BuG: BuG I, A 497
Weimar 1. 12. 1775

Wieland an Lavater 1. 12. 1775 (Archiv 4, 311)

B2 130

Weimar 1. 12. 1775

In der Noth nimmt man zu den besten Menschen Zuflucht. Göthe sagt mir, Sie könnten und würden mir helfen; und mein Herz sagt mir, Sie werden’s thun, wenn Sie können.

Die ganze Sache ist diese.

Aus beyliegender Note werden Sie sehen, wozu ich mich gegen das Publicum anheischig gemacht habe. Kraus (der die beygehende Zeichnung des herrlichen Kopfs von Sebastian Brand gemacht hat) gab mir grosse Hoffnung, einer von seinen Freunden, der ein guter Kupferstecher ist, würde den Auftrag, „diesen Kopf und alle folgende, die künftig von Monat zu Monat im Merkur erscheinen sollen, zu stechen“, willig annehmen. Allein heute erhalten wir eine abschlägige Antwort unter dem Vorwand, er könne nicht ...

Göthe versichert mich, Ihr Lips wäre der Mann, durch den Sie mir helfen könnten, und er glaubt, die Sache liesse sich thun, wiewohl Hr. Lips viel für die Physiogn. Fragmente zu arbeiten habe. Ich bitte Sie also, Theuerster, bewegen Sie diesen Künstler dazu, dass er den beygehenden Kopf baldmöglichst in Arbeit nehme. Die Proben von seinem Talent, die mir Göthe gezeigt hat, geben eine gute Hofnung, dass er auch dem feinen Lucianischen Geist, der in diesem Kopf webt, seine Gebühr anthun werde. Unter Ihren Augen wirds gewiss ein herrlicher Kopf ...

Gerne möchte ich Ihnen noch vieles sagen – Seit vier Wochen haben wir Göthe und seit vier Tagen die Grafen Stollberg, die Sie mir in Ihrem letzten lieben Brief ankündigten. Ich fühle mich seit dieser Zeit neubelebt. Wir sind alle Tage beisammen, lieben uns alle Tage inniger, durchschauen uns und sind glücklich.

Göthe grüsst Sie, das thun auch die Brüder Stollberg, die herrlichen Seelen! Diesen Augenblick gehen sie von mir weg und sagen mir, ich soll nicht vergessen, Ihnen zu schreiben, Ihre Prophezeyhung sey völlig eingetroffen. Alle Drey lieben ihren Lavater, – der gewiss bald auch der Meinige ist! – unaussprechlich, jeder nach seiner Weise.

Wenn ich Ihnen wieder schreibe und mehr Musse habe als izt, will ich Ihnen melden, wie mirs mit dem jungen Prof. Meister gegangen ist. Er hat einen freundschaftlichen Brief von mir erschlichen. Es wird ihm aber nicht wohl bekommen. Ich habe etliche noch ziemlich unschuldige Auszüge aus seinem Geschwätz über die Schwärmerey in den Nov. des Merkurs gesetzt, mit einer Zugabe, worin Gegengift für sein Gift ist. Ich merkte zwar schon etwas beym Durchlesen der drey ersten Bogen, die er mir schickte. Aber Göthe gab mir erst hinterdrein den rechten Aufschluss. Soviel nur préalablement.

Nach allem was mir Göthe und die Stollberge von Ihnen gesagt haben, wag’ ich’s kaum zu wünschen, dass ich etliche Tage mit Ihnen leben möchte. Denn ich fühl’ es im Grunde meiner Seele, mein Herz würde zerreissen, wenn ich wieder von Ihnen scheiden müsste.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0497 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0497.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 389 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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