BuG: BuG I, A 783
Leipzig - Dessau - Wörlitz - Barby 3. 12. 1776

Tagebuch 3. 12. 1776 (WA III 1, 28)

Leipzig, Wörlitz 3. 12. 1776

Gegen 9 in Leipzig, zu Oesern um 10 fort. Hinter Holzweisig vom Fürsten [Leopold Friedrich Franz von Dessau] und Kaufman eingeholt. gegen 7 in Wörliz.

Leopold Friedrich Franz, Fürst von Anhalt-Dessau (Reil S. 282)

B2 164

Dessau, Wörlitz 3. 12. (?) 1776

[Zu Probst S. Reil] Göthe ... paßte nicht für mich, Er paßte besser zum Großherzog. Wir harmonirten nicht recht in Gesinnung und Gefühl. Als Dichter kam er mir nie, als Staatsmann nur auf Augenblicke nahe. Als Kunstkenner und Freund des Alterthums stand er mir schon näher, in manchen Stücken war er sogar weiter gekommen; denn er hatte tiefere Studien gemacht. In den Grundsätzen und Ansichten von der schönen Baukunst und ihren Werken waren wir nicht immer einig. Die Schauspielkunst, die ihn damals, als er mich zuweilen mit dem Großherzog, zuweilen allein besuchte, ganz besonders interessirte, ließ ich noch links liegen. Ich hatte mehr und Anderes zu thun. Nur, was die gothische Baukunst und die schöne Gartenkunst anlangt, da mußte er mir den Preis zugestehen und vor mir die Segel streichen. Er hatte ja England nicht gesehen. Sonst war er mir, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, zu vornehm, zu höfisch-gemessen, manchmal unangenehm schweigsam. Auch spürte ich im Allgemeinen etwas von Inhumanität an ihm. Wir sind so auseinander gekommen. Kennen Sie den Vorfall mit Kretschmar?“

„Nein, Ew. Durchlaucht“.

„Nun, den muß ich Ihnen doch mittheilen. Sie haben doch Kretschmar gekannt?“

„Ja wohl, Ew. Durchlaucht!“

„Ich hatte befohlen, einen Jagdwagen bereit zu halten, der Göthen, welcher zu einer genau bestimmten Stunde in Deßau ankommen würde, sofort nach Wörlitz bringen solle. Auch sollte Kretschmar benachrichtigt werden, sich bei Zeiten auf dem Schlosse einzufinden, um mitzufahren. Beide kannten sich noch nicht, und der Hofmarschall hatte versäumt, sie einander vorzustellen. Eine Zeit lang saßen sie, Göthe gerade und feierlich wie ein Licht, Kretschmar leicht und beweglich, wie ein junger Rehbock, neben einander. Endlich drehet Göthe ein wenig den Kopf nach Kretschmarn und frägt über die Schulter: „Wer ist Er?“ Schnell und barsch, Göthen den Rücken zukehrend, erwidert Kretschmar: „und wer ist Er?“ ... So kamen sie an. Ich stand neben Louisen am Eisenhart, wo ich die kleinen Anhöhen auffahren ließ. „Gieb Acht, Louise, die Beiden haben sich unterwegs gezankt.“ Göthe stieg links aus und kam in steifer Haltung auf uns zu; Kretschmar rechts, uns nur grüßend, nach der Stadt eilend. Ich schickte ihm einen Diener nach, der ihn auf das Schloß bestellen und zur Tafel laden mußte. Da ließ er mir sagen: er äße nicht mit dem Menschen, habe auch in Deßau schwere Kranke, die er noch besuchen müsse. Nachher erzählte er mir den Vorfall. Er war sehr entrüstet und wollte schlechterdings nichts von Göthen wissen. Ich brachte sie aber doch endlich zusammen.“

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0783 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0783.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 467 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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