Goethes Briefe: GB 2, Nr. 137
An Sophie La Roche

〈Frankfurt a. M. , etwa 20. August? 1774〉 → 〈Ehrenbreitstein bei Koblenz〉

〈Abschrift〉


Hier Mama das versprochne, ists sorecht! Mit der fahrenden schick ich mehr vergüldt aufm Schnitt. dabey des lieben Mädgens Briefe, daß ein fürtreffl: Mädgen ist, Dabey Zeitungen von Hrn: Deinet. Wollen sie mir dann schreiben was ich Ihnen soll für den Thee? was Sie ausgelegt haben für mich? so will ichs mit denen 2 Carolin an Dumeix geben oder wohin Sie wollen. Mit der Aneckt. (?) Sill (?) will ich dann warten aber nicht lang. hat Hohenf einen Clavigo? Groschl. mögt ich gar gerne sehen wens halbweg mit Manier geschehen kann. Dabord que Wieland est curieux de Savoir ce que je ferois de lui, si le hasard me la menoit – il est perdu – vous m'entends bien.

So bald ein Werther kommt soll er bey Ihnen sein, hier ist auch wieder das Testament das nicht Cristi ist.

Am 13. August 1774 war Goethe aus Ems zurückgekehrt. Am 24. August teilte er Sophie La Roche mit, er habe ihren Brief an Kalckhoff ( 116,23 ), offenbar Sekretär des kurmainzischen Kanzlers Carl Friedrich Willibald Groschlag von Dieburg, sogleich weitergeschickt (vgl. 116,23 ). Es handelte sich dabei vermutlich um ein Empfehlungsschreiben für Goethe, der Groschlag im September kennen lernen wollte und deshalb Sophie La Roche im vorliegenden Brief um Vermittlung bat. Wenn die Briefe zwischen Frankfurt und Ehrenbreitstein ohne Verzögerung hin und her gelaufen sind, könnte das Empfehlungsschreiben etwa vom 22. August, der vorliegende Brief etwa vom 20. August stammen.

H: Verbleib unbekannt.

h​1: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano vom 2. oder 3. Juni 1806 (= h​a; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47 ).

h​2: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano (= h​b; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47 ).

h​3: FDH/FGM Frankfurt a. M., Sign.: 10721–10732. – Abschrift von Johann Friedrich (Fritz) Schlosser (= h​c; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47 ).

h​4: GSA Weimar, Sign.: 29/294,III. – Abschrift von fremder Hd (= h​d; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47 ).

E: Frese (1877), 149, Nr 14 (nach h​3).

WA IV 2 (1887), 185, Nr 242 (nach Goethe-La Roche, 63 f. [dort vermutlich nach einer nicht überlieferten Abschrift von h​3]; Textkorrekturen nach h​1 [vgl. Reinhold Steig: Goethische Handschriften erhalten durch Bettina und Achim von Arnim. In: JbFDH 1910, 328] in den „Berichtigungen“, WA IV 50 [1912], 210).

Textgrundlage: h​1. – Vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47 .

ists sorecht!] ist's so recht? ​h​2 mehr] mehr, ​h​2 Schnitt.] Schnitt, ​h​2 Briefe, daß] Briefe das ​h​2 Dabey] dabey ​h​2 Hrn:] H: ​h​2 schreiben] schreiben, ​h​2 Thee] tee ​h​2 Ter ​h​3 was Sie 〈…〉 für mich?] was Sie ausgelegt haben für mich? was Sie ausgelegt haben für mich? ​(Abschreibefehler) h​2 h​3       Aneckt.] Aneckt ​h​2 Hohenf] Hohenf: ​h​2 Clavigo?] ​Absatz h​2 kann.] ​Absatz h​2 Wieland] Wiland ​h​2       curieux] Curieux ​h​2 Savoir] savoir​h​2 la menoit] l'amenoit ​h​2 sein] seyn ​h​2 das] daß ​h​2 Cristi] Cristi ​h​2

1)  Manuskript oder Druck eines Gedichts von Goethe (vgl. die erste Erläuterung zu 113,16 ).

2)  Manuskript von Sophie La Roches „Freundschaftlichen Frauenzimmer-Briefen“ (vgl. die zweite Erläuterung zu 113,17 ).

3)  Vielleicht Nummern der FGA (vgl. zu 113,18 ).

Der Brief antwortet seinem Beginn zufolge auf eine Bitte Sophie La Roches (vgl. zu 113,23–25 ); ein entsprechender Brief ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief auf den vorliegenden Brief ist nicht bekannt. – Der Brief kreuzte sich mit einem nicht überlieferten Brief Sophie La Roches (vgl. 116,14–15 ). Sie schickte auch einen Empfehlungsbrief für Groschlag (vgl. 116,23 ).

das versprochne] Es wird angenommen, es habe sich um ein „versprochnes Gelegenheitsgedicht“ gehandelt, welches nicht überliefert ist (Goethe-La Roche, 64), um den „verschollenen Privatdruck eines Gedichtes in eleganter Aufmachung“ (DjG​3 4, 375; ähnlich DjG​2 6, 374, zu Nr 249). Näheres wurde nicht ermittelt.

Mit der fahrenden] Gemeint ist: mit der fahrenden Post, d. h. mit der (langsameren) Postkutsche im Unterschied zum reitenden Boten (vgl. zu 57,20 ).

vergüldt aufm Schnitt] Goldschnitt (vgl. auch 91,6 ; 129,16 ).

des lieben Mädgens Briefe] Vermutlich Manuskript von Sophie La Roches Briefroman „Freundschaftliche Frauenzimmer-Briefe“ für die „Iris“, später unter dem Titel „Rosaliens Briefe“ selbstständig erschienen. Goethe begleitete die Entstehung des Romans mit Rat und Ermunterung (vgl. Nr 95 , 98 , 99 und 127 ).

Zeitungen von Hrn: Deinet] Es könnten die FGA gemeint sein, die von Johann Conrad Deinet verlegt wurden.

soll] In der Umgangssprache bedeutete ,sollen‘ in engerer Bedeutung: „zur Bezahlung einer Schuld verpflichtet seyn“ (Adelung 4, 132).

Thee] Möglicherweise liegt ein Lesefehler der Abschreiberin vor (vgl. zu 113,21 ); Gustav von Loeper vermutet, es müsse möglicherweise „Ter“ (Überlieferungsvariante in h​3) oder „Ten.“ heißen, und bezieht die Stelle auf die Namen der niederländischen Maler Gerard Terburg (Terborch) oder David Teniers. Goethe habe ein Gemälde eines dieser Künstler bei dem Maler Januarius Zick in Ehrenbreitstein erworben. Dabei weist er darauf hin, dass Goethe in Nr 153 nach der Erwähnung Zicks (vgl. 133,4–5 ) von Geldschulden bei Sophie La Roche spricht: „Daß er sich damals von Sophie zum Ankauf von Thee Geld erborgt hätte, ist undenkbar.“ (Goethe-La Roche, 64.)

2 Carolin an Dumeix] Näheres ist nicht ermittelt worden. – Damian Friedrich Dumeiz war katholischer Geistlicher in Frankfurt.

Aneckt. (?) Sill (?)] Loeper liest: Olnekt (?) Sill (?) (Goethe-La Roche, 63). Steig liest: Anecht? Sill? (Goethische Handschriften, S. 328.) Die Fragezeichen in h​1 machen deutlich, dass auch Bettine von Arnim, die Abschreiberin des Briefes, die Worte nicht lesen konnte. h​2 und h​3 übernahmen die Lesung von h​1. – Nach Loeper soll es sich um zwei Eigennamen handeln, „zwei Namen der Firma der in No. 29 〈im vorliegenden Band Nr 159 〉 erwähnten Coblenzer Porzellanfabrik“ (Goethe-La Roche, 64), bei der Lavater Einkäufe gemacht hatte; vgl. auch zu 136,13 . – Möglich erscheint jedoch auch, dass in Goethes Brief von ‚Anekdote(n)‘ die Rede war (aus Gründen der Diskretion nicht schriftlich Veröffentlichtes, deshalb mündlich Erzähltes; nach griech. ἀνέκδοτος: nicht herausgegeben) und von ‚Sille(n)‘ (Hohn- und Spottgedichte in Hexametern; nach griech. σίλλος: schielend, boshaft). Der Bezug ist freilich unklar.

Hohenf] Christoph Philipp Willibald von Hohenfeld, Generalvikar und Domdechant in Speyer, ein Freund und Kollege Georg Michael Anton La Roches (vgl. weiter Sophie La Roches Brief an Goethe vom 17. Oktober 1774, abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 154 ).

Clavigo] Goethes Trauerspiel war Mitte Juli erschienen.

Groschl. mögt ich gar gerne sehen] Carl Friedrich Willibald Groschlag von Dieburg, Kanzler des Kurfürsten Emmerich Joseph in Mainz. Goethe wurde ihm im September in Frankfurt vorgestellt (vgl. 130,21 ). Sophie La Roche hatte mit einem Empfehlungsschreiben die Vermittlung der Bekanntschaft übernommen (vgl. Datierung). Goethe hatte Groschlag im März 1764 voll Bewunderung als Gesandten beim Wahlkonvent aus Anlass der Wahl Josephs II. zum römisch-deutschen König erlebt (vgl. AA DuW 1, 153 [5. Buch]).

wens] Verschrieben für ‚wenns‘.

Dabord 〈…〉 bien.] Franz.: Wieland ist begierig zu erfahren, was ich mit ihm machen würde, wenn der Zufall ihn zu mir führte – er ist verloren – Sie verstehen mich genau. – Vermutlich antwortet Goethe damit auf einen (nicht überlieferten) Brief Wielands an Sophie La Roche, den sie ihm zugeschickt hatte (vgl. zu 117,1–2 ).

So bald ein Werther kommt] Der Roman erschien zur Leipziger Michaelismesse Anfang Oktober 1774. Goethe schickte Sophie La Roche am 22. September ein Vorausexemplar (vgl. 130,18 ).

Testament das nicht Cristi ist] Gemeint ist Johann Gottfried Herders „Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts“ (Bd 1. Riga 1774); Goethe hatte das Buch mit Nr 127 an Sophie La Roche geschickt, es sich aber wohl noch einmal zurückerbeten. Herder unternimmt eine neue Deutung der ersten Kapitel des 1. Buchs Mose im Alten Testament, die sich gegen die rationalistische Bibelauslegung richtet.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 137 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR137_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 113, Nr 137 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 300–303, Nr 137 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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