Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 136
Von Johann Kaspar Lavater

3. März 1781, Zürich

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   Lieber Goethe,


   Damit es nicht vergessen und aufgeschoben werde, so fang ich gleich an, das im heut abgegangenen Briefe unbeantwortete Dir zu beantworten.


   Calliostro ist ein höchst origineller, kraftvoller, unerhabner und in gewissem Betracht unaussprechlich gemeiner Mensch; ein Parazelsischer Sternnarr, – ein hermetischer Philosoph – ein Arkanist – ein Antiphilosoph – – das ist nun wohl das Schlimmste, was von ihm gesagt werden kann. Ohn' alles, was von ihm erzählt wird – So, wie er dasteht, gewiß ein Erzfester, höchstprägnanter Mann. Was mir die Recke von Mietau von ihm erzählt und an sich allen Glauben überstieg, wenn Sies nicht umständlich und zum Theil als Augenzeugin erzählte – wird einem sogleich wahr, wenn man den Mann eine Viertelstunde gesehen und gehört hat. Die sieben Geister Gottes stehen ihm zu Dienste, sagt er, diese könn' er sehen, hören, fühlen wie mich. Auf den Wahrsagergeist macht er unzweydeutigen Anspruch.


   Ich glaube ganz ruhig provisionell, was er sagt, obgleich ich sicher bin, daß der Mann oft über seinen Glauben hinauswill und anprellt. Ohne Charlatanerie ist er gewiß nicht, – obgleich er dennoch kein Charlatan ist. Ist er so schrecklich mit medizinischen Consultationen beschäftigt, daß er nichts hören, nichts antworten kan? Eigentlich anziehendes, amuroses hat er nichts. Übrigens steht er neben andern Menschen wie ein ewiger Fels neben Strohhütten. Seine Stimme ist physisch so stark, daß es einem wie natürlich scheint, daß ihr die Geister gehorchen müssen. Auf meine Fragen hat er mir nicht geantwortet, und er scheint sie mißverstanden zu haben, sodaß mir Branconi durch Toblern rathen läßt, mit ihm abzubrechen. Ich laß izt alles ruhig gehen – antwortet er, wohl und gut; wo nicht, so laß ich den Geistern ihre Freyheit, von meiner Unwürdigkeit ungesehen zu bleiben. Es ist wirklich seltsam, daß ich kaum die leiseste Regung von Neugier danach fühle. Es ist doch scharfes Schicksal, daß alle großen Menschen solchen Zusatz von Rohheit oder Narrheit haben müssen, daß man ihnen nicht nahe kommen kan, ohne gedrückt, verwundet oder befleckt zu werden.


   Herrlich war die Schöne und Gute. Ich sahe sie des Morgens im Neglischée mit noch verbundener Stirn. Sie jauchzte auf bey der plötzlichen Erscheiung - Hoz Tobler, Lavater! Wir aßen ein paar mal mit ihr. Unsere Discurse waren: Kirchberger, Goethe, Testament; Welt, Rzwusky, und das unendliche Capitel – – Ebenbild Gottes und Liebe. Sie machte ans meinen physischen Menschen keine Sensation – Ich heiße Sie nun personificirte Güte! Ich glaube, Sie hat weit mehr Güte als Liebe.


   Iphigenie und Wilhelms Sendung hat sie gut genossen, das übrige interessirte sie nur, als Produkt von Dir – Deine Güte und Honneteté in Weymar rühmte sie sehr und ließ sich nicht leicht unterbrechen, davon zu reden.


Warum habt Ihr zu einem Prinzen und nicht zu einer Prinzessin Hofnung? Gibts zuverlässige Anzeichen?


   Noch ein Wort von Calliostro. – um andere was aus jener Welt oder von abwesenden Dingen wahrnehmen zu lassen, bedarfs immer der Vermittlung eines jungen unschuldigen Kindes. Das sieht, das erzählt, durch das geben die Geister Antwort denen, die draußen sind. Man kan ihn fragen was man will. Er braucht den Namen Jehovah. Christus ist ihm der größte Magier. Moses, Elias, Salomon sind, um ihres Glaubens, nicht gestorben. – Sobald er räsonnirt gehts ihm wie Gassnern. Er muß handeln.


   Deine drey Könige hab ich gelesen, und gelächelt, weil die Schultheß lächelte.


   Cölln und der junge van der Borg sind izt bey mir.
   Nun, Lieber, ein Wort von Mahlereyen. Du wirst in 3 oder 4 Wochen, denk ich, vielleicht etwas später – eine unendliche Last erhalten.


   Mach dich zu 7 Louisd'or Fracht parat. Fluche nicht, wenn du oben erst ein bloß herrlich Rubensisches Fruchtstück, das der alte Offizier in England um 20 Guineas anzubringen dachte, findest. Das frische markige hervorspringende wird dir wohlthun. Sodann laß das Kistgen mit dem retouchirten Vandyk uneröffnet bis zuletzt. Sodann wirst du sagen: "Ist Lavater toll?" – – (aber - wenn der Herzog um den Weg ist, so packe nicht weiter ab, als zum ersten – und fluch eins über Narr Lavater –),    bist du aber vor seiner Nähe sicher, so pak ab - und wenn du alles Übertünchungsgräuels ungeachtet nicht am Ende der unendlichen Kraft und der Titianischen unübertrefflichen Rohheit und Großheit froh bist – und allenfalls nur noch ein Gedanke aufsteigt – Lavater ist ein Narr – anders als darum, daß er solche Dinge aus seinen Händen läßt, so hab ich Dich und nichts Großes gesehen. Erwarte aber doch nichts feines, nichts unverdorbenes, nichts anders als Füßlische Skizzen, väterliche Urkunden, aus denen Sohn Füßli sog!


   Fracht und alles nehm ich gern auf mich, wenn Du mirs nicht mit ganzer Freude abnimmst – obgleich Du manches verbrennenswerth finden wirst.


   Bäbe war mit beym Einpaken – half mir. Ach! wie wir uns der Größe freuten, und die Verdorbenheit verfluchten! So muß Gott seine Menschen ansehen. Wenn dus nicht zurücksendest, (welches zurücksenden nämlich mich nicht schenirt weil ich die Dinger gleichsam verrätherischer Weise wegsende), so frage mich dann – wieviel der Herzog dafür von meiner Schuld abrechnen soll.


   Noch Eins:


   Ich ließ sie alle in statu quo – du kannst vielleicht was nachbessern, sie wenigstens entstauben –


   


   N.S. Neben der großen Kisten wirst du noch ein kleines erhalten, worin einige nicht ganz verwerfliche, hochgeschäzte, aber nicht aufs beste conservirte oder wohl halb verdorbene Stücke sind. Ich mußte alles zusammen nehmen. Ein Kruzifix und ein paar Familienporträts und einen Quark Erbärmlichkeiten, die ich heut alle rechts und links an alte Weiber und Knaben vertheile, war auch dabey. Z. E. ein Hiob, dessen Frau einen Kopf an einem Schwert hält, und deren Namen auf einem Gürtel geschrieben Vermale deyung heißt; dem Hiob ruft eine Himmelsstimme, "Kommet zu mir". Item, ein schöner aber fürchterlich verdorbener Boromäus, den ich einem katholischen Geistlichen aufzubehalten gedenke.


   Tscharner von Bern fragt Peters ökonomischem Schicksal nach – doch ich lege die Abschrift seines
Briefes bey.


S:  -  D:  GL Nr. 95  B : 1781 Februar 19 (WA IV 5, Nr. 1128)  A : 1781 März 16 (WA IV 5, Nr. 1159); 1781 März 18 (WA IV 5, Nr. 1162); 1781 April 16 (WA IV 5, Nr. 1203)  V:  Druck 

Ausführliche Charakterisierung des Grafen Cagliostro. - Bericht über L.s Begegnung mit M. A. von Branconi. Iphigenie und Wilhelms Sendung hat sie gut genossen, das übrige interessirte sie nur, als Produkt von Dir - Deine Güte und Honneteté in Weymar rühmte sie sehr [...]. - Zu G.s "Lied zu einem Dreikönigsaufzug". - Demnächst erhalte G. eine größere Kunstsendung für Herzog Karl August. Wenn dus nicht zurücksendest [...], so frage mich dann - wieviel der Herzog dafür von meiner Schuld abrechnen soll. - N. E. von Tscharner habe nach P. Im Baumgartens ökonomischem Schicksal gefragt; L. füge eine Abschrift des Briefes bei.

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 Lieber Goethe,

  Damit es nicht vergessen und aufgeschoben werde, so fang ich gleich an, das im heut abgegangenen Briefe unbeantwortete Dir zu beantworten.

  Calliostro ist ein höchst origineller, kraftvoller, unerhabner und in gewissem Betracht unaussprechlich gemeiner Mensch; ein Parazelsischer Sternnarr, – ein hermetischer Philosoph – ein Arkanist – ein Antiphilosoph – – das ist nun wohl das Schlimmste, was von ihm gesagt werden kann. Ohn' alles, was von ihm erzählt wird – So, wie er dasteht, gewiß ein Erzfester, höchstprägnanter Mann. Was mir die Recke von Mietau von ihm erzählt und an sich allen Glauben überstieg, wenn Sies nicht umständlich und zum Theil als Augenzeugin erzählte – wird einem sogleich wahr, wenn man den Mann eine Viertelstunde gesehen und gehört hat. Die sieben Geister Gottes stehen ihm zu Dienste, sagt er, diese könn' er sehen, hören, fühlen wie mich. Auf den Wahrsagergeist macht er unzweydeutigen Anspruch.

  Ich glaube ganz ruhig provisionell, was er sagt, obgleich ich sicher bin, daß der Mann oft über seinen Glauben hinauswill und anprellt. Ohne Charlatanerie ist er gewiß nicht, – obgleich er dennoch kein Charlatan ist. Ist er so schrecklich mit medizinischen Consultationen beschäftigt, daß er nichts hören, nichts antworten kan? Eigentlich anziehendes, amuroses hat er nichts. Übrigens steht er neben andern Menschen wie ein ewiger Fels neben Strohhütten. Seine Stimme ist physisch so stark, daß es einem wie natürlich scheint, daß ihr die Geister gehorchen müssen. Auf meine Fragen hat er mir nicht geantwortet, und er scheint sie mißverstanden zu haben, sodaß mir Branconi durch Toblern rathen läßt, mit ihm abzubrechen. Ich laß izt alles ruhig gehen – antwortet er, wohl und gut; wo nicht, so laß ich den Geistern ihre Freyheit, von meiner Unwürdigkeit ungesehen zu bleiben. Es ist wirklich seltsam, daß ich kaum die leiseste Regung von Neugier danach fühle. Es ist doch scharfes Schicksal, daß alle großen Menschen solchen Zusatz von Rohheit oder Narrheit haben müssen, daß man ihnen nicht nahe kommen kan, ohne gedrückt, verwundet oder befleckt zu werden.

  Herrlich war die Schöne und Gute. Ich sahe sie des Morgens im Neglischée mit noch verbundener Stirn. Sie jauchzte auf bey der plötzlichen Erscheiung - Hoz Tobler, Lavater! Wir aßen ein paar mal mit ihr. Unsere Discurse waren: Kirchberger, Goethe, Testament; Welt, Rzwusky, und das unendliche Capitel – – Ebenbild Gottes und Liebe. Sie machte ans meinen physischen Menschen keine Sensation – Ich heiße Sie nun personificirte Güte! Ich glaube, Sie hat weit mehr Güte als Liebe.

  Iphigenie und Wilhelms Sendung hat sie gut genossen, das übrige interessirte sie nur, als Produkt von Dir – Deine Güte und Honneteté in Weymar rühmte sie sehr und ließ sich nicht leicht unterbrechen, davon zu reden.

 Warum habt Ihr zu einem Prinzen und nicht zu einer Prinzessin Hofnung? Gibts zuverlässige Anzeichen?

  Noch ein Wort von Calliostro. – um andere was aus jener Welt oder von abwesenden Dingen wahrnehmen zu lassen, bedarfs immer der Vermittlung eines jungen unschuldigen Kindes. Das sieht, das erzählt, durch das geben die Geister Antwort denen, die draußen sind. Man kan ihn fragen was man will. Er braucht den Namen Jehovah. Christus ist ihm der größte Magier. Moses, Elias, Salomon sind, um ihres Glaubens, nicht gestorben. – Sobald er räsonnirt gehts ihm wie Gassnern. Er muß handeln.

  Deine drey Könige hab ich gelesen, und gelächelt, weil die Schultheß lächelte.

  Cölln und der junge van der Borg sind izt bey mir.  Nun, Lieber, ein Wort von Mahlereyen. Du wirst in 3 oder 4 Wochen, denk ich, vielleicht etwas später – eine unendliche Last erhalten.

  Mach dich zu 7 Louisd'or Fracht parat. Fluche nicht, wenn du oben erst ein bloß herrlich Rubensisches Fruchtstück, das der alte Offizier in England um 20 Guineas anzubringen dachte, findest. Das frische markige hervorspringende wird dir wohlthun. Sodann laß das Kistgen mit dem retouchirten Vandyk uneröffnet bis zuletzt. Sodann wirst du sagen: "Ist Lavater toll?" – – (aber - wenn der Herzog um den Weg ist, so packe nicht weiter ab, als zum ersten – und fluch eins über Narr Lavater –),  bist du aber vor seiner Nähe sicher, so pak ab - und wenn du alles Übertünchungsgräuels ungeachtet nicht am Ende der unendlichen Kraft und der Titianischen unübertrefflichen Rohheit und Großheit froh bist – und allenfalls nur noch ein Gedanke aufsteigt – Lavater ist ein Narr – anders als darum, daß er solche Dinge aus seinen Händen läßt, so hab ich Dich und nichts Großes gesehen. Erwarte aber doch nichts feines, nichts unverdorbenes, nichts anders als Füßlische Skizzen, väterliche Urkunden, aus denen Sohn Füßli sog!

  Fracht und alles nehm ich gern auf mich, wenn Du mirs nicht mit ganzer Freude abnimmst – obgleich Du manches verbrennenswerth finden wirst.

  Bäbe war mit beym Einpaken – half mir. Ach! wie wir uns der Größe freuten, und die Verdorbenheit verfluchten! So muß Gott seine Menschen ansehen. Wenn dus nicht zurücksendest, (welches zurücksenden nämlich mich nicht schenirt weil ich die Dinger gleichsam verrätherischer Weise wegsende), so frage mich dann – wieviel der Herzog dafür von meiner Schuld abrechnen soll.

  Noch Eins:

  Ich ließ sie alle in statu quo – du kannst vielleicht was nachbessern, sie wenigstens entstauben –

  

  N.S. Neben der großen Kisten wirst du noch ein kleines erhalten, worin einige nicht ganz verwerfliche, hochgeschäzte, aber nicht aufs beste conservirte oder wohl halb verdorbene Stücke sind. Ich mußte alles zusammen nehmen. Ein Kruzifix und ein paar Familienporträts und einen Quark Erbärmlichkeiten, die ich heut alle rechts und links an alte Weiber und Knaben vertheile, war auch dabey. Z. E. ein Hiob, dessen Frau einen Kopf an einem Schwert hält, und deren Namen auf einem Gürtel geschrieben Vermale deyung heißt; dem Hiob ruft eine Himmelsstimme, "Kommet zu mir". Item, ein schöner aber fürchterlich verdorbener Boromäus, den ich einem katholischen Geistlichen aufzubehalten gedenke.

  Tscharner von Bern fragt Peters ökonomischem Schicksal nach – doch ich lege die Abschrift seines Briefes bey.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 136, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0136_00149.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 136.

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