Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 202
Von Friedrich Heinrich Jacobi

13. bis 14. Dezember 1785, Düsseldorf

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Laß dich herzen und küßen, Bruder, für dein Brüderliches Schreiben vom
ersten Dec., das ich heute Morgen erst erhalten habe. Es thut einem doch
nichts in der Welt so wohl, als wenn ein Freund zu einem tritt, und spricht:
Da bin ich! Was giebts? Den ganzen Tag bin ich so Arm in Arm mit
Dir herumgegangen, daß ich in dem frohen Muth darüber sonst nichts un-
ternehmen konnte.


   Von den Rabbinischen Vorlesungen also! Lieber, sie haben mir eine solche Lange-
weile verursacht, daß ich dieser Langenweile habe unterliegen und das Buch
aufgeben müßen. Es sollen recht viele Leute, aus allen Gegenden von Deutsch-
land, darüber eingeschlafen seyn. Die Hauptstücke deren Du erwähnst, auch
die Vorrede, habe ich angesehen, und gerade dazu gesagt, was auch Du dazu
sagst, nehmlich, daß der Jude ein Erzjude sey. Etwas mehr wirst Du
in der Beylage sub. Lit. A. finden, die einen Brief der Elise nebst meiner
Antwort darauf enthält. Pfiffig genug ist der neue Sokrates wohl aller-
dings zu Werk gegangen. Aber mir deucht, das ist jetzt nur desto schlimmer
für ihn. Da er sein 14​t., 15​t. u 17tes Hauptstück schrieb, war ihm (wie nun jedermann
erfährt) schon lange alles was in meiner Schrift enthalten ist, bekannt; und
er schrieb sie dennoch; stellte dennoch Leßingen als einen Apostel der Providenz,
als einen Märtyrer der reinen Gottesverehrung dar. Muß er nicht, aus die-
sem Gesichtspunkte, vor jedem Auge das sehen kann, in einer lächerlichen, selbst
in einer widrigen Gestalt erscheinen? – Sage mir hierüber Deine Herzens-­
Meynung, denn es ist mir äusserst wichtig, sie zu wißen; auch wie andre
urtheilen; wie die Sache gemeinhin auffällt; wie sie den Leuten entgegen
kommt?


   Claudius schrieb mir vor einigen Wochen, er hätte eine Anzeige meiner
Schrift gemacht für den Hamburger Correspondenten, die aber nicht erscheinen | 2 |
sollte, bis die neuen Hamburger ihr Wort gesagt hätten, ob vielleicht darauf
noch etwas zu erinnern vorfiele. Ich antwortete, er solle mit seiner Anzei-
ge nur gleich herausrücken, weil das wichtigste für mich wäre, daß mein
Werk bekannt und gelesen würde, ehe die Berliner es verschrieen hätten.
Darauf gab er seinen Aufsatz ab; erhielt ihn aber zurück nach ein Paar Ta-
gen, mit der Nachricht: "Es wäre eine Recension über Jacobis Briefe eingelau-
fen, die gegen den Verfaßer sehr heftig gewesen wäre; diese hätte man
nicht aufgenommen, und könne deswegen nun auch die seinige nicht aufneh-
men. Du findest diese Anzeige im Original sub. Lit. B., und wirst sehen, wie
wenig sie das Parallel verdiente. Vielleicht nähme sie Wieland auf – als ein
verunglücktes und bey ihm gestrandetes Gut. Oder auch schlechtweg. Aber
mir zu Gefallen soll er es nicht thun. Auch will ich es nicht, als nach Deinem
eigenen,ganz reinen Gutfinden.


   Haman meynt, meine Sache sey so gut, mein Handel so rein – mein Spiel
so groß und ehrlich, daß es durch niemand als mich selbst verdorben werden
könne. Er ermahnt mich deswegen beständig, auf das zärtlichste und nachdrück-
lichste, mich durch nichts aus der Faßung bringen zu laßen; keinem von den
Waffenträgern, sondern allein der eigenen Person des Rabbi mich zu stellen.
So, meynt er, würde meine Feder nicht blos furchtbar seyn, sondern als ein
tödtendes Schwerd sich beweisen auf jeden Streich.


   Sage mir doch, Lieber, ob Du denn nicht auch, was Mendelssohn über das Sy-
stem des Spinoza beybringt, im höchsten Grade abgeschmackt und elend findest?
Mir steht der Verstand platt stille, vor dem ganz erlogenen, durchaus Grundlo-
sen Gewäsche, und ich kann es mir nicht anders erklären, als daß M. es nicht
der Mühe werth gehalten, den Spinoza selbst zur Hand zu nehmen, da Leibnitz
und Wolf schon über ihn entschieden hatten. Laß mich dem was Mendelssohn daher
lügt, von 100. Stellen des Spinoza eine flüchtig nur entgegen setzen: "Porro
ex Extensione, ut eam Cartesius concipit, molem scilicet quiescentem, | 3 |
corporum existentiam demonstare non tantum difficile, ut ais; sed om--
nino impossibile est. Materia enim quiescens, quantum in se est, in sua
quiete perseverabit, nec ad motum concitabitur, nisi a causa potentiori
externa; & hac de causa non dubitavi olim affirmare; rerum natura-
lium principia Cartesiana inutilia esse, ne dicam absurda ". – Fer-
ner. Quod petis, an ex solo Extensionis Conceptu rerum varietas a
priori possit demonstrari, credo me jam satis claré ostendisse, id im-
possibile esse; ideoque materiam a Cartesio malé definiri per Extensio-
nem, sed eam necessario debere explicari per Attributum quod æter-
nam & infinitam essentiam exprimit ." (Opp. Posth. p 596. 598. – zu
vergleichen mit den Morgenstunden S. 221-­223.) – Aber das will dem – (Esel,
möcht' ich sagen) gar nicht aus dem Kopf, daß auch der Gott des Spinoza seine
Welt doch einmahl erschaffen haben müße. Ueberhaupt sieht man, daß er sich
in die hohen Begriffe, die von einem Ganzen ausgehn, überall nicht zu fin-
den weiß. Sie sind ihm zu mächtig, und zu kraus: "Er kann's in Kopf
nicht bringen."!


   Ich habe diesen Herbst den Kant wieder vorgenommen, und ihn, um mich
recht gelenk zu machen, im eigentlichen Verstande durchstudiert. Jetzt bin
ich daran, ihn von Grund aus zu illustrieren. Dies Thier wird so leicht
niemand beißen; aber es liegt denn doch da im Wege, und die Leute wißen
nicht, ob sie vorbey dürfen. Mir selbst ist es so gegangen. Nun will ich es
fürs erste mitnehmen gegen die Berliner, und an die andre Hand den Hem-
sterhuis. Ich denke, sie sollen unter meinem Commando treffliche Dienste
leisten, und mir die schlimmsten Angriffe vom Leibe halten. Beyde sind
Glaubens Helden, obgleich Kant nicht einmahl das Daseyn einer Materiellen
Welt glauben will, weil sie nur geglaubt kann werden. Er behauptet freylich sie könne auch nicht einmahl geglaubt werden, weil wir
nur Erscheinungen haben von – Nichts, das er Etwas nennt. – Ich gebe Dir hie-
mit den Schlüßel zu dem ganzen System, und seinen wahren Kern, den Kant selbst
noch nicht gekostet hat. Du bist der erste dem ich dies Geheimniß offenbare. Aber
laß mich mit meiner Illustration einmahl ganz zu Ende seyn. Wir sollen das Da-
seyn Gottes, und ein Leben nach dem Tode – nicht läugnen; aber schlechter- | 4 |
dings beydes philosophisch ignorieren. Die Ueberzeugung von beyden kann nur aus dem
Glauben kommen, der auf Gründen des innerlichen Rechts allein beruht. Zwey
Glaubens Artikul (er gebraucht dies Wort) und nichts mehr, kann die höchste Philo-
sophie am Ende denen, welche sich am eifrigsten um sie bemühten, reichen. Was
er hierüber sagt, ist in der That vortrefflich. Er lehrt es aber nur seine Leser,
sagt Hamann, nicht sich selbst; "weil wir ohne Unterschied von Autor, Leser
und Kunstrichter uns der Vernunft rühmen bey dem größten Mangel ihrer
Ausübung und Gerechtigkeit. Der Nachtwächter ruft: Ihr Herren laßt Euch sa-
gen – und ich gehorche. Gute Nacht!"


   


   Mein Büchlein hat Kannt, so wie es erschien, mit großer Begierde gelesen, und
soll mit dem Vortrage und dem ganzen Inhalt der Aufgabe sehr zufrieden ge-
wesen seyn. Aus dem Spinoza hat er nie einen Sinn ziehen können. Will es
auch noch nicht können. Vielleicht künftig mehr hierüber, im Vertrauen.


   Mendelssohn hat mir seine Rabbinischen Vorlesungen selbst geschickt, so wie ich
ihm auch meine Schrift geschickt habe. Glücklicher Weise kreutzten die Packete sich.
Mendelssohn soll in einem hohen Grade gegen mich aufgebracht und erbittert seyn;
die ganze Berlinische Clique mit ihm. Ich konnte mir dieses, nachdem ich die Mor-
genstunden gelesen hatte, leicht vorstellen. Daß sich der Geist der piæ fraudis,
der dieses Geschlecht regiert, in dem Grade blos geben würde, hatte ich nicht vermu-
thet. Gegenanstalten habe ich noch keine gemacht. Weiß auch nicht, wie ich sie
machen soll. Sage mir Deine Meynung. Daß Du Theil an der Sache, und an
meiner Lage dabey nimmst, freut mich tief in der Seele, und intereßiert
mich mehr, als alles was ich sonst persönlich dabey haben mag.


S:  GSA 51/II,2 St. 40 (Abschrift von J. H. Schenk)  D:  JacobiI 4, Nr. 1288  B : 1785 Dezember 1 (WA IV 7, Nr. 2201)  A : 1786 Januar (WA IV 7, Nr. 2256) 


1785 Dezember 13
Dank für G.s Brüderliches Schreiben. - Die Rabbinischen Vorlesungen (M. Mendelssohn, "Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes", 1786) habe er vor Langenweile nicht zu Ende gelesen. Seine Äußerungen dazu fänden sich in der Beilage mit einem Brief der Elise (Reimarus). Mendelssohn habe sein 14., 15. und 17. Hauptstück geschrieben, obwohl, wie nun jedermann erfahre, alles schon in J.s Schrift ("Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn", 1785) enthalten und ihm bekannt gewesen sei. Mendelssohn habe dennoch Lessing als einen Apostel der Providenz, als einen Märtyrer der reinen Gottesverehrung dargestellt. J. bittet hierzu um G.s Meinung. - Über Widerstände in Hamburg gegen die Veröffentlichung einer von M. Claudius verfaßten Anzeige und einer Rezension über J.s Schrift. Die Anzeige liege bei, vielleicht könne Wieland sie aufnehmen. - Hamann stimme J. zu und rate, sich in dem Streit nur Mendelssohn zu stellen. - Ob G. die Ausführungen Mendelssohns über das System des Spinoza nicht auch abgeschmackt und elend finde? Mendelssohn müsse es nicht der Mühe werth gehalten, den Spinoza selbst zur Hand zu nehmen, da Leibnitz und Wolf schon über ihn entschieden hatten, was J. an zwei Textvergleichen nachzuweisen sucht. Mendelssohns mangelndes Verständnis des Spinozismus äußere sich darin, daß er dem Gott des Spinoza einen Schöpfungsakt zuschreibe. - J. beschäftige sich seit Herbst wieder mit Kant und habe vor, ihn von Grund auf zu illustrieren. Diese Arbeit und F. Hemsterhuis (? Übersetzung) sollten gegen die Berliner/treffliche Dienste leisten. Beide seien Glaubens Helden, obgleich Kant nicht einmahl das Daseyn einer Materiellen Welt glauben wolle. Kant lehre, wie Hamann geäußert habe, nur seine Leser, [...] nicht sich selbst.
1785 Dezember 14
Kant habe J.s Schrift ("Über die Lehre des Spinoza") gelesen und sei mit dem Vortrage und dem ganzen Inhalt der Aufgabe sehr zufrieden gewesen. Mendelssohn habe J. die Rabbinischen Vorlesungen übersandt, wie auch J. ihm seinen "Spinoza" geschickt habe. Mendelssohn und seine Berliner Anhänger seien sehr gegen J. aufgebracht./ Daß sich der Geist der piae fraudis, der dieses Geschlecht regiert, in dem Grade blos geben würde, hatte ich nicht vermutet. J. habe noch keine Gegenmaßnahmen getroffen und bitte dazu um G.s Meinung.

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 Laß dich herzen und küßen, Bruder, für dein Brüderliches Schreiben vom ersten Dec., das ich heute Morgen erst erhalten habe. Es thut einem doch nichts in der Welt so wohl, als wenn ein Freund zu einem tritt, und spricht: Da bin ich! Was giebts? Den ganzen Tag bin ich so Arm in Arm mit Dir herumgegangen, daß ich in dem frohen Muth darüber sonst nichts unternehmen konnte.

  Von den Rabbinischen Vorlesungen also! Lieber, sie haben mir eine solche Langeweile verursacht, daß ich dieser Langenweile habe unterliegen und das Buch aufgeben müßen. Es sollen recht viele Leute, aus allen Gegenden von Deutschland, darüber eingeschlafen seyn. Die Hauptstücke deren Du erwähnst, auch die Vorrede, habe ich angesehen, und gerade dazu gesagt, was auch Du dazu sagst, nehmlich, daß der Jude ein Erzjude sey. Etwas mehr wirst Du in der Beylage sub. Lit. A. finden, die einen Brief der Elise nebst meiner Antwort darauf enthält. Pfiffig genug ist der neue Sokrates wohl allerdings zu Werk gegangen. Aber mir deucht, das ist jetzt nur desto schlimmer für ihn. Da er sein 14​t., 15​t. u 17tes Hauptstück schrieb, war ihm (wie nun jedermann erfährt) schon lange alles was in meiner Schrift enthalten ist, bekannt; und er schrieb sie dennoch; stellte dennoch Leßingen als einen Apostel der Providenz, als einen Märtyrer der reinen Gottesverehrung dar. Muß er nicht, aus diesem Gesichtspunkte, vor jedem Auge das sehen kann, in einer lächerlichen, selbst in einer widrigen Gestalt erscheinen? – Sage mir hierüber Deine Herzens-­ Meynung, denn es ist mir äusserst wichtig, sie zu wißen; auch wie andre urtheilen; wie die Sache gemeinhin auffällt; wie sie den Leuten entgegen kommt?

  Claudius schrieb mir vor einigen Wochen, er hätte eine Anzeige meiner Schrift gemacht für den Hamburger Correspondenten, die aber nicht erscheinen| 2 | sollte, bis die neuen Hamburger ihr Wort gesagt hätten, ob vielleicht darauf noch etwas zu erinnern vorfiele. Ich antwortete, er solle mit seiner Anzeige nur gleich herausrücken, weil das wichtigste für mich wäre, daß mein Werk bekannt und gelesen würde, ehe die Berliner es verschrieen hätten. Darauf gab er seinen Aufsatz ab; erhielt ihn aber zurück nach ein Paar Tagen, mit der Nachricht: "Es wäre eine Recension über Jacobis Briefe eingelaufen, die gegen den Verfaßer sehr heftig gewesen wäre; diese hätte man nicht aufgenommen, und könne deswegen nun auch die seinige nicht aufnehmen. Du findest diese Anzeige im Original sub. Lit. B., und wirst sehen, wie wenig sie das Parallel verdiente. Vielleicht nähme sie Wieland auf – als ein verunglücktes und bey ihm gestrandetes Gut. Oder auch schlechtweg. Aber mir zu Gefallen soll er es nicht thun. Auch will ich es nicht, als nach Deinem eigenen,ganz reinen Gutfinden.

  Haman meynt, meine Sache sey so gut, mein Handel so rein – mein Spiel so groß und ehrlich, daß es durch niemand als mich selbst verdorben werden könne. Er ermahnt mich deswegen beständig, auf das zärtlichste und nachdrücklichste, mich durch nichts aus der Faßung bringen zu laßen; keinem von den Waffenträgern, sondern allein der eigenen Person des Rabbi mich zu stellen. So, meynt er, würde meine Feder nicht blos furchtbar seyn, sondern als ein tödtendes Schwerd sich beweisen auf jeden Streich.

  Sage mir doch, Lieber, ob Du denn nicht auch, was Mendelssohn über das System des Spinoza beybringt, im höchsten Grade abgeschmackt und elend findest? Mir steht der Verstand platt stille, vor dem ganz erlogenen, durchaus Grundlosen Gewäsche, und ich kann es mir nicht anders erklären, als daß M. es nicht der Mühe werth gehalten, den Spinoza selbst zur Hand zu nehmen, da Leibnitz und Wolf schon über ihn entschieden hatten. Laß mich dem was Mendelssohn daher lügt, von 100. Stellen des Spinoza eine flüchtig nur entgegen setzen: "Porro ex Extensione, ut eam Cartesius concipit, molem scilicet quiescentem, | 3 | corporum existentiam demonstare non tantum difficile, ut ais; sed om--  nino impossibile est. Materia enim quiescens, quantum in se est, in sua quiete perseverabit, nec ad motum concitabitur, nisi a causa potentiori externa; & hac de causa non dubitavi olim affirmare; rerum natura- lium principia Cartesiana inutilia esse, ne dicam absurda ". – Ferner. Quod petis, an ex solo Extensionis Conceptu rerum varietas a priori possit demonstrari, credo me jam satis claré ostendisse, id im- possibile esse; ideoque materiam a Cartesio malé definiri per Extensio- nem, sed eam necessario debere explicari per Attributum quod æter-  nam & infinitam essentiam exprimit ." (Opp. Posth. p 596. 598. – zu vergleichen mit den Morgenstunden S. 221-­223.) – Aber das will dem – (Esel, möcht' ich sagen) gar nicht aus dem Kopf, daß auch der Gott des Spinoza seine Welt doch einmahl erschaffen haben müße. Ueberhaupt sieht man, daß er sich in die hohen Begriffe, die von einem Ganzen ausgehn, überall nicht zu finden weiß. Sie sind ihm zu mächtig, und zu kraus: "Er kann's in Kopf nicht bringen."!

  Ich habe diesen Herbst den Kant wieder vorgenommen, und ihn, um mich recht gelenk zu machen, im eigentlichen Verstande durchstudiert. Jetzt bin ich daran, ihn von Grund aus zu illustrieren. Dies Thier wird so leicht niemand beißen; aber es liegt denn doch da im Wege, und die Leute wißen nicht, ob sie vorbey dürfen. Mir selbst ist es so gegangen. Nun will ich es fürs erste mitnehmen gegen die Berliner, und an die andre Hand den Hemsterhuis. Ich denke, sie sollen unter meinem Commando treffliche Dienste leisten, und mir die schlimmsten Angriffe vom Leibe halten. Beyde sind Glaubens Helden, obgleich Kant nicht einmahl das Daseyn einer Materiellen Welt glauben will, weil sie nur geglaubt kann werden. Er behauptet freylich sie könne auch nicht einmahl geglaubt werden, weil wir nur Erscheinungen haben von – Nichts, das er Etwas nennt. – Ich gebe Dir hiemit den Schlüßel zu dem ganzen System, und seinen wahren Kern, den Kant selbst noch nicht gekostet hat. Du bist der erste dem ich dies Geheimniß offenbare. Aber laß mich mit meiner Illustration einmahl ganz zu Ende seyn. Wir sollen das Daseyn Gottes, und ein Leben nach dem Tode – nicht läugnen; aber schlechter| 4 |dings beydes philosophisch ignorieren. Die Ueberzeugung von beyden kann nur aus dem Glauben kommen, der auf Gründen des innerlichen Rechts allein beruht. Zwey Glaubens Artikul (er gebraucht dies Wort) und nichts mehr, kann die höchste Philosophie am Ende denen, welche sich am eifrigsten um sie bemühten, reichen. Was er hierüber sagt, ist in der That vortrefflich. Er lehrt es aber nur seine Leser, sagt Hamann, nicht sich selbst; "weil wir ohne Unterschied von Autor, Leser und Kunstrichter uns der Vernunft rühmen bey dem größten Mangel ihrer Ausübung und Gerechtigkeit. Der Nachtwächter ruft: Ihr Herren laßt Euch sagen – und ich gehorche. Gute Nacht!"

  

  Mein Büchlein hat Kannt, so wie es erschien, mit großer Begierde gelesen, und soll mit dem Vortrage und dem ganzen Inhalt der Aufgabe sehr zufrieden gewesen seyn. Aus dem Spinoza hat er nie einen Sinn ziehen können. Will es auch noch nicht können. Vielleicht künftig mehr hierüber, im Vertrauen.

  Mendelssohn hat mir seine Rabbinischen Vorlesungen selbst geschickt, so wie ich ihm auch meine Schrift geschickt habe. Glücklicher Weise kreutzten die Packete sich. Mendelssohn soll in einem hohen Grade gegen mich aufgebracht und erbittert seyn; die ganze Berlinische Clique mit ihm. Ich konnte mir dieses, nachdem ich die Morgenstunden gelesen hatte, leicht vorstellen. Daß sich der Geist der piæ fraudis, der dieses Geschlecht regiert, in dem Grade blos geben würde, hatte ich nicht vermuthet. Gegenanstalten habe ich noch keine gemacht. Weiß auch nicht, wie ich sie machen soll. Sage mir Deine Meynung. Daß Du Theil an der Sache, und an meiner Lage dabey nimmst, freut mich tief in der Seele, und intereßiert mich mehr, als alles was ich sonst persönlich dabey haben mag.

 

 
 

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