BuG: BuG II, A 781
Tübingen - Stuttgart 11./14. 12. 1779

F. W. v. Hoven, Selbstbiographie (Merkel S. 61)

Stuttgart 11./14. 12. 1779

Der Besuch des Herzogs fiel in die Zeit, wo die öffentlichen Prüfungen eben geendigt waren, und er und Göthe denselben nicht mehr beiwohnen konnten. Jedoch kamen sie noch zur rechten Zeit zu der Rede, welche unser Herzog jedesmal nach dem Schlusse der Prüfungen in dem Speisesaal nach dem Abendessen zu halten pflegte. Die Rede war immer von dem Herzog selbst verfaßt, und sie war lange fertig, ehe er sie hielt. So war es auch der Fall mit der, welcher der Herzog von Weimar und Göthe beiwohnten. Allein da er hörte, daß er diese zu Zuhörern haben würde, begab er sich noch vor dem Abendessen der Zöglinge in ein Nebenzimmer, um einiges in seiner Rede abzuändern, was ihm wegen der Anwesenheit dieser Gäste nothwendig schien. Der Herzog von Weimar und Göthe waren mit der Rede, so wie überhaupt mit der ganzen Feierlichkeit, wohl zufrieden, und mit Vergnügen folgten sie der Einladung zu der akademischen Hauptfeierlichkeit, zur Feier des Stiftungstages der Akademie. Am Morgen dieses Tages wohnte Göthe, ob auch der Herzog von Weimar, weiß ich nicht mehr, der von den herzoglichen Oberhofprediger gehaltenen Predigt in der Akademiekirche bei, und es hieß, daß sie ihm wohl gefallen habe, ob sie gleich da und dort getadelt wurde. Am Mittag speiste er mit dem Herzog von Weimar an der herzoglichen Tafel, und am Abend fanden sich beide in dem Saale ein, wo die Austheilung der Preise an die Zöglinge vorgehen sollte. Vor der Austheilung der Preise wurde eine Rede von einem der Professoren gehalten, und die Reihe war dießmal an dem Professor der Medicin Cunsbruch. Was der Gegenstand der Rede war, weiß ich nicht mehr, aber um so deutlicher erinnere ich mich, wie bei einer darin vorgekommenen Stelle aus dem Werther Göthe sichtbar erröthete, und die Augen niederschlug. Während der Preisaustheilung stand er zur linken Seite des Herzogs, wie der Herzog von Weimar zu seiner rechten, und es war hoch erfreulich für uns zu sehen, wie sehr ihn der Herzog distinguierte. Hätte Göthe geahnt, daß unter den Zöglingen, die ihn mit Bewunderung ansahen, sich auch der befand, welcher in der Folge als dramatischer Dichter sein würdiger Rival, und als Mensch einer seiner vertrautesten Freunde werden würde, gewiß würde er, um ihn auszufinden, jeden von uns mit ... Interesse betrachtet haben.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0781 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0781.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 209 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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