Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 88a+
Von Anna Luise Karsch

nach 3. Juli 1778, Berlin

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   Herzforschung
   an Göthe


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Männer Eure Weyßheit ist manngel ann Theilnehmungstrieben


    –

du der du so geistreich bist Göthe du hast diß geschrieben legsts Elmiren in den Mund drum kan ich von dir nicht wähnen daß inn deines Herzensgrunnd kein Gefühl sey für die Trähnen die der Eisenschwere Gram auß bedrängtter brust kan preßen, brinnge mich ja nicht zur Schaam wenn mein Vortrag zu vermeßen und zu auffgedrunngen scheint – laß dirs sagen daß inn Pohlen iezt ein gannzes Städtchen meint Trost und Raht bey mir zu hohlen | 2 | s darff sich Eine Kirche baun s will, und hatt kein Geld zum Grunde sezt auff mich sehr viel Vertraun hofft daß ich mitt Musenmunde Mennschenfreunde werben kann die sich herzlich laßen zwinngen Hannd ann Hannd und Mann vor Mann Kalk und stein zumm bau zu bringen, etwas hab ich schon erhascht fünff und sechzig Thaler liegen Unnberührt und unbenascht mir zum heilligen Vergnügen schon beisammen, aber wo nehm ich mehr – ich Zweiffelbannge wenig Mennschen dennken so wie Gott will, und ichs verlannge wenig nehmen Theil ann was außer Ihrer eignen Spähre wenig wanngen werden naß | 3 | Vonn des fromen mittleidszähre deine Wannge wirds vielleicht Ja dein Herz wird vonn der Klage fremmdes Kumers sannfft erweicht du giebst acht was ich dir sage Von dem Städtchen was mich bath ach es liegt imm dürren sande den mein kleiner fuß betrat als ich noch imm Unschuldsstannde mich amm Arm des Oheims hing und mitt Ihm auff Seine Wiesen und inn Seinem buchwald ging wo Er mir den Gott gepriesen der die Lerche Sinngen hies und die gelbe schlüßelblume hauffenweise blühen hies mir zum Puz und Ihn zum Ruhme – dieses Städtchen ist sehr arm und ich liebe Seiner Hütten kümmerliche Söhne warm | 4 | und ich wags für Sie zu bitten weil mein Oheim lannge schon schläfft auff Ihrem Leichenhügel neben Ihm wekt Enngelthon Einst die Todten bey Tirschttigel aus den Gräbern, und zuerst meine Mutter die du Lieber gannz gewis imm Himmel hörst denn Ihr Sinngeklang geht über alle Stimmen Süs und fein die du hier gehört magst haben – Ja, wär diese Stimme mein wolt ich alle reiche Knaben altt und jung und groß und klein bald bezaubern und bewegen Opfer zu dem Temmpelbau mir so willig darzulegen als offt Einer Schönen frau die ann mannchen GoldesErben Theuer sich verkaufft zur schau – Guter Göthe hilff mir werben solst auch leben bis dich grau Hunndert heiße Somer färben

S:  Gleimhaus Halberstadt (Abschrift, eigenh.)  D:  Karsch-Gleim2, 425-427  B : -  A : - 

Gedichtbrief: Herzforschung an Göthe [...]. Poetische Bitte um Unterstützung für den Bau einer Kirche in Tirschtiegel (früherer Wohnsitz K.s); dabei erwähnt: K.s Mutter (Dürbach) und Großonkel (M. Fetke) sowie G.s "Erwin und Elmire".

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  Herzforschung  an Göthe

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Männer Eure Weyßheit ist manngel ann Theilnehmungstrieben

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du der du so geistreich bist Göthe du hast diß geschrieben legsts Elmiren in den Mund drum kan ich von dir nicht wähnen daß inn deines Herzensgrunnd kein Gefühl sey für die Trähnen die der Eisenschwere Gram auß bedrängtter brust kan preßen, brinnge mich ja nicht zur Schaam wenn mein Vortrag zu vermeßen und zu auffgedrunngen scheint – laß dirs sagen daß inn Pohlen iezt ein gannzes Städtchen meint Trost und Raht bey mir zu hohlen | 2 | s darff sich Eine Kirche baun s will, und hatt kein Geld zum Grunde sezt auff mich sehr viel Vertraun hofft daß ich mitt Musenmunde Mennschenfreunde werben kann die sich herzlich laßen zwinngen Hannd ann Hannd und Mann vor Mann Kalk und stein zumm bau zu bringen, etwas hab ich schon erhascht fünff und sechzig Thaler liegen Unnberührt und unbenascht mir zum heilligen Vergnügen schon beisammen, aber wo nehm ich mehr – ich Zweiffelbannge wenig Mennschen dennken so wie Gott will, und ichs verlannge wenig nehmen Theil ann was außer Ihrer eignen Spähre wenig wanngen werden naß | 3 | Vonn des fromen mittleidszähre deine Wannge wirds vielleicht Ja dein Herz wird vonn der Klage fremmdes Kumers sannfft erweicht du giebst acht was ich dir sage Von dem Städtchen was mich bath ach es liegt imm dürren sande den mein kleiner fuß betrat als ich noch imm Unschuldsstannde mich amm Arm des Oheims hing und mitt Ihm auff Seine Wiesen und inn Seinem buchwald ging wo Er mir den Gott gepriesen der die Lerche Sinngen hies und die gelbe schlüßelblume hauffenweise blühen hies mir zum Puz und Ihn zum Ruhme – dieses Städtchen ist sehr arm und ich liebe Seiner Hütten kümmerliche Söhne warm | 4 | und ich wags für Sie zu bitten weil mein Oheim lannge schon schläfft auff Ihrem Leichenhügel neben Ihm wekt Enngelthon Einst die Todten bey Tirschttigel aus den Gräbern, und zuerst meine Mutter die du Lieber gannz gewis imm Himmel hörst denn Ihr Sinngeklang geht über alle Stimmen Süs und fein die du hier gehört magst haben – Ja, wär diese Stimme mein wolt ich alle reiche Knaben altt und jung und groß und klein bald bezaubern und bewegen Opfer zu dem Temmpelbau mir so willig darzulegen als offt Einer Schönen frau die ann mannchen GoldesErben Theuer sich verkaufft zur schau – Guter Göthe hilff mir werben solst auch leben bis dich grau Hunndert heiße Somer färben

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 88a+, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0088_00097.

Druck des Regests in: Ergbd. 1-5, 541.

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