den Herzog abschreiben. –

  Vorgestern erhielt' ich eine crayonnirte Zeichnung von einem unbekannten Kopf, der keine gemeine Stirne hat, – und eine kostbare Büste – die ich gleich für dein Bild und dein Geschenk| 2 | erkannte. Was heißt danken? Freüde haben an der Wohlthat, und am Wohlthäter – das hab' ich. Ich sage dir keinen andern Dank –

  Und nun meine ersten Empfindungen bey dem Anschauen deines Kopfes.

  Wenn ein Erdensohn so wahr geben und so fein verschönern kann – wirst du, aller Erdensöhne Bilder – oder Bilderinn – Gott oder Natur, wie man dich nennen mag – nicht einst auch mich wahr darstellen und auf's allerdelikateste von allen Flecken der Erde reinigen können? ..

  Und die andern – "dieß Gesichte ist mir theüres, heiliges Pfand der ewigen Einzigkeit meines Goethe. Gereinigt einst von jedem Anhauchen des| 3 | Grimmes – wie wird er niedersehn, anbethen und anbethen lehren!" –

  Diesmahl kann ich nicht mehr. Adieü Lieber! – – Es gehen große Gährungen in meinem Innern vor. wie sie sich terminiren werden?!

  L.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 144, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0144_00157.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 144.

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