BuG: BuG I, A 296
Frankfurt 24. 6. 1774

Lavater, Tagebuch 24. 6. 1774 (SchrGG 16, 281)

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Frankfurt 24. 6. 1774

Im ganzen glaub ich daß der Tag ziemlich geseegnet gewesen sey. wie, kann ich mich ungeachtets erst gestern ist, kaum mehr besinnen ... am allerwenigsten weiß ich mich zu entsinnen was Goethe mit mir sprach ... Ich packt aus; zeigt Zeichnungen Goethe ... nahm bey Bettmann ... 30 Carl. ... Vorher zu Frl. von Klettenberg eine 50jährige adeliche Dame ... Sie fing gleich an „sie hätte sich Bedenken gemacht mir zu schreiben, wenn sie daran gedacht hätte daß sie an einen Schüler von Spalding“, also das Capitel von Spalding u. Gefühlen – ganz brav weg – „Spalding habe recht vis à vis der Pietisten, die er vor dem Aug habe, Sie kenne sie – – das falsche seines Buchs wiederlege er selbst in den zwo lezten Seiten.

viel von Goethe. –

Noch viel sprachen wir daß ich vergaß – vor u. bey dem Mittageßen viel von Herder. Goethe las – u. gelesen, gelesen – man hätte sich verschworen – Er sprach eben dieß das erste mal im Feüer mit mir.

Nach dem Eßen [in] seiner Bilderkamer. Da ein guter redlicher Glettwein, der ihm aufraumen will, u. mir wünschte, daß ich mich aus meinen Wirblen herauswinden, u. ruhiger leben könnte – Prächtige Mahlereyen seines Vaters. –

Den Abend wo alles weiß ich nicht mehr. – Bey Kraft – ein ehrlicher Theolog von Christus – Joh. XVII. den neüern. Goethe mit da – sprach wenig – stimmte bisweilen in wichtigen Dingen herzlich mit ein.

Eine Weile bey Klettenberg: allein – u. mit Goethe. Ein herrlicher Abend. von Gebetherhörungen. Friede im Krieg wenn ihr stille werdet so wird Euch geholfen, sagte Goethe, in einem recht brüderlichen Ton. Vom Predigen – Man kann nicht immer empfinden. Ich fordre sagten beyde zuviel. Nachher spazierten wir – vom Christenthum „die einzig mögliche, wahre, menschliche Religion!“

Nach Hause zu Tisch – u. bey Tisch meist Zeichnungen besehen. Goethe las mir noch nach dem Nachteßen aus Werthers Leiden, eine Sentimental Geschichte in Briefen vor. – O Scenen – voll, voll wahrer, wahrester Menschen Natur – ein unbeschreiblich naives wahres Ding ...

Frau Rath Goethe – dankte mir für Jonas Predigten, besonders für die Schiffgefehrten Jonas. Goethe ist auch mit diesen gut, mit der von der üblen Laune am beßten zufrieden – Überhaupt seh ich, daß diese mein gemeinnützigstes – Werck sind –

von Haman – alles, was man sich originelles denken kann, von unbetrieglich festem Wahrheitgefühl. Einmal sagt Er zu Merken – „daß doch Herder nicht deutlich nicht simpel schreiben kann. wenn er doch so ganz ungekünstelt schrieb; er wär ein trefflicher Mann – wenn er doch nur so plan so heiter schriebe wie ich“ – und Haman – schreibt zehnmal dunkler als Herder. Guter Gott wie sich deine Menschen nicht kennen.

Lavater an J. G. Zimmermann 16. 3. 1775 (Im neuen Reich 1878, 2 S. 605)

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Goethe behauptet, Haman sey der Autor, von dem er am meisten gelernt. Ich sage von Herder (von dem Haman sagt „alles recht, wenn der gute Mann nur auch so simpel schriebe wie Er!!“). Wenn Herder in seiner Urkunde nichts geschrieben hätte, als was ich auszog, verdiente er keine so bübische Abfertigung [wie durch Wieland im Merkur]. Ein solch Werk, mit einer so passionvollen verächtlichen Anzeige verächtlich machen wollen, heiß ich Pyramiden wegferzen wollen. „Das sind mir Hunde“ hör ich Goethe stampfend rufen. Und diesmal wolt ich ihm den Mund mit der Hand nicht zuhalten!

J. G. Zimmermann an Charlotte v. Stein 19. 1. 1775 (Mitteilungen Berlin 1897, 10)

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Mon ami Lavater m’a écrit le 23. Juin [sic] 1774 de Francfort; Göthe macht ein Ding, oder hats gemacht, Werthers Leiden! Wenn du etwas wahres in deinem Leben gelesen hast – so lies nichts mehr auf mein Wort. Le 27. Aout 1774 de Zurich: Werthers Leiden werden dich entzücken und in Thränen schmelzen. Du würdest den Doctor Göthe vergöttern. Er ist der furchtbarste und der liebenswürdigste Mensch.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0296 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0296.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 257 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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