BuG: BuG I, A 324
Bensberg - Köln 24. 7. 1774

J. G. Jacobi, Tagebuch 24. 7. 1774 (Vom Fels zum Meer 1884/85 I 580)

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Bensberg, Köln 24. 7. 1774

Mein Bruder, Herr Rost [Heinse], Goethe und ich setzten uns, morgens um 5 Uhr, in den Wagen, um das Schloß Bensberg zu besehen.

Ich reiste gern mit unserem Fremden, so sehr auch wir beide in unsrer Art zu sehen, zu hören und zu fühlen verschieden sind. Eben so wie ich unter den alten Griechen, so lebt er unter den alten Schotten, Kelten und Deutschen – nur mit dem Unterschiede, daß ich zuweilen mit Lust auf seinen rauhen Gebirgen oder in seinen Felsenschlössern oder in den weiten Sälen ihn besuche, wo Pfeil und Bogen sammt der Harfe an der Wand hängen, und die Harfe von selbst einen Klang giebt, weil die Seelen der Väter hinkommen und sie berühren, er aber in meine lustigen Thäler, wo eine Grazie auf der Leier spielt, nicht herabsteigen mag.

Wir langten in Bensberg an ... Wir speisten in einer schönen Laube, dicht an einem Gärtchen voll Blumen; hinter dem Gärtchen öffnete sich ein Teil der großen Aussicht ...

Nach Tische giengen wir auf das Schloß, dessen Wände großenteils von berühmten niederländischen und italienischen Meistern gemalt sind ... Nachdem Goethe die Natur und das wahre Leben einiger Jagdstücke [von Weenix] genug betrachtet, und ich bei dem Reize der artigsten Nymphen und Göttinnen mich aufgehalten hatte, reisten wir nach Köln ... Unser erstes Geschäfte war, ein Gemälde von Rubens in der St. Peterskirche aufzusuchen. Dieses stellt die Kreuzigung des h. Petrus vor ...

Von hier ließen wir uns in die ehemalige Wohnung der Familie von Jabach führen, und besahen in einem gewölbten, gleich einer Kapelle gebauten Gemach eine Schilderei des Le Brun, worauf die Familie abgebildet ist ... Der Gedanke, daß diejenigen, deren Bildnisse wir vor uns hatten, alle dahin wären; daß der Geist des Jabach öfter diesen Tempel besuchte, die irdische Gestalt, das Fleisch seiner Gattin und seiner Kinder anschaute; daß sein Familienstück in kurzem verkauft, aus dem Tempel herausgerissen, den Blicken der Unheiligen bloßgestellt, nichts als ein Galerie-Stück sein würde: dieser Gedanke machte auf unsern Fremdling ein gewaltigen Eindruck.

Die beste Zierde des Jabachischen Gartens waren antike Urnen. Übrigens war die Anlage desselben voll Einfalt und edel. Nun kehrten wir in unsern Gasthof zurück, wo Goethe uns in der Dämmerung altschottische Romanzen, voll wahren Gefühls der Natur, mit Geistererscheinungen vermischt, in einem unübertrefflichen Tone dergestalt hersagte, daß wir bei der letzten, ohne falsche Nebenempfindung der Kunst, so wahrhaftig zusammenfuhren, so im Ernste bange wurden, als ehemals in unsern Kinderjahren, wenn wir den abenteuerlichen Geschichten unserer Wärterinnen von ganzer Seele, mit allem möglichen Glauben daran, zuhörten.

Unsre Abendmahlzeit war fröhlich. Wir sahen nicht weit von uns den Rhein, welchen der Mond versilberte, und dessen Geräusch in der Stille der Nacht etwas Feierliches hatte. Das Ende dieses Tages sollte so schön als der Morgen sein.

W. Heinse an Klamer Schmidt 13. 10. 1774 (Schüddekopf 9, 230)

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Bensberg, Köln 24. 7. 1774

Wir begleiteten ihn bis nach Bensberg, einem italienischen Schloße voll Gemählde, auf einem hohen Berge, das die schönste Aussicht vielleicht in Deutschland hat, und unstreitig so liegend das schönste ist, und Cöln, wo wir mit ihm einen Abend verlebten, den ich unter die schönsten meines Lebens zähle.

W. Heinse an Klamer Schmidt 13. 10. 1774 (Schüddekopf 9, 228)

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Bensberg, Köln 24. 7. 1774

Schreibe Herdern, wenn du gut mit ihm stehst; der hat eine Sammlung von alten Romanzen und aus den alten englischen übersetzten, wovon ich schon solche Meisterstücke von Göthe gehört habe, daß nichts darüber geht.

An F. H. Jacobi Apr. 1775 (WA IV 3, 327)

Bensberg, Köln 24. 7. 1774

O du Menschenkind – steht nicht geschrieben: so ihr glaubtet, hättet ihr das ewige Leben! und du wähntest manchmahl, der Sinn dieser Worte sey in deiner Seele aufgegangen. Seys nun – geringer kann ich’s nicht thun – deine Liebe wag ich dran – sonst wär ich der heiligen Thränen nicht werth, die du in Cölln an mein Herz weintest.

F. H. Jacobi an Goethe 28. 12. 1812 (Jacobi S. 259)

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Bensberg, Köln 24. 7. 1774

Daß im dritten Theil deines Biographischen Versuchs meiner in allem Guten gedacht werden soll, freut mich unendlich. Sorge nur, daß ich die Erscheinung dieses 3ten Theils auch noch erlebe. Ich hoffe du vergißest in dieser Epoche nicht des Jabachschen Hauses, des Schloßes zu Bensberg und der Laube, in der du über Spinoza, mir so unvergeßlich, sprachst; des Saals in dem Gasthofe zum Geist, wo wir über das Siebengebirg den Mond heraufsteigen sahen, wo du in der Dämmerung auf dem Tische sitzend uns die Romanze: Es war ein Buhle frech genug – und andere hersagtest ... Welche Stunden! Welche Tage! – Um Mitternacht suchtest du mich noch im Dunkeln auf – Mir wurde wie eine neue Seele. Von dem Augenblick an konnte ich dich nicht mehr laßen.

F. H. Jacobi an Goethe, Nov. 1815 (Jacobi S. 272)

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Bensberg, Köln 24. 7. 1774

Wir hatten Stunden mit einander verlebt, die keiner von uns je vergessen konnte. Jene Ahndungen in der Mitternachtstunde zu Kölln wurden uns jetzt [1792] zu Erkenntnissen; wunderbar hatten selbst die Täuschungen sich zur Wahrheit verklärt. Für dich zumal hatte die Reife unserer Freundschaft, wie du es nanntest, die höchste Süßigkeit; und es mußte so sein, denn dir war in Erfüllung gegangen, über deine Erwartung, was du auch gestandest; mir nicht darüber noch darunter.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0324 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0324.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 282 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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