BuG: BuG I, A 330
Ems 27. 7./12. 8. 1774

Dichtung und Wahrheit XIV (WA I 28, 276)

Ems 27. 7./12. 8. 1774

Die Gesellschaft nahm täglich zu. Es ward unmäßig getanzt, und, weil man sich in den beiden großen Badehäusern ziemlich nahe berührte, bei guter und genauer Bekanntschaft mancherlei Scherz getrieben. Einst verkleidete ich mich in einen Dorfgeistlichen, und ein namhafter Freund in dessen Gattin; wir fielen der vornehmen Gesellschaft durch allzu große Höflichkeit ziemlich zur Last, wodurch denn jedermann in guten Humor versetzt wurde. An Abend-, Mitternacht- und Morgenständchen fehlte es auch nicht, und wir Jüngern genossen des Schlafs sehr wenig.

Im Gegensatze zu diesen Zerstreuungen brachte ich immer einen Theil der Nacht mit Basedow zu. Dieser legte sich nie zu Bette, sondern dictirte unaufhörlich. Manchmal warf er sich auf’s Lager und schlummerte, indessen sein Tiro [F. A. Benzler], die Feder in der Hand, ganz ruhig sitzen blieb, und sogleich bereit war fortzuschreiben, wenn der Halberwachte seinen Gedanken wieder freien Lauf gab. Dieß alles geschah in einem dichtverschlossenen, von Tabaks- und Schwammdampf erfüllten Zimmer. So oft ich nun einen Tanz aussetzte, sprang ich zu Basedow hinauf, der gleich über jedes Problem zu sprechen und zu disputiren geneigt war, und, wenn ich nach Verlauf einiger Zeit wieder zum Tanze hineilte, noch eh’ ich die Thür hinter mir anzog, den Faden seiner Abhandlung so ruhig dictirend aufnahm, als wenn weiter nichts gewesen wäre.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0330 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0330.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 292 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang