Goethes Briefe: GB 2, Nr. 132
An Elisabeth Jacobi

〈Köln , 25.? Juli 1774. Montag?〉 → 〈Aachen〉


Ihr Friz Betty, mein Friz, Sie triumphiren Betty, und ich hatte geschworen ihn nie zu nennen vor seinen Lieben, biss ich ihn nennen könnte wie ich ihn nie zu nennen glaubte, u. nun nenne. Und so willkommen tausendmal, willkommen! die gesperrte Schiffarth geöffnet handel u. Wandel im Flor, und gnade Gott dem scheelsüchtigen Nachbaarn. Wie schön, wie herrlich dass Sie nicht in D. waren, dass ich that was mich das einfältige Herz hies. Nicht eingeführt, marschallirt, exküsirt; grad rab vom Himmel gefallen vor Friz Jakobi hin! Und er und ich und ich und er! Und waren schon, eh noch ein schwesterlicher ​ 1 Blick drein präliminirt hatte, was wir seyn sollten u. konnten. Adieu liebe Frau, Küss sie mir die Buben, und die Mädgen

  1. schwestl ​erlicher​ ↑

Aus der Adresse (vgl. Überlieferung) lässt sich schließen, dass der Brief auf privatem Wege, wahrscheinlich als Beischluss zu einem anderen Brief, befördert wurde. Möglicherweise gab Goethe ihn Friedrich Heinrich Jacobi mit, als er sich am 25. Juli in Köln von den Brüdern Jacobi und Wilhelm Heinse trennte (vgl. Johann Georg Jacobis Tagebuchaufzeichnungen vom 24. Juli, dem letzten gemeinsam verlebten Tag; BG 1, 282 f.), um in Neuwied Lavater und Basedow wieder zu treffen und von dort aus nach Koblenz und Ems weiterzureisen.

H: GSA Weimar, Sign.: 51/II,4,7. – Doppelblatt 11,5 × 18,8(–19) cm, 1 S. beschr., egh., Tinte; S. 4 Adresse: An ​Betty; S. 3 unten rechts und S. 4 oben links Reste einer Verschlussoblate oder eines Siegels.

E: Goethe-Jacobi (1846), 22 f., Nr 12.

WA IV 2 (1887), 180 f., Nr 236.

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt. Ob Goethe Elisabeth Jacobis undatierten Brief, mit dem sie auf seinen Brief vom 21. Juli 1774 antwortete (vgl. RA 1, 57, Nr 31 ; abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 130 ) bereits erhalten hatte, ist ebenfalls nicht bekannt.

Goethe war am 21. Juli um sechs Uhr früh in Düsseldorf eingetroffen (vgl. Bach, Dokumente, 135), hatte aber von der Jacobischen Familie niemanden angetroffen (vgl. Nr 130 ). Daraufhin war er am selben Tag (vgl. Lavaters Tagebuch vom 21. Juli; Bach, Dokumente, 130; BG 1, 276) nach Elberfeld, dem Wohnort Johann Heinrich Jungs, geritten, wo sich Friedrich Heinrich Jacobi und Wilhelm Heinse aufhielten. Am 22. Juli lernte Goethe Jacobi im Hause des Kaufmanns Anton Philipp (?) Caspari persönlich kennen; Jung schildert das Zusammentreffen in seiner Autobiographie: „Göthe aber konnte nicht sitzen, er tanzte um den Tisch her, machte Gesichter und zeigte allenthalben, nach seiner Art, wie königlich ihn der Zirkel von Menschen gaudire.“ (BG 1, 279; vgl. dazu Jacobis Brief an Christian Konrad Wilhelm Dohm vom 20. Juni 1818, der Jungs Bericht relativiert [Friedrich Heinrich Jacobi's auserlesener Briefwechsel. (Hrsg. von Friedrich Roth.) Bd 2. Leipzig 1827, S. 488].) Von Elberfeld war Goethe mit Jacobi und Heinse noch am 22. Juli nach Düsseldorf und Pempelfort zurückgekehrt (vgl. Bach, Dokumente, 150) und lernte am 23. Juli Johann Georg Jacobi kennen (vgl. dessen Tagebuch [H: GSA 51/II,8,1], in: DjG​2 4, 114; Bach, Dokumente, 150). Am 24. Juli war die ganze Gesellschaft nach Köln gereist und hatte auf dem Weg dorthin Schloss Bensberg besichtigt (vgl. Johann Georg Jacobis Tagebuch, in: DjG​2 4, 115; Bach, Dokumente, 151 f.) Am Tag darauf brach Goethe nach Neuwied und Ems auf (vgl. Bach, Dokumente, 155 f.; JB II 1, 223). Vielleicht am Morgen dieses Tages (vgl. Datierung) berichtete Goethe im vorliegenden Brief Elisabeth Jacobi von der neu geschlossenen Freundschaft mit ihrem Mann Friedrich Heinrich Jacobi.

Sie triumphiren] Elisabeth Jacobi hatte sich, wie Johanna Fahlmer, als Vermittlerin zwischen Goethe und Friedrich Heinrich Jacobi verstanden.

die gesperrte Schiffarth geöffnet 〈…〉 im Flor] Bilder für die in Gang gekommene freundschaftliche Beziehung und den Beginn der Kommunikation.

scheelsüchtigen Nachbaarn] Vermutlich sprichwörtlich: Der ,böse Nachbar‘ findet sich schon in antiken Sprichwörtern, z. B. bei Plautus (Mercator, Vers 772) und Palladius (Opus agriculturae, I 6,6). Am bekanntesten ist wohl Schillers spätere Sentenz im „Wilhelm Tell“: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, / Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.“ (IV 3, Verse 2682 f.; NA 10, 247.)

D.] Düsseldorf.

marschallirt] 〈…〉 von einem höheren Hofbeamten geleitet“ (Goethe-Wortschatz, 424).

exküsirt] Franz. excuser: entschuldigen.

grad rab vom Himmel gefallen] Dieses Bild – Goethe hatte Friedrich Heinrich Jacobi mit seinem Besuch in Elberfeld überrascht – benutzt ebenso wie die Wendung was wir seyn sollten u. konnten ( 110,17 ) auch Jacobi in seinem Brief an Wieland vom 27. August (in Anlehnung an den vorliegenden Brief?) im Bericht über die Elberfelder Begegnung: „Was Göthe und ich einander seyn sollten, seyn ​mußten, war, sobald wir vom Himmel runter neben einander hingefallen waren, im Nu entschieden.“ (JB I 1, 251.)

schwesterlicher Blick] Vgl. die zweite Erläuterung zu 110,18 .

präliminirt] Präliminieren: einleiten; vorbereiten.

die Buben] Jacobis neun- bzw. sechsjährige Söhne Fritz und Georg.

die Mädgen] Jacobis Halbschwestern Charlotte und Helene Jacobi.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 132 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR132_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 110, Nr 132 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 289–291, Nr 132 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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