Goethes Briefe: GB 2, Nr. 136
An Johann Georg Christoph Steche

Frankfurt a. M. , 16. August 1774. Dienstag → 〈Göttingen〉

Wohlgebohrner Herr
Hochgeehrtester Hℓ. Docktor.


Dero wertheste Zuschrifft vom 30 Juli habe bey meiner vorgestrigen Ankunft aus dem Bade nebst zwey Dukaten richtig gefunden, und zugleich zur verlangten Abschrifft Anstalt gemacht. Es folgen hierbey die vor Burgermeisterlicher Audienz gewechselten Rezesse nebst dem Bescheide von welchem ich an Schöffenrath provocirt habe. das ganze Protokoll abschreiben zu lassen habe für unnötig gefunden, weil übrigens nichts denn citation , Fristbitten und Erstreckungen 1 dazwischen ​ 2 enthalten. Ew Wohlgebℓ. werden aus dem Verlauf der Sache ersehen dass freylich in favorem Hℓ. Gegners gesprochen ist, welches auch in zweiter Instanz zu befürchten ​ 3 stehet, wenn nicht gebeten wird dass acta ad concipiendam senten/tiam Extraneis zugesendet werde.

In zweyter Instanz steht es ietzo auf der Replick, cujus veniam cum termino quatuor hebdomadarum 4 impetravi . Klage und Exzeption enthalten auch hier ut fieri solet nichts was nicht schon in Rezessen erster Instanz vorgebracht worden.

Mit viel Empfel an Hℓ. Horn, habe die Ehre zu verharren um baldige Resolution bittend.

Ew Wohlgebℓ.


ergebenster
JWGoethe Dr.

  1. Erstre× ​ckungen​ ↑
  2. dar ​zwischen​ ↑
  3. befr ​ürchten​ ↑
  4. hebdome ​adarum ​ ↑
  5. Juli ​August​ ↑

H: GSA Weimar, Sign: 29/484,I, Bl. 5–6. – Doppelblatt 18,6(–18,8) × 23 cm, 2 S. beschr., egh., Tinte; die Zeile Es folgen hierbey ( 112,18 ) ist durch einen Anlagestrich am linken Seitenrand markiert.

E: WA IV 2 (1887), 184 f., Nr 241 (Erich Schmidt) (Textkorrekturen in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 210).

Juristische Dokumente (vgl. 112,19–20 ).

Der Brief beantwortet Steches nicht überlieferten Brief vom 30. Juli 1774 (vgl. 112,16 ). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Dero wertheste Zuschrifft] Damit hatte Steche auf Nr 125 geantwortet.

vorgestrigen Ankunft] Goethe war am 13. August aus Ems zurückgekehrt; vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 134 .

zwey Dukaten] In seinem letzten Brief hatte Goethe die Begleichung einer Rechnung angemahnt und ein Zusatzhonorar von 25 Gulden verlangt (vgl. 101,21–102 ,1). Diesen Forderungen entsprachen die zwei Dukaten nicht (vgl. Münze und Geldrechnung in Goethes Briefen 1764–1775 [S. XL]).

Burgermeisterlicher Audienz] Goethe hatte die Klage zunächst beim Jüngeren Bürgermeister eingereicht; dieser hatte sie in erster Instanz abgewiesen. Als Audienz wurde die „öffentliche Anhörung der Partheyen“ bezeichnet (Adelung 1, 465).

Rezesse] Rezess, kanzleisprachlich: „ein kurzer, schriftlicher Aufsatz 〈…〉, welcher 〈…〉 bey Gerichte eingegeben wird“ (Adelung 3, 990).

Bescheide 〈…〉 provocirt habe] Gemeint ist wohl, dass Goethe sich auf Teile des Bescheides dem Schöffenrat gegenüber bezogen habe, als er gegen die Abweisung der Klage (am 13. April) Einspruch erhoben hatte (vgl. DjG​3 4, 211 f.).

Bescheide] Der abschlägige Bescheid des Jüngeren Bürgermeisters.

provocirt] ‚Provozieren‘ kanzleisprachlich: „sich auf etwas berufen“ (Schweizer 2, 681).

citation] Kanzleisprachlich: „Forderung vor Gerichte“ (Schweizer 1, 144).

Erstreckungen] Kanzleisprachlich: Verlängerung, Aufschub (vgl. Grimm 3, 1021).

Verlauf der Sache] Vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 77 .

in favorem] Lat.: zu Gunsten.

Gegners] Karl Friedrich Luther.

dass acta 〈…〉 zugesendet werde] Dt./lat.: dass Akten zur Abfassung des Urteils Auswärtigen zugesendet werden.

Replick] Franz. réplique: Gegenrede; Goethes Replik stammt vom 2. September (vgl. DjG​3 4, 300 f.).

cujus 〈…〉 impetravi] Lat.: zu deren Abfassung ich die Erlaubnis mit einer Frist von vier Wochen erwirkt habe.

Exzeption] Kanzleisprachlich: Einwendung, Einrede (lat. exceptio: Einwand, Protest).

ut fieri solet] Lat.: wie es zu geschehen pflegt.

Empfel] Der Empfehl: im Oberdeutschen für ‚die Empfehlung‘ gebraucht (vgl. Adelung 1, 1798).

Horn] Goethes Klient, Registrator in Göttingen.

Resolution] Lat. resolutio: Entschließung, Beschluss.

JWGoethe Dr.] Goethe war Lizentiat der Rechte; den Doktorgrad hatte er nicht erworben (vgl. zu 60,14 ).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 136 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR136_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 112–113, Nr 136 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 298–299, Nr 136 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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