Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 104
Von Johann Friedrich Krafft

1. November 1779, Ilmenau

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    Hochwohlgeborener
    Insonders hochzuEhrender Herr Geheime Rath


Ich habe es für gut gehalten, Ew Hochwohlgebℓ. von dem Ausgang des hier aufs neue lebhafft gewordenen
Bürger Streits kurtze Nachricht zu geben. Auf die in Weimar erfolgte Anzeige des Raths kamen am
Freytag abends der Hℓ. Cantzler Schmid, der Hℓ. Geheime Regierungs Raths Hezer, u der Secretair Batsch
selbst heraus, ließen den Sonabend die sämtliche Bürgerschafft fordern, sagten ihnen, ob sie denn
alle Theil an der neuen Reise der 3 von hier gegangenen Personen, des Reichards, Schneiders
und Heinze hätten? trugen ihnen vor, die alten 6 Beschwerden, die sie ihnen dabey vorlaßen, wären ia ab-
gethan (eine wunderliche Behaubtung!) sie solten überlegen was sie für Unkosten sich machten
kurtz, es ist zu weitläuftig, ietzo alles zu schreiben. Der Hℓ. Cantzler redte in der Güte und Sanftmuth
die, wenn sie gleich von Anfang an wäre gebraucht worden, den gantzen Bürger Streit würde
verhütet haben. Ich hatte, da ich kurtz vorher bey dem hiesigen Hℓ. Rath war, ihm gesagt, Güte
wäre das einzige Mittel, die Sache zu dämpfen, und, da nun dieser Weg gegangen wur-
de, sehen sie nun, wie viel weiter sie damit als mit Gewalt wie ehmals kamen. Kurtz, die Bürger
wurden dahin gebracht, sich sämtlich von dem Streit in Wetzlar loszusagen, und
haben deshalb am Sontag ihre Nahmen unter die Lossagung gesetzt, davon
ein Exemplar nach Weimar mitgenommen werden, eines aber ein ViertelMeister
der Bürger, ein Mann der am meisten in den Streit intereßirt ist, nahmens Merckel selbst, im Nahmen
der Bürger, nach Wetzlar bringen soll. Solten Sie in der Gegend von Ffurth seyn,
wann dieser Merckel dort in Wetzlar anlangt, so wünschte ich daß Sie demselben
selbst sprächen, weil er von denen Beschwerden Ihnen den deutlichsten Begriff | 2 |
machen kan, und in Gegenwart eines Herrn, für dem er sich nicht scheut, dreist reden
wird, das bey hiesigen Commissionen nicht immer geschieht. Dieser Merckel, und die Bürger-
schafft aber haben zugleicher Zeit, da sie den Streit in Wetzlar aufzuheben eingewilligt, sich
denen Händen des Landsfürsten, in Ansehung der Gerechtigkeit, überlassen, und fodern
eine reine Untersuchung aller Rechnungen, deren noch keine einzige in Ordnung ge-
bracht ist. Der Hℓ. p Cantzler und Hℓ. p Hezer behaubten zwar, die Steuerrechnung
wäre bis 78 in Ordnung letzterer, weil er die Commission deswegen gehabt hätte. Mit welchem
Recht aber, habe ich schon öfters gezeigt, die Ausgabe ist untersucht, das ist aber
nicht die gantze noch weniger die Hauptrechnung. Wenn ich Dero Haushofmeister
wäre, ihre Ausgaben und Einnahmen besorgte, sie hörten daß sie mit ihrem
Vermögen in Schulden kämen und Sie wolten, nun von mir Rechnung von meinem Haushalten
haben, würden Sie zufrieden seyn, wenn ich ihnen die Ausgabenallein
berechnete? würden Sie nicht billig fragen, was ich dann, und wie ich es für
Sie eingenommen? ppp. und woher die Schulden kämen, auch wie starck sie wären?
Das letzte wollen die Bürger so lange Jahre her mit Recht wissen, da
aber Personen dabey interessirt sind, die man zu beschützen beschlossen
hat, und wenn auch die Stadt, wie sie muß, drüber zu Grund gehen solte
so will man ihnen, die abgenommene Ausgabe Rechnung, für die gantze
Rechnung aufdringen. Das Steuer Buch meines Schneiders im Haus, das | 3 |
seit 3 Jahren nicht berichtiget ist, kan gleich zeigen daß die Einnahme nicht in
Ordnung ist, und so 1000 Exempel. Wo nicht das geschieht was ich in meinem Schreiben
nach Weimar vom 2​tenSeptbr. in Ansehung der Steuer Rechnung erwehnt, so ist alles
vergebens. Der Hℓ. Cantzler sagte, z. E. wegen der Korn Rechnung, was sie denn für
eine Untersuchung über eine Sache haben wolten, die Gott geschickt hätte? Aber die
Bürger verklagen ia nicht den Rath Scherf und Grunert, die die Rechnung thun
müssen, daß es theuer gewesen, sondern sie wollen wissen, wohin das Geld das
wegen der Theurung aufgenommen worden, verwendet worden sey, und das ist billig,
denn Sie müssen nun das Capital wieder bezahlen. So ist es mit allen Rechnungen,
davon ietzt die Zeit zu kurtz zu handeln ist, und ein andermahl mehr. Das Glück der
Stadt steht also in des Herzogs Händen. Werden die Rechnung nicht in Ordung
gebracht, so ist sie ohne Zweifel ruinirt. Wer soll also nun geschont werden?
Privat Personen oder eine ganze Stadt? Daß die bisherige Commißairs, nicht
die Sache untersuchen müssen, ist deutlich und klar, da sie behaubten, die
Rechnungen wären schon richtig, eine Sache die der Augenschein wiederlegt.
Sie würden sich also nicht selbst unrecht geben. Es müssen unpartheyische Personen,
die mit niemand verwand sind oder in connexion stehen, seyn. Jeden muß dann Ge-
rechtigkeit wiederfahren, so wohl den Rechnungsführern, die aber schlechterdings
schrifftlich ieden Punct auf führen und beweisen müssen. Zum Beweise müssen
Quittungen dienen, die so bey ordentlichen Rechnungen seyn müssen, | 4 |
nicht aber die Aussage eines unverständigen Schusters, der aufgerufen worden ist,
und sagt, er hätte die Quittungen über die Anwendung von 17000 rℓ in Händen gehabt.
Solche Sachen verwahrt man. Weise man die Quittungen auf, so braucht man kein
Schuster Zeugnis, das in ordentlichen Rechnungen nicht gilt. Fürnehmlich, muß aber auch
alsdann denen Bürgern, deren Beutel es bezahlen muß, recht wiederfahren, ohne Ansehn der
Person. Es wäre zu weitläuftig mehr ietzo hier von zu reden. Aber gewiss ist es,
wird das Schulden Wesen nicht hier in Ordnung gebracht, und künfftig die Rechnungen
ordentlicher wie bis her verwaltet, und denen Ungerechtigkeiten und dem Stoltz
manchens, der ausser seinen Gräntzen schreitet, gesteuert, so verblutet die Stadt
sich, und der Schaden trifft dem Lands Herrn. Es ist denen Bürgern, Revision der
Rechnungen versprochen. Ob man sie nur einzuschläfern sucht, weiß ich nicht.
Aber so viel wiederhole ich noch ein mahl, die Untersuchung muß nicht von
denen gewöhnlichen Commissairs geschehen, sonst ist es so viel als nichts. Das Hartung
nicht mehr Burgemeister werden soll, ist versprochen. Warum wurde also der Mann
vor diesen mit Gewalt eingesetzt? war nicht der gantze Streit verhütet, wenn es nicht geschah?
Habe ich nicht Recht, daß die Bürger nichts gegen ihren Fürsten, sondern nur gegen gewiße Privat Personen haben?
Verschiedene andre Beschwerden hat der Hℓ. Cantzler gelinde und vorsichtig und gut beantwortet,
Alles glaube ich würden sie die Bürger nach der ietzigen bessern Méthode der Güte von ihm erhalten, was nur
nicht die Untersuchung der Aufführung von Personen betrifft die man nicht willfallenlaßen,
und die doch bey strenger Untersuchung nicht bestehen könten.


Den Ausgang und die ietzige Lage des Streits, zu melden habe ich für Pflicht angesehen, damit
Ew Hochwohlgebohℓ von allem Bescheid wüßten, da ich nicht weiß, wie die Forderungen der Bürger wegen der
Rechnungen, im Weimarischen Protocoll möchten aufgeführt seyn.


    Krafft.


Mit heute ist die Commi-
ssion wieder fort.


S: GSA 62/37 Bl. 78-79  D: Voigt, Empörung 55-57 (T)  B: -  A: -  V: Konzept 

Ausführlicher Bericht über den Ausgang des Bürger Streits bezüglich der Mißstände in der Ilmenauer Steuer Verwaltung. Durch eine Weimarer Abordnung mit A. L. F. Schmid und dem Geheimen Regierungsrat W. E. G. Hetzer seien die Bürger bewogen worden, sich sämtlich von dem Streit in Wetzlar loszusagen. K. fände es günstig, wenn G. sich mit dem Viertelmeister J. A. Merckel, einem Mann, der am meisten in den Streit intereßiert ist und die Lossagung nach Wetzlar bringe, dort treffen könnte, weil er von denen Beschwerden G. den deutlichsten Begriff machen könne. K. halte es für unbillig, daß bisher nur die Ausgaben, nicht aber die Einnahmen der Stadt geprüft würden. Da die Bürger eingewilligt haben, den Streit in Wetzlar aufzugeben, seien sie nunmehr in des Herzogs Händen. Die Rechnungen müßten von unpartheyischen Personen geprüft werden.

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    Hochwohlgeborener   Insonders hochzuEhrender Herr Geheime Rath

 Ich habe es für gut gehalten, Ew Hochwohlgebℓ. von dem Ausgang des hier aufs neue lebhafft gewordenen Bürger Streits kurtze Nachricht zu geben. Auf die in Weimar erfolgte Anzeige des Raths kamen am Freytag abends der Hℓ. Cantzler Schmid, der Hℓ. Geheime Regierungs Raths Hezer, u der Secretair Batsch selbst heraus, ließen den Sonabend die sämtliche Bürgerschafft fordern, sagten ihnen, ob sie denn alle Theil an der neuen Reise der 3 von hier gegangenen Personen, des Reichards, Schneiders und Heinze hätten? trugen ihnen vor, die alten 6 Beschwerden, die sie ihnen dabey vorlaßen, wären ia abgethan (eine wunderliche Behaubtung!) sie solten überlegen was sie für Unkosten sich machten kurtz, es ist zu weitläuftig, ietzo alles zu schreiben. Der Hℓ. Cantzler redte in der Güte und Sanftmuth die, wenn sie gleich von Anfang an wäre gebraucht worden, den gantzen Bürger Streit würde verhütet haben. Ich hatte, da ich kurtz vorher bey dem hiesigen Hℓ. Rath war, ihm gesagt, Güte wäre das einzige Mittel, die Sache zu dämpfen, und, da nun dieser Weg gegangen wurde, sehen sie nun, wie viel weiter sie damit als mit Gewalt wie ehmals kamen. Kurtz, die Bürger wurden dahin gebracht, sich sämtlich von dem Streit in Wetzlar loszusagen, und haben deshalb am Sontag ihre Nahmen unter die Lossagung gesetzt, davon ein Exemplar nach Weimar mitgenommen werden, eines aber ein ViertelMeister der Bürger, ein Mann der am meisten in den Streit intereßirt ist, nahmens Merckel selbst, im Nahmen der Bürger, nach Wetzlar bringen soll. Solten Sie in der Gegend von Ffurth seyn, wann dieser Merckel dort in Wetzlar anlangt, so wünschte ich daß Sie demselben selbst sprächen, weil er von denen Beschwerden Ihnen den deutlichsten Begriff| 2 | machen kan, und in Gegenwart eines Herrn, für dem er sich nicht scheut, dreist reden wird, das bey hiesigen Commissionen nicht immer geschieht. Dieser Merckel, und die Bürgerschafft aber haben zugleicher Zeit, da sie den Streit in Wetzlar aufzuheben eingewilligt, sich denen Händen des Landsfürsten, in Ansehung der Gerechtigkeit, überlassen, und fodern eine reine Untersuchung aller Rechnungen, deren noch keine einzige in Ordnung gebracht ist. Der Hℓ. p Cantzler und Hℓ. p Hezer behaubten zwar, die Steuerrechnung wäre bis 78 in Ordnung letzterer, weil er die Commission deswegen gehabt hätte. Mit welchem Recht aber, habe ich schon öfters gezeigt, die Ausgabe ist untersucht, das ist aber nicht die gantze noch weniger die Hauptrechnung. Wenn ich Dero Haushofmeister wäre, ihre Ausgaben und Einnahmen besorgte, sie hörten daß sie mit ihrem Vermögen in Schulden kämen und Sie wolten, nun von mir Rechnung von meinem Haushalten haben, würden Sie zufrieden seyn, wenn ich ihnen die Ausgabenallein berechnete? würden Sie nicht billig fragen, was ich dann, und wie ich es für Sie eingenommen? ppp. und woher die Schulden kämen, auch wie starck sie wären? Das letzte wollen die Bürger so lange Jahre her mit Recht wissen, da aber Personen dabey interessirt sind, die man zu beschützen beschlossen hat, und wenn auch die Stadt, wie sie muß, drüber zu Grund gehen solte so will man ihnen, die abgenommene Ausgabe Rechnung, für die gantze Rechnung aufdringen. Das Steuer Buch meines Schneiders im Haus, das| 3 | seit 3 Jahren nicht berichtiget ist, kan gleich zeigen daß die Einnahme nicht in Ordnung ist, und so 1000 Exempel. Wo nicht das geschieht was ich in meinem Schreiben nach Weimar vom 2​tenSeptbr. in Ansehung der Steuer Rechnung erwehnt, so ist alles vergebens. Der Hℓ. Cantzler sagte, z. E. wegen der Korn Rechnung, was sie denn für eine Untersuchung über eine Sache haben wolten, die Gott geschickt hätte? Aber die Bürger verklagen ia nicht den Rath Scherf und Grunert, die die Rechnung thun müssen, daß es theuer gewesen, sondern sie wollen wissen, wohin das Geld das wegen der Theurung aufgenommen worden, verwendet worden sey, und das ist billig, denn Sie müssen nun das Capital wieder bezahlen. So ist es mit allen Rechnungen, davon ietzt die Zeit zu kurtz zu handeln ist, und ein andermahl mehr. Das Glück der Stadt steht also in des Herzogs Händen. Werden die Rechnung nicht in Ordung gebracht, so ist sie ohne Zweifel ruinirt. Wer soll also nun geschont werden? Privat Personen oder eine ganze Stadt? Daß die bisherige Commißairs, nicht die Sache untersuchen müssen, ist deutlich und klar, da sie behaubten, die Rechnungen wären schon richtig, eine Sache die der Augenschein wiederlegt. Sie würden sich also nicht selbst unrecht geben. Es müssen unpartheyische Personen, die mit niemand verwand sind oder in connexion stehen, seyn. Jeden muß dann Gerechtigkeit wiederfahren, so wohl den Rechnungsführern, die aber schlechterdings schrifftlich ieden Punct auf führen und beweisen müssen. Zum Beweise müssen Quittungen dienen, die so bey ordentlichen Rechnungen seyn müssen,| 4 | nicht aber die Aussage eines unverständigen Schusters, der aufgerufen worden ist, und sagt, er hätte die Quittungen über die Anwendung von 17000 rℓ in Händen gehabt. Solche Sachen verwahrt man. Weise man die Quittungen auf, so braucht man kein Schuster Zeugnis, das in ordentlichen Rechnungen nicht gilt. Fürnehmlich, muß aber auch alsdann denen Bürgern, deren Beutel es bezahlen muß, recht wiederfahren, ohne Ansehn der Person. Es wäre zu weitläuftig mehr ietzo hier von zu reden. Aber gewiss ist es, wird das Schulden Wesen nicht hier in Ordnung gebracht, und künfftig die Rechnungen ordentlicher wie bis her verwaltet, und denen Ungerechtigkeiten und dem Stoltz manchens, der ausser seinen Gräntzen schreitet, gesteuert, so verblutet die Stadt sich, und der Schaden trifft dem Lands Herrn. Es ist denen Bürgern, Revision der Rechnungen versprochen. Ob man sie nur einzuschläfern sucht, weiß ich nicht. Aber so viel wiederhole ich noch ein mahl, die Untersuchung muß nicht von denen gewöhnlichen Commissairs geschehen, sonst ist es so viel als nichts. Das Hartung nicht mehr Burgemeister werden soll, ist versprochen. Warum wurde also der Mann vor diesen mit Gewalt eingesetzt? war nicht der gantze Streit verhütet, wenn es nicht geschah? Habe ich nicht Recht, daß die Bürger nichts gegen ihren Fürsten, sondern nur gegen gewiße Privat Personen haben? Verschiedene andre Beschwerden hat der Hℓ. Cantzler gelinde und vorsichtig und gut beantwortet, Alles glaube ich würden sie die Bürger nach der ietzigen bessern Méthode der Güte von ihm erhalten, was nur nicht die Untersuchung der Aufführung von Personen betrifft die man nicht willfallenlaßen, und die doch bey strenger Untersuchung nicht bestehen könten.

 Den Ausgang und die ietzige Lage des Streits, zu melden habe ich für Pflicht angesehen, damit Ew Hochwohlgebohℓ von allem Bescheid wüßten, da ich nicht weiß, wie die Forderungen der Bürger wegen der Rechnungen, im Weimarischen Protocoll möchten aufgeführt seyn.

  Krafft.

 Mit heute ist die Commission wieder fort.

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 104, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0104_00116.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 104.

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