Goethes Briefe: GB 2, Nr. 130
An Elisabeth Jacobi

Düsseldorf , 21. Juli 1774. Donnerstag → 〈Vaels bei Aachen〉


Sie erwarten keinen Brief von mir am wenigsten Datirt:

Düsseldorf dℓ. 21 Juli 1774

gegen zwölfe Mittags, in dem Gasthofe zum Prinzen von    Oranien. Kommend von der Gallerie, die meines Herzens     Härtigkeit erweicht, gestärckt und folglich gestählt hat.

Vor acht heut früh lief ich nach ihrem Hause, in die neu Strase, ans Flinger oder Flinder Tohr, |:deswegen geh ich so in's detail, dass Sie sich des überzeugen das ich hier bin, das ich selbst kaum ​ 1 glaube:| Cathrine machte auf, und grose Augen, stuzzte ​ 2 , erkanndte mich, und schien vergnügt zu seyn. das Haus war leer! die Herrschafft verreist der iüngste schlief, die andern in Pempelfort. Ich hinaus nach Pempelfort pppppp. Lottgen, Lehngen, Pape, ppp Friz, George, der Kleine ppp. ​ 3

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dass mir's weh thut Sie nicht zu treffen fühlen Sie – iust iezo – eben ietzo –

Was weiter wird? Steht in der Götter Hand.

Goethe.

  1. ke ​aum​ ↑
  2. s p ​tuzzte​ ↑
  3. , ​ppp.​ ↑

H: GSA Weimar, Sign.: 51/II,12,1, Bl. 8. – 1 Bl. 18,5(–18,8) × 23 cm, Vs. beschr., egh., Tinte; Rs. Konzept von Elisabeth Jacobis Antwortbrief. – Faksimile: Rheinische Goethe-Ausstellung unter dem Protektorat seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Georg von Preußen in der Aula der Königlichen Kunstakademie zu Düsseldorf Juli bis October 1899. Leipzig 1899, zwischen S. 52 und 53.

E: Goethe-Jacobi (1846), 20 f., Nr 10.

WA IV 2 (1887), 179 f., Nr 235.

Ein Bezugsbrief ist nicht bekannt. – Elisabeth Jacobi antwortete vermutlich umgehend (vgl. RA 1, 57, Nr 31 ; Konzept des Briefes abgedruckt im Anschluss an die folgenden Erläuterungen).

Düsseldorf] Goethe war auf seiner Rheinreise (vom 15. Juli bis 13. August 1774) am 21. Juli in Düsseldorf eingetroffen; dort und in Pempelfort, auf dem Sommersitz der Familie Jacobi, hielt er sich bis zum 24. Juli auf, um die Brüder Jacobi und deren Familien zu besuchen. – Vgl. für den gesamten Zusammenhang: Bach, Dokumente; außerdem: Bach, Goethes Reise.

Gasthofe zum Prinzen von Oranien] Der Gasthof befand sich im Haus Burgplatz 12. Er wurde 1784 geschlossen, das Haus 1959 abgerissen. Heute erinnert eine Gedenktafel an einem neu errichteten Gebäude an Goethes Aufenthalt. (Nach freundlicher Mitteilung von Barbara Steingießer, Düsseldorf.)

Gallerie] Die Düsseldorfer Galerie, die Ende 1805 nach München überführt wurde, bestand aus 358 Gemälden, darunter 40 von Rubens, 17 von van Dyck, jeweils einige von Rembrandt, Snyders, Metsu, Jordaens, Dou u. a. (Vgl. „Vollständige amtliche Ausgabe“ von: Katalog der Gemälde-Sammlung der Kgl. Älteren Pinakothek in München. Mit einer historischen Einleitung von Franz von Reber. München 1904 [u. ö.], S. XVII–XIX.) In der Düsseldorfer Gallerie konnte meine Vorliebe für die niederländische Schule reichliche Nahrung finden. Der tüchtigen, derben, von Naturfülle glänzenden Bilder fanden sich ganze Säle, erinnert sich Goethe im 14. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ (AA DuW 1, 516). Auch sein Reisebegleiter Johann Caspar Lavater berichtet in seinem Tagebuch unter dem 22. Juli ausführlich über seinen Galeriebesuch (vgl. Goethe-Lavater​3, 317 f.; Bach, Dokumente, 137 f.), ebenso Wilhelm Heinse, den Goethe in Pempelfort traf, in seinen Beiträgen „Ueber einige Gemählde der Düsseldorfer Gallerie. Aus Briefen an Gleim“ im „Teutschen Merkur“ (Oktober-Heft 1776, S. 3–46; November-Heft 1776; S. 106–119; Mai-Heft 1777, S. 117–135; Juli-Heft 1777, S. 60–90; auch in: Heinse, Briefe 1, 280–363. – Der „Merkur“ erschien ab 1775 monatlich ohne Bandangabe.)

ihrem Hause] Jacobis Stadtwohnung in der Neustraße 16 in der Nähe des Flinger Tors. Das Tor befand sich an der Ecke Flingerstraße/Neustraße und verband die Altstadt mit dem Flinger Steinweg (der heutigen Schadowstraße). Nach der Erweiterung der Stadtbefestigung in der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde das Tor als Rüsthaus genutzt. Durch das Tor führte die Straße zum Dorf Flingern (heute ein Stadtteil Düsseldorfs).

Cathrine] Bedienstete der Jacobis, die Goethe aus Frankfurt kannte, als sie mit Elisabeth Jacobi dort zu Besuch war (vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 53 ).

das Haus war leer!] Die meisten Mitglieder der Jacobischen Familie befanden sich auf dem nahe gelegenen Landsitz in Pempelfort (heute Düsseldorf); Friedrich Heinrich Jacobi hielt sich geschäftehalber in Elberfeld auf.

der iüngste] Es könnte Elisabeth Jacobis jüngster Sohn, der neun Monate alte Franz Theodor, gemeint sein, den sie möglicherweise unter der Obhut einer Amme oder anderer Bediensteter in der Stadt zurückgelassen hatte.

Lottgen] Charlotte Jacobi.

Lehngen] Helene Jacobi.

Pape] „Pape, Pappe“: „Vater (überwiegend Kinderspr.). Die älteste Form ist Pape“ (Südhessisches Wörterbuch 1, 572). Gemeint ist Johann Konrad Jacobi, der Vater der Brüder Jacobi.

Friz] Johann Friedrich, Elisabeth Jacobis neunjähriger Sohn.

George] Georg Arnold, der sechsjährige Sohn Elisabeth Jacobis.

der Kleine] Da Elisabeth Jacobis jüngster Sohn Franz Theodor offenbar in der Stadt war, ist unklar, wer hier gemeint ist.

Sie nicht zu treffen] Elisabeth Jacobi hielt sich bei ihren Eltern in Vaels bei Aachen auf (vgl. ihren Antwortbrief).

Was weiter wird?] Goethe verschweigt, dass er Friedrich Heinrich Jacobi in Elberfeld zu überraschen gedachte. Am folgenden Tag, dem 22. Juli, trafen beide in einer von Goethe herbeigeführten Begegnung zum ersten Mal zusammen. Darüber berichtet ausführlich Johann Heinrich Jung in seiner Autobiographie (vgl. BG 1, 276–280), ebenso Friedrich Heinrich Jacobi in seinem Brief an Wieland vom 27. August 1774 (JB I 1, 250–252).


Elisabeth Jacobis Antwortbrief, kurz nach dem 21. Juli 1774 (Konzept):


Antwort

Freylich, Herr Doctor, konte ich keinen Brief von Ihnen noch weniger aus D. datirt erwarten. Mein Erstaunen darüber war so groß, daß ich in einem Herr jeminee ausbrach, welches meiner Mutter die Brille von der Nase fallen machte. „Was habt ihr, Tochter? „O nichts Mama, G. ist in D. u. ich just n ​o „Wer ist Herr Goethe? Ach – –. nun kratzte ich mich hinter die Ohren, antwortete aber, ein guter Bekannter aus Fr. Die Antwort war nicht hinlängℓ.; die guten Alten fragen gerne, u. hätte ich n ​o gesagt, Sie wären ein geschickter advocat, so hätte sie meine obige exclamation verüblet. Ein Poeten Herr Doctor steht hier in jämmerlichen Ansehen. Daß es mir ind. leyd thut daß ich n ​o mit Ihnen in unserer schönen gallerie herumwandre ist wahr, und daß es Ihnen ebenfals leyd thut daß ich n ​o dorten bin, will ich zu meinem vergnügen glauben. Wäre ich, u. alles was ich liebe in D. gewesen, so solte unsere altdeutsche ehrliche Bewirthung Ihnen n ​o misvergn. haben abreisen laßen. Sind Sie oder sind Sie nicht mehr daselbst. Wo Sie sind, folge Ihnen Glück, Freude, und vergnügen das wünschet von gantzen Hertzen

Betti Jacobi


(K: GSA Weimar, Sign.: 51/II,12,1, Bl. 8 Rs.)

Der in Aachen entstandene Brief dürfte unmittelbar nach dem Empfang von Goethes Brief geschrieben worden sein (nach JB II 1, 219 „noch am gleichen Tage“ wie dieser). 4 meiner Mutter] Helene Margarethe von Clermont geb. von Hyssen. 5 n ​o ] Abkürzung für lat. non/nihil: nicht/nichts.


 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 130 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR130_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 103–104, Nr 130 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 283–285, Nr 130 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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