Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 193
Von Friedrich Heinrich Jacobi

10. Oktober 1784, Düsseldorf

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   Lieber Geothe.


Ich habe Dich also wieder gesehen, u. viel mehr als
das! Als ich weg ging, war es mir nicht als ob ich Dich ver-
ließe; ich war innig glücklicher, froher heiterer als da ich
kam. Du weißt wie ich Eindrücke annehme u. sie in mir
haften. Auch die leiseste Berührung die ich kaum im Au-
genblick selbst gewahr wurde, entwickelt sich im Stillen
u. wächst zu vollem Leben auf. So bin ich jetzt noch im
selichsten Genuße Deiner u. weiß von nichts das mir
vergangen wäre. Erhalte mich so; Du kannst es – Du
weist es!


   Unsre glücklich Ankunft zu Frankfurt hat
Lottchen schon von dort aus der Herderinn berichtet.
Mein Bruder kam eine viertel Stunde nach mir ans
Eschenheimer Thor. Die Verwunderung des Thorschreibers,
daß einem Jacobi ein anderer so auf dem Fuße nach-
folgte, u. auch ins rothe Haus wollte, gab zu einer
gegenseitigen Verwunderung u. zu erläuternden Ex-
clamationen Anlaß. Mein Bruder war von Düßd:
schon weg gewesen da mein Brief, worinn ich ihn zu | 2 |
mir nach Frankf: bestellte einlief. Er kam also
ohne alle Erwartung, Lottchen u. mich zu finden.
Ich hatte eben einen Brief von Lehnchen in der Hand;
worin sie mir meldete, daß mein Wunsch zu spät ge-
kommen wäre. Ich hoffte auf den Zufal; hatte Leute
herbey geruffen; u. sandte eifrig Botschafter in ver-
schiedenen Gasthöfe – Da stand er plötzlich vor mir,
der liebe, alte, treue Freund, u. wir fielen mit Freu-
dengeschrey u. Thränen einander um den Hals. Ich kann
Dir nicht sagen wir gerührt ich war; wie ich das so in-
nig fühlte, daß auf dieser ganzen Reise die Götter
an mir wie an einem ihrer Lieblinge gethan hatten
u. mir gerade an diese Stelle noch ein so eindringliches
Denkmahl ihrer Huld u. Gnade setzten. Wir blieben
bis auf den dritten 3​ten Tag beysammen so daß ich
den Sonntag erst bey finsterer Nacht Wiesbaden
erreichte. Bölling hatte mir die Waßerreise abge-
rathen. Den Montag kam ich bey guter Zeit nach
Coblenz. Dort begab ich mich dennoch zu Schiffe u. schwamm
Dienstag Morgen schon um 4 Uhr, bey hellem Mond- | 3 |
u. Sternenschein, den mächtig schönen Strohm hie-
nunter. Du magst es ahnden wie ich Deiner dabey gedachte.
Nachmittags um halb vier war ich schon zu Cölln, fand aber
keine Pferde u. mußte die Nacht dort bleiben. Den Mittag
zwischen 12 u. 1. erreichte ich mein liebes P:. Ich fand meine
Kinder gesund, Lehne aber mit einem heftigen Husten
u. Schnupfen befallen, welches meine Freude etwas stör-
te. Aber auch deßen ward die Freude meister, u. Lehne
fand daß sie das Husten u. schnumpfen ja leicht thun
könnte. Ich las ihr den folgenden Tag die geflickte Braut
vor u. wir hatten große Lust. Sie grüßt Dich mit u.
aus meiner Seele, u. läßt Dir sagen Du solltest zu
uns kommen, sie müßte Dich auch einmahl wiedersehen.
Also kom! Du glaubst nicht wie gut es hier ist u. wie
wohl Dir unter und mit uns seyn wird. Lottchen
der ich es überlaßen will, ihren Gruß am Ende mei-
nes Briefes selbst zu bestellen, versichert Du gingest
lieber nach Rom u. Paris, u. hättest zu einer einfälti-
gen Parthie nach Pemp: nicht die geringste Lust. Mit
mir hast Du anderst gesprochen u. ich nehme das für
Ernst, was Du dem Freunde sagtest.

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Küße Fritz v. Stein in meinem Nahmen, u. sage
Seideln, daß ich es bedauerte Weimar verlaßen zu haben,
ohne Abschied von ihm zu nehmen, u. ihm für die viele
freundschaftliche Gefälligkeiten die er mir bewiesen
nochmahls zu danken. Knebeln sage recht viel herz-
liches von mir. An Wieland schreibe ich mit nächster
Post.


   Lebe wohl Du Lieber. Die Schwestern sitzen
mit Bruder Peter im Vorzimmer u. plaudern, u. ich
darf sie nicht wegschicken, weil es Sonntag ist. Ich
hoffe bald etwas von Dir zu hören, u. schreibe wieder

– Ich sehe Dich da vor mir stehen; fühle mich ge-
drückt von Deinem Arm; höre Deine Stimme, u.
bin an vielen Orten zugleich – Gott segne Dich, wie
Dich meine ganze Seele segnet


S: GSA 51/II,2 St. 28 (Abschrift von C. Jacobi)  D: JacobiI 3, Nr. 1079  B: -  A: 1784 Oktober 18 (WA IV 6, Nr. 1987) 

Erinnerung an den Aufenthalt in Weimar vom 18. bis 29. September 1784: Als ich weg ging, war es mir nicht als ob ich Dich verließe; ich war innig glücklicher, froher heiterer als da ich kam. J. berichtet über den Verlauf seiner und seiner Schwester Charlotte Rückreise von Weimar über Frankfurt am Main, wo sein Bruder Johann Georg für drei Tage zu den Reisenden stieß, Wiesbaden, Koblenz und Köln nach Pempelfort. Wiederholte Einladung an G., nach Pempelfort zu kommen. Grüße an F. von Stein und Knebel; Dank an Seidel.

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 Lieber Geothe.

 Ich habe Dich also wieder gesehen, u. viel mehr als das! Als ich weg ging, war es mir nicht als ob ich Dich verließe; ich war innig glücklicher, froher heiterer als da ich kam. Du weißt wie ich Eindrücke annehme u. sie in mir haften. Auch die leiseste Berührung die ich kaum im Augenblick selbst gewahr wurde, entwickelt sich im Stillen u. wächst zu vollem Leben auf. So bin ich jetzt noch im selichsten Genuße Deiner u. weiß von nichts das mir vergangen wäre. Erhalte mich so; Du kannst es – Du weist es!

  Unsre glücklich Ankunft zu Frankfurt hat Lottchen schon von dort aus der Herderinn berichtet. Mein Bruder kam eine viertel Stunde nach mir ans Eschenheimer Thor. Die Verwunderung des Thorschreibers, daß einem Jacobi ein anderer so auf dem Fuße nachfolgte, u. auch ins rothe Haus wollte, gab zu einer gegenseitigen Verwunderung u. zu erläuternden Exclamationen Anlaß. Mein Bruder war von Düßd: schon weg gewesen da mein Brief, worinn ich ihn zu| 2 | mir nach Frankf: bestellte einlief. Er kam also ohne alle Erwartung, Lottchen u. mich zu finden. Ich hatte eben einen Brief von Lehnchen in der Hand; worin sie mir meldete, daß mein Wunsch zu spät gekommen wäre. Ich hoffte auf den Zufal; hatte Leute herbey geruffen; u. sandte eifrig Botschafter in verschiedenen Gasthöfe – Da stand er plötzlich vor mir, der liebe, alte, treue Freund, u. wir fielen mit Freudengeschrey u. Thränen einander um den Hals. Ich kann Dir nicht sagen wir gerührt ich war; wie ich das so innig fühlte, daß auf dieser ganzen Reise die Götter an mir wie an einem ihrer Lieblinge gethan hatten u. mir gerade an diese Stelle noch ein so eindringliches Denkmahl ihrer Huld u. Gnade setzten. Wir blieben bis auf den dritten 3​ten Tag beysammen so daß ich den Sonntag erst bey finsterer Nacht Wiesbaden erreichte. Bölling hatte mir die Waßerreise abgerathen. Den Montag kam ich bey guter Zeit nach Coblenz. Dort begab ich mich dennoch zu Schiffe u. schwamm Dienstag Morgen schon um 4 Uhr, bey hellem Mond| 3 |u. Sternenschein, den mächtig schönen Strohm hienunter. Du magst es ahnden wie ich Deiner dabey gedachte. Nachmittags um halb vier war ich schon zu Cölln, fand aber keine Pferde u. mußte die Nacht dort bleiben. Den Mittag zwischen 12 u. 1. erreichte ich mein liebes P:. Ich fand meine Kinder gesund, Lehne aber mit einem heftigen Husten u. Schnupfen befallen, welches meine Freude etwas störte. Aber auch deßen ward die Freude meister, u. Lehne fand daß sie das Husten u. schnumpfen ja leicht thun könnte. Ich las ihr den folgenden Tag die geflickte Braut vor u. wir hatten große Lust. Sie grüßt Dich mit u. aus meiner Seele, u. läßt Dir sagen Du solltest zu uns kommen, sie müßte Dich auch einmahl wiedersehen. Also kom! Du glaubst nicht wie gut es hier ist u. wie wohl Dir unter und mit uns seyn wird. Lottchen der ich es überlaßen will, ihren Gruß am Ende meines Briefes selbst zu bestellen, versichert Du gingest lieber nach Rom u. Paris, u. hättest zu einer einfältigen Parthie nach Pemp: nicht die geringste Lust. Mit mir hast Du anderst gesprochen u. ich nehme das für Ernst, was Du dem Freunde sagtest.

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 Küße Fritz v. Stein in meinem Nahmen, u. sage Seideln, daß ich es bedauerte Weimar verlaßen zu haben, ohne Abschied von ihm zu nehmen, u. ihm für die viele freundschaftliche Gefälligkeiten die er mir bewiesen nochmahls zu danken. Knebeln sage recht viel herzliches von mir. An Wieland schreibe ich mit nächster Post.

 Lebe wohl Du Lieber. Die Schwestern sitzen mit Bruder Peter im Vorzimmer u. plaudern, u. ich darf sie nicht wegschicken, weil es Sonntag ist. Ich hoffe bald etwas von Dir zu hören, u. schreibe wieder – Ich sehe Dich da vor mir stehen; fühle mich gedrückt von Deinem Arm; höre Deine Stimme, u. bin an vielen Orten zugleich – Gott segne Dich, wie Dich meine ganze Seele segnet

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 193, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0193_00222.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 193.

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