Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 86
Von Anna Luise Karsch

18. Mai 1778, Berlin

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Schön gutten Morgn Herr Doctor Göth Euch hab ich gestern grüßen wollen S ist wieders WeiberEticet ich häts vonn Euch erwartten sollen Daß Ihr wie sichs gebührt und ziemt mich auffgesucht und mich gegrüßet – Ihr aber seid gar welltberühmt S war möglich daß Ihrs bleiben ließet Ihr seid des Herzogs Spiesgesell Habt mehr zu Thun und mehr zu schaffen als mitt Eurm auge groß und hell Nach Einem altten Weib zu gaffen Drum sprang ich übers Cermoniel Hinnweg mitt leichtten Muthes Lachen | 2 | Zog mir mein Sonnttagsrökchen ann und ging Euch Einem Knix zu machen so gutt als ich Ihn machen kann – umsonst hatt ich mich anngezogen ich fand Euch leider nicht Ihr wart früh Morgens ausgeflogen Zu Männern Theurer art ich wills nicht wieder wagen mein Geist Ein Fixes Ding soll gutten Morgen sagen Dir MusenKämmerling Dir Secrätair des Fürsten Der auff dem Parnaß Sizt und wenn die Dichtter dürsten mitt Waßer Sie besprüzt | 3 | aus Einem Born der Mächttig und wunnderthätig ist Er machts daß du so prächttig so stark imm außdruk bist Daß dirs vomm Munnde fließet Wie Honig den im Wald Der Wanndersmann genießet Wenn Seine Kräfftte bald erschöpft sind wie die meinen Jünngst solt ich im Revier Des Pluto schon erscheinen Sein schiffer winnktte mir ich ward Ihm noch entrißen (Wies Codowiekens Kunnst hatt nachzuzeichnen wißen) Durch des Apollo Gunnst | 4 | ich soltte dich noch sehen Geschieht es nicht bey mir Kanns beim Andrä geschehen Er ist Ein freund von dir Ein freund wies wenig giebet Daß glaube sicherlich Doch bey dem allen liebet Er dich nicht mehr als ich


    Karschin



   


S: Goethe-Museum Düsseldorf  D: GS3, 43  B: -  A: 1778 Mai 18 (WA IV 51, Nr. 703a) 

Gedicht: Schön Gutten Morgen Herr Doctor Göth Euch hab ich gestern grüßen wollen [...].

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Schön gutten Morgn Herr Doctor Göth Euch hab ich gestern grüßen wollen S ist wieders WeiberEticet ich häts vonn Euch erwartten sollen Daß Ihr wie sichs gebührt und ziemt mich auffgesucht und mich gegrüßet – Ihr aber seid gar welltberühmt S war möglich daß Ihrs bleiben ließet Ihr seid des Herzogs Spiesgesell Habt mehr zu Thun und mehr zu schaffen als mitt Eurm auge groß und hell Nach Einem altten Weib zu gaffen Drum sprang ich übers Cermoniel Hinnweg mitt leichtten Muthes Lachen| 2 | Zog mir mein Sonnttagsrökchen ann und ging Euch Einem Knix zu machen so gutt als ich Ihn machen kann – umsonst hatt ich mich anngezogen ich fand Euch leider nicht Ihr wart früh Morgens ausgeflogen Zu Männern Theurer art ich wills nicht wieder wagen mein Geist Ein Fixes Ding soll gutten Morgen sagen Dir MusenKämmerling Dir Secrätair des Fürsten Der auff dem Parnaß Sizt und wenn die Dichtter dürsten mitt Waßer Sie besprüzt| 3 | aus Einem Born der Mächttig und wunnderthätig ist Er machts daß du so prächttig so stark imm außdruk bist Daß dirs vomm Munnde fließet Wie Honig den im Wald Der Wanndersmann genießet Wenn Seine Kräfftte bald erschöpft sind wie die meinen Jünngst solt ich im Revier Des Pluto schon erscheinen Sein schiffer winnktte mir ich ward Ihm noch entrißen (Wies Codowiekens Kunnst hatt nachzuzeichnen wißen) Durch des Apollo Gunnst| 4 | ich soltte dich noch sehen Geschieht es nicht bey mir Kanns beim Andrä geschehen Er ist Ein freund von dir Ein freund wies wenig giebet Daß glaube sicherlich Doch bey dem allen liebet Er dich nicht mehr als ich

  Karschin  

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 86, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0086_00094.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 86.

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