Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 94a+
Von Adam Friedrich Oeser

9. Mai 1779, Weimar

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Vielwerter Freund
Erhabener Olympier!


   Von der Hand unserer götter-
gleichen Fürstin, Anna Amalia,
erhielt ich gestern ein Schreiben,
das mich aus dem ewig blau-
en Himmel meiner Gemälde
in das trübste Grau des
Alltags hinabwarf. Die
hochherzige Frau beklagte sich,
wenn auch in huldvollen Worten
darüber, daß ich im lezten
Monat zu wenig Deckenge-
   mälde | 2 |
fertig gestellt habe.


Diese Anklage mir, dem uner-
müdlichen, ewig Frischen!
Kann ich noch früher aufstehen,
als bisher, um noch mehr
Englein im Tag ins Blau
meiner Ölhimmel zu zaubern?
Sage es selbst, Olympier! Kann
ich es??


In der letzten Woche brachte
ich es im Tag auf 6 Englein
und Alle mit sorgsam ge-
kräuselten Locken! Aber
Anna Amalia wies in Ihrem
Brief mit ihrem Finger
auf die Flucht der Zimmer
im neu ausgeschmückten
Wittumspalais und schrieb
   drohend: | 3 |
Oeser, Oeser, wann wirst
du sie vollenden!?


Werthester Freund, Schüler
meines Pinsel's! Benüze
die Gunst, die Du bei der
Hohen Frau geniessest u.
sprich für mich
Worte der Versöhnung!


   Sage Ihr: Oeser malt
   schon jetzt mehr, als er
   kann!


   In einem Zustand des Zwei-
   fels an sich selbst
   Dein trauriger

    Oeser


S: Privatbesitz  D: -  B: -  A: - 

O. habe von Herzogin Anna Amalia ein Schreiben erhalten, worin sie sich beklage, daß er zu wenig Deckengemälde fertig gestellt habe und mit dem Wittumspalais nicht fertig werde. G. möge O., der schon jetzt mehr, als er kann, male, bei der Herzogin verteidigen.

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  Vielwerter Freund Erhabener Olympier!

  Von der Hand unserer göttergleichen Fürstin, Anna Amalia, erhielt ich gestern ein Schreiben, das mich aus dem ewig blauen Himmel meiner Gemälde in das trübste Grau des Alltags hinabwarf. Die hochherzige Frau beklagte sich, wenn auch in huldvollen Worten darüber, daß ich im lezten Monat zu wenig Deckenge mälde| 2 | fertig gestellt habe.

 Diese Anklage mir, dem unermüdlichen, ewig Frischen! Kann ich noch früher aufstehen, als bisher, um noch mehr Englein im Tag ins Blau meiner Ölhimmel zu zaubern? Sage es selbst, Olympier! Kann ich es??

 In der letzten Woche brachte ich es im Tag auf 6 Englein und Alle mit sorgsam gekräuselten Locken! Aber Anna Amalia wies in Ihrem Brief mit ihrem Finger auf die Flucht der Zimmer im neu ausgeschmückten Wittumspalais und schrieb  drohend:| 3 | Oeser, Oeser, wann wirst du sie vollenden!?

 Werthester Freund, Schüler meines Pinsel's! Benüze die Gunst, die Du bei der Hohen Frau geniessest u. sprich für mich Worte der Versöhnung!

  Sage Ihr: Oeser malt  schon jetzt mehr, als er  kann!

 In einem Zustand des Zwei fels an sich selbst  Dein trauriger   Oeser

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 94a+, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0094_00106.

Druck des Regests in: Ergbd. 1-5, 542.

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