Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 199
Von Friedrich Heinrich Jacobi

9. Oktober 1785, Pempelfort

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Deine Antwort auf meine Briefe vom 17ten u 18ten Sept.
die ich schon am Mitwoch vor 8 Tagen erwartet hatte, u die,
nach dem datum, gestern vor 8 Tagen hätte eintreffen sollen,
ist erst gestern Morgen angekommen. Der Umschlag war auf
der einen Seite sehr besudelt, wie es Papieren zu geschehen
pflegt, die eine zeitlang unter andern versteckt bleiben.
Ich bin froh daß der Brief nicht ganz verlohren gieng.


   Wie du sagst daß ich es mit dem Prometeus hätte ma-
chen sollen, hätte ich es gerade gemacht, u das Gedicht an seinem
Orte unter den Text, ohne weiteres ganz unschuldig hingesetzt,
wenn mir weniger stark u anhaltend wäre eingeredet worden.
So kam denn am Ende auch noch gar die Note hinzu, der zu Liebe
ein halber Bogen für die ganze Auflage umgedruckt wurde,
wie einliegendes Fragment bezeuget. – Sey es denn nun wie es
ist. Alles fügt sich ja am Ende, u macht sich paßend, daß man es
in einer Theodicee gebrauchen kann; so wird es ja auch dies mahl
nicht mißglücken.


   Von der Fürstinn erhielt ich am 23ten Sept. einen ziem-
lich alten noch aus Hofgeismar geschriebenen Brief; wußte | 2 |
daß sie nun bey Euch war; u war von dem Augenblick an selbst
bey Euch allen mitganzerSeele; mehr außer meinem Leibe
als in ihm.


   Wie alles während die Fürstinn krank war stocken mußte,
kann ich mir vorstellen, u es freut mich, daß es sich nachher noch so schön
gegeben hat. Daß du mir aber von der Sache nun weiter nichts berich-
test; mir so gar nichts mittheilst, wo ich an Mittheilung doch so nahe
Ansprüche hatte: das ist nicht Human. Ich berufe mich auf Her-
dern der es verstehen muß. Auch das war schon nicht sehr Human,
daß du in deinem vorigen Briefe, über meine dir zugeschickte
Schrift mir weiter nichts sagtest, als: "die Historische Form klei-
det das Werkchen gut". Es klingt so vornehm, u läßt so gleich-
gültig. Dergleichen überhaupt thut dem nicht wohl, der volle
Freundschaft im Herzen hat, u sie gern warm erhält. Alles lebt
vom Genuß; u der Genuß wovon ein jedes Ding lebt, darnach
strebt es; seine Natur wird daran erkannt – U. S. W.. – Ich
schreibe dir dieses nicht aus übler Laune, sondern unmittelbar
dawider, damit ich mein Herz aufrichtig gegen dich erhalte,
u meine Liebe unverfälscht bleibe.


   Daß sich der arme Wieland prostituirt und schlecht em-
pfohlen hat, ist mir leid, u um so mehr, da die Prinzeßinn | 3 |
u auch Fürstenberg ohne dem schon genug gegen ihn einge-
nommen waren. Ich habe mit letzter Post ihm mein Buch ge-
schickt u ihn gebeten, wenn er an mich schriebe, mir von der
Prinzeßinn u ihrer Begleitung zu erzählen: was für Ein-
drücke die Caravane dort gemacht u zurück gelaßen habe? –
Das hat sich gerade gut getroffen, da ich sonst mit Wieland in
gar keinem Briefwechsel stehe. Ich meldete ihm auch, daß ich
schon einige Posttage vergeblich auf Briefe von dir gewartet hätte.
Wenn er nur nicht glaubt, ich hätte ihm das nur weis machen wol-
len, u desto gewißer voraus setzt, ich wäre von seiner Begebenheit
schon unterrichtet gewesen.


   Die Nachricht wegen Afrika werde ich Hompeschen mit-
theilen, u ihn mit deinem Gruß erfreuen. Er war 4 Tage hier,
u ritt am Mitwoch morgen erst um 11 Uhr von hier weg, weil
ich mich fest darauf verlaßen hatte, die Post würde dies mahl
Briefe von dir bringen. Sein Alter habe ich neulich unrecht
angegeben; er ist im 26ten Jahr.


   Als ich in meinem Briefe an dich vom 21t Sept. das Wort
Mineralogie schrieb, fiel mir auf einmahl wieder ein, daß du
eine Kiste Wildberger Mineralien erhalten solltest, die du
vermuthlich nicht erhalten hast, weil in keinem deiner Brie-
fe Spur davon ist. Ich habe gleich des wegen an Neßelro- | 4 |
den, der die Befehle darüber ertheilt hatte u gegenwärtig zu
Aschaffenburg ist, geschrieben.


   An den Untiefen deiner Gewäßer nehm' ich herz-
lichen Antheil. Aber wer kann immer flott seyn? Nicht ein-
mahl die Theologen können es. Frage Herdern. – Und
dann grüß ihn auch recht brüderlich von mir. Ich bin sehr versucht
gewesen an die Herderinn zu schreiben, u sie um einige Nach-
richt v den Dingen die in diesen Tagen zu Weimar geschehen
sind zu bitten. Was ich am liebsten wißen mögte, kann die
Fürstinn mir nicht schreiben. Unterdeßen verlangt mich sehr
nach ihren ersten Briefe.


   Lebe wohl du Lieber, ich umarme dich brüderlich;
bin u bleibe
   Dein alter ehrlicher
Fritze.


S: GSA 51/II,2 St. 37 (Konzept: Abschrift von J.)  D: JacobiI 4, Nr. 1244  B: 1785 September 11 (WA IV 7, Nr. 2161); 1785 September 26 (WA IV 7, Nr. 2167)  A: 1785 Oktober 21 (WA IV 7, Nr. 2178) 

J. bestätigt den etwas verspäteten Eingang von G.s Brief, der seine Briefe vom 17. und 18. September 1785 beantwortet habe. - Den "Prometheus" habe J. (in seiner Schrift "Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn", 1785) in der Weise veröffentlichen wollen, wie G. es jetzt geäußert habe. Auch habe er vorgehabt, das Gedicht ("Edel sei der Mensch") ohne weiteres ganz unschuldig (d. h. anonym) unter den Text zu setzen, doch sei ihm stark und anhaltend [...] eingeredet worden. So sei letztlich auch die Note (das Gedicht "Prometheus" betreffend, ebd. S. 11) hinzugekommen, weshalb ein halber Bogen der Auflage habe umgedruckt werden müssen, wie einliegendes Fragment bezeuget. Doch alles füge sich ja am Ende, daß man es in einer Theodicee gebrauchen könne. - Von der Fürstin Gallitzin habe er Nachricht vom 23. September, doch über ihren Weimarer Aufenthalt wünsche er mehr Mitteilungen. Bedauern, daß Wieland sich bei der Fürstin schlecht empfohlen hat. J. habe ihm geschrieben und ebenfalls um Nachrichten aus Weimar gebeten. - G.s Äußerung über J.s "Spinoza" sei so vornehm gewesen und lasse so gleichgültig. - Die Nachricht wegen der Afrikaexpedition werde er J. W. von Hompesch mitteilen. - Um die Kiste Wildberger Mineralien, die G. vermutlich noch nicht erhalten habe, habe J. nochmals geschrieben. - Grüße an Herder.

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 Deine Antwort auf meine Briefe vom 17ten u 18ten Sept. die ich schon am Mitwoch vor 8 Tagen erwartet hatte, u die, nach dem datum, gestern vor 8 Tagen hätte eintreffen sollen, ist erst gestern Morgen angekommen. Der Umschlag war auf der einen Seite sehr besudelt, wie es Papieren zu geschehen pflegt, die eine zeitlang unter andern versteckt bleiben. Ich bin froh daß der Brief nicht ganz verlohren gieng.

  Wie du sagst daß ich es mit dem Prometeus hätte machen sollen, hätte ich es gerade gemacht, u das Gedicht an seinem Orte unter den Text, ohne weiteres ganz unschuldig hingesetzt, wenn mir weniger stark u anhaltend wäre eingeredet worden. So kam denn am Ende auch noch gar die Note hinzu, der zu Liebe ein halber Bogen für die ganze Auflage umgedruckt wurde, wie einliegendes Fragment bezeuget. – Sey es denn nun wie es ist. Alles fügt sich ja am Ende, u macht sich paßend, daß man es in einer Theodicee gebrauchen kann; so wird es ja auch dies mahl nicht mißglücken.

  Von der Fürstinn erhielt ich am 23ten Sept. einen ziemlich alten noch aus Hofgeismar geschriebenen Brief; wußte| 2 | daß sie nun bey Euch war; u war von dem Augenblick an selbst bey Euch allen mitganzerSeele; mehr außer meinem Leibe als in ihm.

  Wie alles während die Fürstinn krank war stocken mußte, kann ich mir vorstellen, u es freut mich, daß es sich nachher noch so schön gegeben hat. Daß du mir aber von der Sache nun weiter nichts berichtest; mir so gar nichts mittheilst, wo ich an Mittheilung doch so nahe Ansprüche hatte: das ist nicht Human. Ich berufe mich auf Herdern der es verstehen muß. Auch das war schon nicht sehr Human, daß du in deinem vorigen Briefe, über meine dir zugeschickte Schrift mir weiter nichts sagtest, als: "die Historische Form kleidet das Werkchen gut". Es klingt so vornehm, u läßt so gleichgültig. Dergleichen überhaupt thut dem nicht wohl, der volle Freundschaft im Herzen hat, u sie gern warm erhält. Alles lebt vom Genuß; u der Genuß wovon ein jedes Ding lebt, darnach strebt es; seine Natur wird daran erkannt – U. S. W.. – Ich schreibe dir dieses nicht aus übler Laune, sondern unmittelbar dawider, damit ich mein Herz aufrichtig gegen dich erhalte, u meine Liebe unverfälscht bleibe.

  Daß sich der arme Wieland prostituirt und schlecht empfohlen hat, ist mir leid, u um so mehr, da die Prinzeßinn| 3 | u auch Fürstenberg ohne dem schon genug gegen ihn eingenommen waren. Ich habe mit letzter Post ihm mein Buch geschickt u ihn gebeten, wenn er an mich schriebe, mir von der Prinzeßinn u ihrer Begleitung zu erzählen: was für Eindrücke die Caravane dort gemacht u zurück gelaßen habe? – Das hat sich gerade gut getroffen, da ich sonst mit Wieland in gar keinem Briefwechsel stehe. Ich meldete ihm auch, daß ich schon einige Posttage vergeblich auf Briefe von dir gewartet hätte. Wenn er nur nicht glaubt, ich hätte ihm das nur weis machen wollen, u desto gewißer voraus setzt, ich wäre von seiner Begebenheit schon unterrichtet gewesen.

  Die Nachricht wegen Afrika werde ich Hompeschen mittheilen, u ihn mit deinem Gruß erfreuen. Er war 4 Tage hier, u ritt am Mitwoch morgen erst um 11 Uhr von hier weg, weil ich mich fest darauf verlaßen hatte, die Post würde dies mahl Briefe von dir bringen. Sein Alter habe ich neulich unrecht angegeben; er ist im 26ten Jahr.

  Als ich in meinem Briefe an dich vom 21t Sept. das Wort Mineralogie schrieb, fiel mir auf einmahl wieder ein, daß du eine Kiste Wildberger Mineralien erhalten solltest, die du vermuthlich nicht erhalten hast, weil in keinem deiner Briefe Spur davon ist. Ich habe gleich des wegen an Neßelro| 4 |den, der die Befehle darüber ertheilt hatte u gegenwärtig zu Aschaffenburg ist, geschrieben.

  An den Untiefen deiner Gewäßer nehm' ich herzlichen Antheil. Aber wer kann immer flott seyn? Nicht einmahl die Theologen können es. Frage Herdern. – Und dann grüß ihn auch recht brüderlich von mir. Ich bin sehr versucht gewesen an die Herderinn zu schreiben, u sie um einige Nachricht v den Dingen die in diesen Tagen zu Weimar geschehen sind zu bitten. Was ich am liebsten wißen mögte, kann die Fürstinn mir nicht schreiben. Unterdeßen verlangt mich sehr nach ihren ersten Briefe.

 Lebe wohl du Lieber, ich umarme dich brüderlich; bin u bleibe  Dein alter ehrlicher Fritze.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 199, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0199_00228.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 199.

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