Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 37
Von Johann Kaspar Lavater

1. Oktober 1774, Zürich

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Dank, dir nochmals, Bruder, fleißiger
treüer, guter Lehrer; deine Briefe hab' ich
vor mir, den mit Bleystift, u: die Bil-
liets auf Fließpapier. Das an B. für
mich hab' ich mir noch nicht vorlesen laßℓ.
Du bist ein guter. Von der Freündschaft
u: dem   denk' ich genau, wie
du – deine neüen Aufschlüße – wem
Bruder, kannst du sie mittheilen, der sie
hörender aufnimt wie ich?


Warnungen gegen schnelle Empfind-
lichkeit hab' ich sehr nöthig, aber gewiß
in dem Fall, bey deßen Anlaß du
die Warnung giebst, affektirte ich in
dem Brief an dich, u: der Nachricht, | 2 |
zehn mal mehr, als ich hatte; Eigentlich
glaubt' ich, es würde so nicht gedrukt
werden, nur die Censur wollt' ich dieß
lesen laßen; Gewiß den nächsten Post-
tag wollt' ich dir schreiben, es sanfter
zumachen, u: da ließ ich's aus Non-
chalance u: Zutrauen zu deiner
Klugkeit seyn. Sonst nochmals ist die-
se schnell auffahrende Empfindlich-
keit einer meiner Hauptfehler.


Sehen wollt' ich den Gaßner. Es ist, wie
du sagst. Papier läßt höchstens nicht
widersprechen; Aber Sehen giebt Glau-
bensfülle. Aber der gute Mann muß
hin u: her reisen. Man schreibt mir
aller Orten her von ihm. Erst neülich | 3 |
unweit Ulm, macht er eine 5. Jahre
lang blinde Person sehend.


Den Wechsel für den armen – belei-
digten Deinet, deßen Nachbeßerung
ich nun auch gelesen – wirst du nun
erhalten haben?


Ist Meyer von Zürich nicht bey dir
gewesen? Er hätte dir eine Kleinig-
keit übergeben sollen.


Tausend Grüße deinem lieben Papa,
deßen väterlicher Brief mich herzlich
freüte.


Kannst du Deineten etwas Freüde ma-
chen, so machs. Rüg' es nicht, daß er
der ersten Thorheit eine zweyte bey-
gefügt. Ich sehe nun, was ich nicht
glauben wollte. Er ist ein lieber | 4 |
Etourdi – Sans pareil.


Fausten – u: Werther – erwarten wir
mit Tage zählen.


Klopstok – grüß ihn auch von mir,
u: wünsch' ihm auch von meiner Sei-
te Glük zu seinem neüen Herrn;
u: sage mir im nächsten Brief – wie
du Klopstoken angezogen.


Bruder – jeden Brief ein paar Duzend
physiognomische Reflexionen, und
etwa ein ganzes Abhandlunglein!
Von Füßlin hab' ich nun nähere
Hoffnung. Hab' ich was, komm u: siehe!
Von Merken, weiß u: hör' ich nichts
mehr. Grüß mir ihn.


Hätte noch viel zusagen, aber du magst's
izt noch nicht tragen. | 5 |
Wo ist Basedow? Adieü. grüße die
Klettenbergin.


   
    L.


S: Zentralbibliothek Zürich  D: GL Nr. 29  B: (!) 1775 April (WA IV 2, Nr. 325); 1774 September 2. Hälfte (vgl. RA 1, Nr. 37); an B. Schultheß, 1774 September 2. Hälfte (vgl. RA 1, Nr. 37)  A: -  V: Abschrift 

Dank für G.s Briefe [...], den mit Bleystift, u. die Billiets auf Fließpapier. Das an B. Schultheß für mich hab' ich mir noch nicht vorlesen laßen. / Warnungen gegen schnelle Empfindlichkeit hab' ich sehr nöthig [...]. J. J. Gaßner habe er noch nicht sehen können. - Anfrage, ob (Leutnant) H. Meyer von Zürich G. eine Kleinigkeit übergeben habe. - G. möge J. K. Deinet trotz dessen Torheiten etwas Freude machen. - Klopstock wünsche er Glük zu seinem neuen Herrn. Von J. H. Merck hör ich nichts mehr. - Anfrage, wo sich J. B. Basedow befinde. - Fausten - u. Werther würden sehnsüchtig erwartet. - Auf J. H. Füßlis Mitarbeit an den "Physiognomischen Fragmenten" habe L. nun nähere Hoffnung. Bitte um G.s weitere Mitarbeit. - Grüße an G.s Vater und S. K. von Klettenberg.

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 Dank, dir nochmals, Bruder, fleißiger treüer, guter Lehrer; deine Briefe hab' ich vor mir, den mit Bleystift, u: die Billiets auf Fließpapier. Das an B. für mich hab' ich mir noch nicht vorlesen laßℓ. Du bist ein guter. Von der Freündschaft u: dem denk' ich genau, wie du – deine neüen Aufschlüße – wem Bruder, kannst du sie mittheilen, der sie hörender aufnimt wie ich?

 Warnungen gegen schnelle Empfindlichkeit hab' ich sehr nöthig, aber gewiß in dem Fall, bey deßen Anlaß du die Warnung giebst, affektirte ich in dem Brief an dich, u: der Nachricht,| 2 | zehn mal mehr, als ich hatte; Eigentlich glaubt' ich, es würde so nicht gedrukt werden, nur die Censur wollt' ich dieß lesen laßen; Gewiß den nächsten Posttag wollt' ich dir schreiben, es sanfter zumachen, u: da ließ ich's aus Non- chalance u: Zutrauen zu deiner Klugkeit seyn. Sonst nochmals ist diese schnell auffahrende Empfindlichkeit einer meiner Hauptfehler.

 Sehen wollt' ich den Gaßner. Es ist, wie du sagst. Papier läßt höchstens nicht widersprechen; Aber Sehen giebt Glaubensfülle. Aber der gute Mann muß hin u: her reisen. Man schreibt mir aller Orten her von ihm. Erst neülich| 3 | unweit Ulm, macht er eine 5. Jahre lang blinde Person sehend.

 Den Wechsel für den armen – beleidigten Deinet, deßen Nachbeßerung ich nun auch gelesen – wirst du nun erhalten haben?

 Ist Meyer von Zürich nicht bey dir gewesen? Er hätte dir eine Kleinigkeit übergeben sollen.

 Tausend Grüße deinem lieben Papa, deßen väterlicher Brief mich herzlich freüte.

 Kannst du Deineten etwas Freüde machen, so machs. Rüg' es nicht, daß er der ersten Thorheit eine zweyte beygefügt. Ich sehe nun, was ich nicht glauben wollte. Er ist ein lieber| 4 | Etourdi – Sans pareil.

 Fausten – u: Werther – erwarten wir mit Tage zählen.

 Klopstok – grüß ihn auch von mir, u: wünsch' ihm auch von meiner Seite Glük zu seinem neüen Herrn; u: sage mir im nächsten Brief – wie du Klopstoken angezogen.

 Bruder – jeden Brief ein paar Duzend physiognomische Reflexionen, und etwa ein ganzes Abhandlunglein! Von Füßlin hab' ich nun nähere Hoffnung. Hab' ich was, komm u: siehe! Von Merken, weiß u: hör' ich nichts mehr. Grüß mir ihn.

 Hätte noch viel zusagen, aber du magst's izt noch nicht tragen.| 5 | Wo ist Basedow? Adieü. grüße die Klettenbergin.

    L.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 37, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0037_00039.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 37.

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