Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 12
Von Johann Kaspar Lavater

November? 1773, Zürich

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Warum ich Ihnen schon wieder schreibe?
um Ihnen ein Porträt – ach, aber die Au-
gen, die in der Natur alles sind, im Bil-
de sind sie nichts, vorzulegen, das ich in 10.
Tagen wieder haben sollte. Ein Porträt – ra-
then Sie von wem? So wahr ich lebe, Sie
errathens .... Adelheit von Weißlingen.


Nun weiter nichts, als ... das nächste
mal ein paar Silhouettes wenigstens,
wenigstens die mißlungene Schloßer –
von Ihrer Hand,– u: dann noch eine Frage:
Wollen Sie mir helfen, eine aus halben, vier-
tels, u: achtels Beobachtungen geschöpfte gros-
se, unendlich wichtige Vermuthung, durch
viele ganze feste Beobachtungen bestätigen
oder verwerfen?


Die in den Augen aller weisen u: Thoren
izt noch lächerliche Vermuthung – von der
allgemeinen Homogenität aller u: jeder | 2 |
Bildungen der Natur; so daß es möglich
ist, aus jeder richtig gegebnen Lection den
ganzen Umriß, aus dem Umriß den gan-
zen Charakter – u: aus diesem – doch nein
– für einmal nichts weiter – so sicher u: be-
stimmt anzugeben – als sicher u: bestimmt
sich aus jeder gegebnen Zirkellinie oder
Ellipsis, die ganze Ellipsis, u: der ganze
Zirkel bestimmen läßt.


Wäre diese Vermuthung, die jedem physio-
gnomischen Zeichner, wenigstens durch den
Scheitel heruntergefallen seyn sollte, nicht
mehr, als Stein der Weisen, wann sie Gewiß-
heit werden sollte.


    L.
   


S: Zentralbibliothek Zürich  D: GL Nr. 5  B: -  A: -  V: Abschrift 

G. erhalte für 10 Tage ein Porträt der Adelheid von Weißlingen. L. wünsche sich das nächste mal ein paar Silhouettes [...], wenigstens die mißlungene J. G. Schlossers von G.s Hand. - Anfrage, ob G. ihm bei der Ausarbeitung der "Physiognomischen Fragmente" helfen wolle. Zu L.s Idee der allgemeinen Homogenität aller u. jeder Bildungen der Natur, wodurch es möglich sei, vom Detail auf das Ganze zu schließen.

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 Warum ich Ihnen schon wieder schreibe? um Ihnen ein Porträt – ach, aber die Augen, die in der Natur alles sind, im Bilde sind sie nichts, vorzulegen, das ich in 10. Tagen wieder haben sollte. Ein Porträt – rathen Sie von wem? So wahr ich lebe, Sie errathens .... Adelheit von Weißlingen.

 Nun weiter nichts, als ... das nächste mal ein paar Silhouettes wenigstens, wenigstens die mißlungene Schloßer – von Ihrer Hand,– u: dann noch eine Frage: Wollen Sie mir helfen, eine aus halben, viertels, u: achtels Beobachtungen geschöpfte grosse, unendlich wichtige Vermuthung, durch viele ganze feste Beobachtungen bestätigen oder verwerfen?

 Die in den Augen aller weisen u: Thoren izt noch lächerliche Vermuthung – von der allgemeinen Homogenität aller u: jeder| 2 | Bildungen der Natur; so daß es möglich ist, aus jeder richtig gegebnen Lection den ganzen Umriß, aus dem Umriß den ganzen Charakter – u: aus diesem – doch nein – für einmal nichts weiter – so sicher u: bestimmt anzugeben – als sicher u: bestimmt sich aus jeder gegebnen Zirkellinie oder Ellipsis, die ganze Ellipsis, u: der ganze Zirkel bestimmen läßt.

 Wäre diese Vermuthung, die jedem physiognomischen Zeichner, wenigstens durch den Scheitel heruntergefallen seyn sollte, nicht mehr, als Stein der Weisen, wann sie Gewißheit werden sollte.

  L.  

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 12, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0012_00013.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 12.

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