Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 139
Von Johann Kaspar Lavater

26. März 1781, Zürich

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Lieber Goethe,


Nun weiß ich gar nicht, was ich thun
soll. Gewiß, eh Knebels u.: dein Brief
vom 16. März kamen, wäre die Uhr
schon abgegangen gewesen, wenn ich ge-
wußt hätte, wie sie einpaken? wie fort-
schicken? – So ganz wie möglich hab' ich
den Gedanken, den du weißest, fallℓ
laßen. Izt, da Knebel so großmüthig
denkt, geht's mir wie David, (2. Samu-
els XXIV. Ni fallor, denn ich hab' eben
keine Bibel an der Hand –) da ihm die
drey Helden, "An die alle folgende nicht
"reichten" Waßer vom Quell Bethle-
hems brachten – "Sollt' ich das Blut
dieser Männer trinken?"


Übrigens, wenn dem Ding' ein Unfall | 2 |
auf dem Weg begegnen würde, daß we-
der Zürich, noch Weymar was davon
hätten, würd' ich mich in die Zunge beis-
sen. Dies ist's, was mich ganz unent-
schloßen macht.


In solchen Fällen überlaß' ich mich dem
Loos. Ich schreib auf eine Charte Zürich
u: auf die andere Seite Weymar – Ich
werfe sie auf u: laße sie fallen. Drey-
mahl, mein Lieber, will ich's nun
nacheinander thun, u: dir ehrlich
schreiben, wie's ausfiel. Was oben auf-
fällt, pflegt mir Orakel zu seyn. – Ich
hab's gethan; So wahr ich lebe – alle
dreymal nacheinander fiel Zürich
auf. Das müßt' Ihr nun auch thun – u:
dann entscheidet Ihr. So lange sag' ich noch kei-
nem Menschen nichts. – wohl verstanden;
wenn's Knebeln ganz wahrer innerer Ernst | 3 |
ist, so looset Ihr; wo nicht – so send' ichs, ohne
weiteres. Habt Ihr auf ähnliche Weise ge-
looset, u: 3. oder 2. mal Weymar auffal-
lend gehabt – so ist das Werk Weymars –
Habt Ihr 3. mal Zürich gehabt; So will ich's
dann ruhig behalten – Immer vorausgesetzt,
daß es Knebel gern miße – – Behalten
wir's, so schreibt mir Knebel einen zeig-
baren Brief, worinn er mir überläßt,
der Kunstschuhle oder der Naturforschen-
den Gesellschaft, das Werk in seinem
Namen zuüberlaßen, oder – es unter
sich zuverloosen. Was Ihr aber thut, thut
aufs bäldeste u: ganz – Ich schreibe dir
darüber, damit du immer noch freye
Hand habest, – u: ich will nicht indis-
kret gegen Knebel, den wahrhaftgroß-
müthigen scheine.


Falls die Uhr nach Weymar soll, so bitt' | 4 |
ich, mir bald u: genau zusagen – Wie?
Nun, Lieber, noch ein Wort wegen der
Packete. Ich fürchte nun, wir haben zwo
Eturderien statt Einer begangen.


Ist ein Buch, in braun, schwarz gesprengt
Papier mit reimfreyen Gedichten an
Eüch gekommen; so gehört das mir – und
ist mir gelegentlich, wo es ohne Kosten
geschehen kann, zurückzusenden.


Ist ein Rouleau gekommen; leicht, ohne
hölzernen Kern, ein Pappendeckel,
auf dem alle meine Paßifschulden
verzeichnet sind; so verbrennst du dieß
auf der Stelle. So viel von dem.


Nun noch etwas von Gemählden –
das eine kleinere unbedeütendere
Kistgen ist noch nicht abgegangen; soll
aber diese Woche abgehen. Es sind die | 5 |
Musikalien dabey von der Schultheß. –
Alles, was Quark oder Familienstük
war, (ein einziges ausgenommen, war
alles nichts) hab' ich nun rechts u: links
verschenkt, u: also ist auch dies Geschäft
abgethan.


Abgethan – (das abthun ist mir ein so
liebes Ding!) auch die Poesieen – wovon
ich zween Bände (die wenig für dich
enthalten!) auf Ostern herausgebe, wo-
von vermuthlich das, was du hast, ein
Theil Manuskript ist. Ich hoffe doch nicht,
welches mir so eben einfällt, daß das,
so nach Leipzig sollte, nach Weymar
gekommen sey. Wenn's, Lieber, weich Pa-
pier zum Überzug hat – nicht Carton,
so gehört's, weiß Gott, nach Leipzig an
Reich! – dann so bald wie möglich – wenn's | 6 |
PsalmenProv. VIII. – Morgen und
Abend Andacht seyn sollten! – Du lie-
ber Gott! Mir schwindelt fast –!!


Mit Calliostro, der durch ein Malen-
tendu – auf ein Billiet hin von mir
ne pouvoit pas supportér, qu'on
nomma mon Nom dans sa Presence
wie mir die überschöne schrieb – hat mich
die gute wieder ausgesöhnt. Er schreibt
nie keinen Buchstaben, als den Na-
men Jehovah, den er sogleich wieder
verbrennt. Dieß wußt' ich nicht. Was
ich weiter von diesem Homme vrai -
ment unique, qui a des Connoissan -
ces surnaturelles, qui renversent
toute ma pauvre Philosophie (wie
die liebe, gute schreibt) wissen werde,
sollst du wißen.

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Und so viel, Lieber, für diesmahl.


   

    J. C. L.


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 99  B : 1781 März 16 (WA IV 5, Nr. 1159)  A : 1781 April ? 9 (WA IV 5, Nr. 1195); 1781 April 16 (WA IV 5, Nr. 1203)  V:  Abschrift 

Überlegungen darüber, ob die astronomische Uhr nach Weimar gesendet werden oder in Zürich bleiben solle (vgl. RA 1, Nr. 134). Vorschlag, das Los entscheiden zu lassen. - Bemerkungen zu den irrtümlich an G. geschickten Paketen (vgl. RA 1, Nr. 135) und zu den angekündigten Gemälden (vgl. RA 1, Nr. 136). Das kleinere unbedeütendere Kistgen solle erst diese Woche abgehen. - Hinweis auf zwei Bände "Poesien" (Leipzig 1781), die L. auf Ostern herausgebe. - M. A. von Branconi habe ihn mit Graf Cagliostro wieder ausgesöhnt.

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Lieber Goethe,

 Nun weiß ich gar nicht, was ich thun soll. Gewiß, eh Knebels u.: dein Brief vom 16. März kamen, wäre die Uhr schon abgegangen gewesen, wenn ich gewußt hätte, wie sie einpaken? wie fortschicken? – So ganz wie möglich hab' ich den Gedanken, den du weißest, fallℓ laßen. Izt, da Knebel so großmüthig denkt, geht's mir wie David, (2. Samuels XXIV. Ni fallor, denn ich hab' eben keine Bibel an der Hand –) da ihm die drey Helden, "An die alle folgende nicht "reichten" Waßer vom Quell Bethlehems brachten – "Sollt' ich das Blut dieser Männer trinken?"

 Übrigens, wenn dem Ding' ein Unfall| 2 | auf dem Weg begegnen würde, daß weder Zürich, noch Weymar was davon hätten, würd' ich mich in die Zunge beissen. Dies ist's, was mich ganz unentschloßen macht.

 In solchen Fällen überlaß' ich mich dem Loos. Ich schreib auf eine Charte Zürich u: auf die andere Seite Weymar – Ich werfe sie auf u: laße sie fallen. Dreymahl, mein Lieber, will ich's nun nacheinander thun, u: dir ehrlich schreiben, wie's ausfiel. Was oben auffällt, pflegt mir Orakel zu seyn. – Ich hab's gethan; So wahr ich lebe – alle dreymal nacheinander fiel Zürich auf. Das müßt' Ihr nun auch thun – u: dann entscheidet Ihr. So lange sag' ich noch keinem Menschen nichts. – wohl verstanden; wenn's Knebeln ganz wahrer innerer Ernst | 3 | ist, so looset Ihr; wo nicht – so send' ichs, ohne weiteres. Habt Ihr auf ähnliche Weise gelooset, u: 3. oder 2. mal Weymar auffallend gehabt – so ist das Werk Weymars – Habt Ihr 3. mal Zürich gehabt; So will ich's dann ruhig behalten – Immer vorausgesetzt, daß es Knebel gern miße – – Behalten wir's, so schreibt mir Knebel einen zeigbaren Brief, worinn er mir überläßt, der Kunstschuhle oder der Naturforschenden Gesellschaft, das Werk in seinem Namen zuüberlaßen, oder – es unter sich zuverloosen. Was Ihr aber thut, thut aufs bäldeste u: ganz – Ich schreibe dir darüber, damit du immer noch freye Hand habest, – u: ich will nicht indiskret gegen Knebel, den wahrhaftgroßmüthigen scheine.

 Falls die Uhr nach Weymar soll, so bitt'| 4 | ich, mir bald u: genau zusagen – Wie? Nun, Lieber, noch ein Wort wegen der Packete. Ich fürchte nun, wir haben zwo Eturderien statt Einer begangen.

 Ist ein Buch, in braun, schwarz gesprengt Papier mit reimfreyen Gedichten an Eüch gekommen; so gehört das mir – und ist mir gelegentlich, wo es ohne Kosten geschehen kann, zurückzusenden.

 Ist ein Rouleau gekommen; leicht, ohne hölzernen Kern, ein Pappendeckel, auf dem alle meine Paßifschulden verzeichnet sind; so verbrennst du dieß auf der Stelle. So viel von dem.

 Nun noch etwas von Gemählden – das eine kleinere unbedeütendere Kistgen ist noch nicht abgegangen; soll aber diese Woche abgehen. Es sind die| 5 | Musikalien dabey von der Schultheß. – – Alles, was Quark oder Familienstük war, (ein einziges ausgenommen, war alles nichts) hab' ich nun rechts u: links verschenkt, u: also ist auch dies Geschäft abgethan.

 Abgethan – (das abthun ist mir ein so liebes Ding!) auch die Poesieen – wovon ich zween Bände (die wenig für dich enthalten!) auf Ostern herausgebe, wovon vermuthlich das, was du hast, ein Theil Manuskript ist. Ich hoffe doch nicht, welches mir so eben einfällt, daß das, so nach Leipzig sollte, nach Weymar gekommen sey. Wenn's, Lieber, weich Papier zum Überzug hat – nicht Carton, so gehört's, weiß Gott, nach Leipzig an Reich! – dann so bald wie möglich – wenn's| 6 | PsalmenProv. VIII. – Morgen und Abend Andacht seyn sollten! – Du lieber Gott! Mir schwindelt fast –!!

 Mit Calliostro, der durch ein Malen tendu – auf ein Billiet hin von mir –ne pouvoit pas supportér, qu'on nomma mon Nom dans sa Presence – wie mir die überschöne schrieb – hat mich die gute wieder ausgesöhnt. Er schreibt nie keinen Buchstaben, als den Namen Jehovah, den er sogleich wieder verbrennt. Dieß wußt' ich nicht. Was ich weiter von diesem Homme vrai ment unique, qui a des Connoissan ces surnaturelles, qui renversent   toute ma pauvre Philosophie (wie die liebe, gute schreibt) wissen werde, sollst du wißen.

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 Und so viel, Lieber, für diesmahl.

    J. C. L.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 139, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0139_00152.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 139.

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