Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 88
Von Anna Luise Karsch

19. Mai 1778, Berlin

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wann seh ich nun dein anlitz wieder inn dieser königlichen Stadt Du deßen Geist so wenig brüder    Ihm gleichgeschaffen hatt?
noch kann ich nicht ganz ruhig werden vom unmuth der mich übernahm Der altte Mann der mitt zwoo Pferden mich gestern hohlen kam ist sonst der beste Mann auff Erden giebt keiner Menschenseele Gram sieht Seinem Weibe durch die finger hatt friede mitt der gannzen wellt und krännkt sich über nichts als daß    Er sich nicht Jünnger zu machen weiß wenn Ihm ein    Mädchen wolgefält – | 2 | nie wust ich über Ihn Zu klagen Zum erstenmahl Verdroß michs    gestern nur Daß Er gutherzig mitt den wagen    Vor meine Thüre fuhr Denn da mußt ich Von deiner Seitte mitt diesen Manne nach der uhr und ha daß ärgert mich noch heütte Denn Er mitt Seinem Tulpenflor Er konntte mir die freude nicht    Vergütten Die ich durch Ihn Verlohr Die gannze Monarchie der blüthen Der Erste schmausetisch Berlins sind mitt dem Glük nicht zu    Vergleichen | 3 | dich zu genießen wie die reichen und Geizigen Ihr gold – laß mich diß    Glük erreichen noch einmahl, ich Verdiens – Du solst, Du must mir nicht    entweichen mitt deinem Herzog gutt und fein bis wir zusamm brodt gebrochen und Du bey wenig Mittelwein mitt Einem wortte mir Versprochen mein außerlesner freund zu sein daß bist Du schon bey Deinen    Ehren ich aber möchts so gern recht laut von Deinen Lippen hören wie ohngefähr am Altar    Eine braut Die keinen Zweiffel hegt ann    des Geliebtten Treue | 4 | gern die Versichrung hören mag Daß Er sich Ihrem Herzen weye bis auff den leztten matten    schlag Des pulses der annizt vor lieb    und wonne bebet – diß Gleichniß ist Ein wenig kühn – so wahr als deine Seele lebet und deinem ruhm Dir keine Zeitt    Enntziehn und mindern kann bis Erd und    Himmel schwinnden so wahr wust ich mitt meinem    Sinn Geschwind kein schicklichers zu    finden weill ich Verliebt inn deine Seele binn


    A. L. Karschin

   


S: Freies Deutsches Hochstift Frankfurt am Main  D: Begegnungen2, 77-79  B: -  A: - 

Gedicht: Wann seh ich nun Dein antliz wieder [...].

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wann seh ich nun dein anlitz wieder inn dieser königlichen Stadt Du deßen Geist so wenig brüder  Ihm gleichgeschaffen hatt?
noch kann ich nicht ganz ruhig werden vom unmuth der mich übernahm Der altte Mann der mitt zwoo Pferden mich gestern hohlen kam ist sonst der beste Mann auff Erden giebt keiner Menschenseele Gram sieht Seinem Weibe durch die finger hatt friede mitt der gannzen wellt und krännkt sich über nichts als daß  Er sich nicht Jünnger zu machen weiß wenn Ihm ein  Mädchen wolgefält –| 2 | nie wust ich über Ihn Zu klagen Zum erstenmahl Verdroß michs  gestern nur Daß Er gutherzig mitt den wagen  Vor meine Thüre fuhr Denn da mußt ich Von deiner Seitte mitt diesen Manne nach der uhr und ha daß ärgert mich noch heütte Denn Er mitt Seinem Tulpenflor Er konntte mir die freude nicht  Vergütten Die ich durch Ihn Verlohr Die gannze Monarchie der blüthen Der Erste schmausetisch Berlins sind mitt dem Glük nicht zu  Vergleichen| 3 | dich zu genießen wie die reichen und Geizigen Ihr gold – laß mich diß  Glük erreichen noch einmahl, ich Verdiens – Du solst, Du must mir nicht  entweichen mitt deinem Herzog gutt und fein bis wir zusamm brodt gebrochen und Du bey wenig Mittelwein mitt Einem wortte mir Versprochen mein außerlesner freund zu sein daß bist Du schon bey Deinen  Ehren ich aber möchts so gern recht laut von Deinen Lippen hören wie ohngefähr am Altar  Eine braut Die keinen Zweiffel hegt ann  des Geliebtten Treue| 4 | gern die Versichrung hören mag Daß Er sich Ihrem Herzen weye bis auff den leztten matten  schlag Des pulses der annizt vor lieb  und wonne bebet – diß Gleichniß ist Ein wenig kühn – so wahr als deine Seele lebet und deinem ruhm Dir keine Zeitt  Enntziehn und mindern kann bis Erd und  Himmel schwinnden so wahr wust ich mitt meinem  Sinn Geschwind kein schicklichers zu  finden weill ich Verliebt inn deine Seele binn

  A. L. Karschin  

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 88, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0088_00096.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 88.

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